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April

Myotis myotis – Das Große Mausohr

Die Geschichte spielt im April 2023, also genau vor einem Jahr…

„Komm mal gucken, was ich hier gefunden habe!“, rief mich mein Vater. Verwundert darüber, was das wohl sein könnte (etwas Irritierendes oder Ekliges vielleicht?) flitzte ich dem Ruf hinterher und auf die Terrasse heraus. Was soll da sein? Er beugte sich hinunter zur außen gelegenen Fensterbank. Sein Blick fiel auf ein kleines graues Etwas, das sich in der Nische zwischen Fensterrahmen und Hauswand direkt oberhalb dieser Fensterbank befand. „Eine Fledermaus“, beschrieb er es punktgenau und ohne Aufhebens, typisch Eifeler. Das Erstaunen über den außergewöhnlichen Fund lag unterschwellig in der Betonung des Tiernamens.

Eine Fledermaus

Wow – ich war bemüht darum, das schlafende Tier am kühlen Aprilmorgen schnell zu bewundern, um genauso schnell wieder ins Warme huschen zu können - aber überzeugte mich selbst davon, dass es sich lohnt, es genauer und in Ruhe zu betrachten. Dabei gab es überhaupt nicht viel zu sehen. Ich musterte neugierig das bisschen sichtbare faltige Fledermausflügelhaut, das am dichten, kurzen Fell des Tieres anlag. Die Fledermaus rührte sich kein bisschen. Ob sie noch lebt? Es war kühl. Sie musste aus dem Winterschlaf erwacht sein und hatte noch keine Chance, genug Wärme und Energie für einen Abflug zu generieren. Würde sie von der Wand fallen, wenn der Tod eintritt?

Oder bleiben Fledermäuse auch im toten Zustand hängen? Mist, ich kenne mich ja gar nicht gut aus! Die Füße mit den gespreizten Zehen fanden anscheinend einen guten Halt an der rau verputzten Hauswand. Ich scheute mich, das Tier anzustupsen um herauszufinden, ob es noch lebt. Wenn die Fledermaus lebt, soll sie nicht durch meine Störung unnötigerweise ihre letzten Energiereserven verschwenden. Die Aufwachphase aus dem Winterschlaf ist für alle Tiere immer eine heikle Angelegenheit. Ich würde einfach später nochmal nach ihr schauen. Es sollte noch wärmer werden an diesem Tag, das wird ihr gut tun, dachte ich.

Vulkanlandschaft in der Eifel

Gegen Mittag brach die Sonne durch. Wir verbrachten den ersehnten Frühjahrstag in einem Naturschutzgebiet und durchwanderten ein Gebiet, dass auf vielerlei Hinsicht durch die Vulkanlandschaft der Eifel geprägt ist: Der Weg führte an einem eingefallenen Krater vorbei, der als Senke in der Wiese sichtbar war. Der Vulkan stand einmal kurz vor dem Ausbruch, entschied sich aber kurzfristig gegen das Lavaspeien. Dadurch viel der Erdboden in sich zusammen. Ähnlich wie ein Käsekuchen im Ofen – wenn man vorzeitig die Backofentür öffnet, fällt der Kuchen in sich zusammen. Ich genoss den Ausblick über die Graslandschaft der Senke, die gesäumt von blühenden Schlehenhecken vor mir lag. Auf dem weiteren Weg durch den Mischwald bestaunte ich die offen liegenden Baumwurzeln an einer erodierten Stelle im Hang. Der weggebrochene Boden gab einen interessanten Einblick in seinen Aufbau: Er bestand unter seiner Humussschicht ausschließlich aus kleinen, porösen Lavasteinen! Regentropfen kullerten als glänzende Kugeln die nackten Baumwurzeln herunter und fielen auf die Lava.

Der nasse Boden war tiefschwarz, während die bereits von der Sonne getrockneten Lavasteine aschgrau gefärbt waren. Einige Steine erinnerten mich durch ihre Form an Spätzle. Das waren sogenannte Schmelzfetzen, die beim Vulkanausbruch als flüssige Tropfen durch die Luft flogen und beim Auskühlen ihre Form behielten. Der Trampelpfad führte weiter durch den schattigen Wald, vorbei an großen Felsformationen, auf denen unwirklich aber wahr Bäume standen! Auf beeindruckende Weise schlangen sich deren großen Hauptwurzeln frei sichtbar die Felsen hinunter. Mein Blick richtete sich hinauf in die Baumkronen dieser langen Fichten, die kerzengerade auf den Steinen wuchsen.

Ich stellte mir vor, wie es hier sein muss, wenn Stürme die Bäume zu allen Seiten biegen. Dass die nicht umfallen? Wahnsinn. Wir erkundeten die Buchenloch-Höhle, die sich in der Jungsteinzeit vor etwa 300.000 Jahren als eine Zufluchtsstätte für Menschen darbot.

Ob an den nicht für Menschen zugänglichen Stellen der Höhle Fledermäuse wohlen? Die Höhle hat eine insgesamte Länge von 30 Metern und nur ein Bruchteil ist für normal ausgerüstete Menschen wie mich (legal) zugängIich. Ich sinnierte ich über das einstige Zusammenleben der Menschheit mit Großsäugern und riesigen Raubtieren. Forschende fanden heraus, dass sich vor 1,8 Millionen Jahren Höhlenbären und Wollnashörner aufhielten. Ob und welche Großsäuger wohl in der Jungsteinzeit in der Umgebung lebten? Ich versuchte mir vorzustellen, wie es war, als Mensch selbstverständlich mittendrin und spürbar verbunden im Geflecht der Natur zu leben. Wenn große Tierarten eine allgegenwärtige Gefahr darstellen können, wie fühlt sich das Leben dann an? Heutzutage müssen wir eiskalt duschen, um uns lebendig und im Moment zu fühlen. Damals war kaltes Wasser eine hinzunehmende Angelegenheit, doch nötig um sich als wirklich lebendig zu erleben sicher nicht. Bis vor kurzem hatten wir in Deutschland große Raubtiere wir Bären und Wölfe, die meist aus dem Osten Europas einwandern, erfolgreich aus unserer Mitte verbannt. Wir sind geprägt durch Schauermärchen und längst überholte Mythen, die uns davon abhalten, uns mithilfe von Wissen und wirksamen Schutzmaßnahmen an die Tiere anzupassen. Bären und Wölfe müssen deshalb nach wie vor einen ungerechtfertigten Tod durch Abschuss hinnehmen. Das Fehlen von großen Prädatoren macht die natürlichen Nahrungsketten und Ökosysteme lückenhaft. Zusammen mit den verschwindend geringen Flächen, die überhaupt noch intakt sind, bringt das Konsequenzen für die übrige Flora und Fauna mit sich.

Ich tankte Energie im beinahe unversehrten Mischwald. Die Farben, die Vogelgesänge, die eindrucksvollen Baumgestalten! Bei Regenwetter kann man hier sicherlich Feuersalamander entdecken. Wie gerne würde ich mal einen sehen! Damit ich auf keinen Fall einen verpassen konnte, drehte ich so manches Stück regennasses Totholz am Wegesrand um. Ich dachte an BSAL, den fiesen Hautpilz, der die so seltenen Salamander bei lebendigem Leibe zerfrisst. Hätte ich den Münchner Boden von meinen Schuhen wegdesinfizieren sollen, bevor ich solch einen wertvollen Lebensraum betrete? Das wäre eine angebrachte Maßnahme gewesen.

Auf einer Lichtung, deren Pfad uns an die Klippen der Dolomiten führt, entdeckte ich einen üppigen Wacholderstrauch. Als hätte ich gerade ein Idol getroffen, so freute ich mich über die unerwartete Begegnung. Ich habe einen Spaziergang durch eine Wacholderheide in guter Kindheitserinnerung, in die ich sehr gerne immer wieder eintauche. In der Weite der mit Wacholdersträuchern übersäten Heide war ich frei und verbunden mit mir selbst und der Natur (oder durch diese Verbundenheit frei…). Jahre später erst habe ich einen wohltuenden Bezug zu diesem Strauch durch seine ätherischen Öle und das Räuchern der getrockneten Nadeln und Beeren aufgebaut. Wacholder begegnet uns im Alltag häufiger in Form von Gin oder als Gewürz für herbstliche und winterliche Gerichte.

Wir genossen den Ausblick über Gerolstein – auf Augenhöhe mit einem Milan, der über das Dorf kreiste und sich durch die gute Thermik nach oben schrauben ließ. Die Sonne wärmte uns, wir entdeckten farbige Blütentupfen an den porösen Felsen und ich sammelte Zigarettenkippen und Müll vom Boden. Immer ein, zwei Einmalhandschuhe hab ich in Rucksack und Handtasche und immer ein, zwei Hundekotbeutel. Damit befreie ich die Erde vom giftigen Abfall. Mit dem Wissen, dass ein Kippenstummel je nach Studie 40 bis 1000 Liter Wasser verseucht, ist meine Motivation groß und der damit verbundene Aufwand eher klein. Unterm Strich stimmt die Rechnung und ich hege die Hoffnung, dass ein müllfreier Fleck Natur die Hemmschwelle höher legt, ihn wieder zu verdrecken.

Wieder zuhause angekommen, schaute ich nach der Fledermaus. Sie hing immer noch in ihrer Nische. Ich sah genauer hin und erkannte, dass sie ihre Füße minimal anders platziert hatte als noch am Morgen. Sie lebt! Noch. Fürs erste erleichtert und trotzdem in Sorge um den Zustand des Tieres befragte ich die Internet-Suchmaschine nach Fledermausexpert*innen. Da ich bereits Erfahrungen mit Wildtieren in Not und den entsprechenden Notfalleinrichtungen und deren Auftritt im Internet hatte, vermutete ich, dass es gewiss auch solch eine Einrichtung für Fledertiere gibt. Genau so war es: Ich klingelte bei der Fledermaushotline des NABU durch. Der freundliche Mensch am anderen Ende der Leitung gab mir drei Telefonnummern von Fledermausexpert*innen aus der Umgebung. Ernüchternd stellte ich fest, dass diese mit etwa je 50km recht weit von meinem Standort entfernt wohnten. Die Dimensionen auf dem Land sind einfach andere als in der Großstadt, wo alles recht nah beieinander liegt. Ich hatte Sorge, dass jemand die Fledermaus aufgrund der Entfernung nicht abholen können wird beziehungsweise dass ich sie nicht irgendwo hin bringen kann, sollte dies nötig sein. Die Stimme des NABU wies mich an, mir einen dicken Handschuh anzuziehen und die Fledermaus in einen kleinen Karton zu packen, der mit Küchenpapier auszulegen war. So sollte die Fledermaus geschützt vor Raubtieren wie Hauskatzen, Krähen oder Mardern sein und nicht weiter auskühlen, wenn es nachts wieder kälter werden würde. In der Eifel friert es gerne noch bis weit in den Mai hinein. Doch vielleicht würde die Fledermaus ja doch mit der Abenddämmerung davon fliegen… Ich vermied es, in einen übertriebenen Aktionismus zu verfallen und leitete trotzdem alles in die Wege was nötig war, um dem Tier weiterzuhelfen. Denn wenn es ein Problem hatte, dann ist es ein lebensgefährliches, das war ganz sicher. Nach dem Telefonat war mir jedoch nicht klar, ob ich die Fledermaus im Karton mit ins gleichmäßig warme Haus nehmen sollte oder ob sie draußen bleiben sollte. Mist! Ich könnte nun nochmal anrufen und nachfragen. Ich entschied mich aber für eine kreative Lösung: Ich spülte ein leeres TetraPak aus und entfernte den kompletten oberen Teil mit der Öffnung. Zwei sich gegenüberliegende Seiten der Packung schnitt ich so zurecht, dass ich das TetraPak mit der einen Seite an die Hauswand mit der Fledermaus stellen konnte.

Fledermaus im Getränkekarton

Zur anderen Seite konnte das Tier dann aus seinem Schutzhäuschen herausfinden, wenn es wollte. Nun die Probe: Ich schob das TetraPak vorsichtig an die Fledermaus heran. Es passte! Ein Hoch auf mein gutes Augenmaß und meine Erfahrungen mit Upcycling-Projekten! Ich knüllte mehrere Stücke Küchenrolle zusammen und füllte das Häuschen damit aus. Wieder schob ich das TetraPak an die Fledermausnische heran. Zwei Steine sollten es sicher an seinem Platz halten. Ich war zufrieden mit der Zwischenlösung. Sollte sich die Fledermaus am nächsten Morgen immer noch dort hängen, würde ich meine drei Kontakte anrufen und um Unterstützung bitten.

Am späten Nachmittag wurde es rasch kühler und es begann zu nieseln. Nasskaltes Wetter ist nochmal eine andere Herausforderung… Die Fledermaus hing immer noch in ihrem Haus. Sie kam mir für die Nacht zu wenig geschützt vor. Was kann ich tun? Soll ich sie doch in einen Karton packen und ins Haus nehmen? Das Risiko, sie zu sehr zu stören, war mir jedoch zu hoch: Wenn sie zu wach wird, verliert sie unnötige Energie. Ich habe keine Nahrung für sie im Angebot! Mir kamen die vielen großen Tüten mit Altkleidern in den Sinn. Vielleicht ist etwas Warmes dabei, um das Schutzhäuschen zu isolieren. Ich fand die abtrennbare Kapuze einer Steppweste. Perfekt! Die Kapuze hatte die richtige Größe, um sie einfach über den Getränkekarton zu hängen.

Fledermaus-Schutzhaus?!

Am Abend, nach der Dämmerung, befand sich die Fledermaus immer noch an der Hauswand. Nun sollte keine weitere Zeit mehr verstreichen. Ich wählte die erste der drei Nummern. Im Handydisplay erschien die Ortsangabe, während es in der Leitung tutete. Puh, das ist wirklich nicht gleich um die Ecke, dachte ich besorgt. Niemand zuhause. Unter der zweiten Nummer erreichte ich eine nette Stimme, die mich vertröstete: Die Expertin befindet sich gerade auf der Vorstandssitzung des NABU und ist erst nach 22 Uhr erreichbar. Hm, so spät werde ich nicht mehr telefonieren können. „Dann melde ich mich morgen nochmal, falls ich nicht weiterkomme!“, bedankte ich mich und tippte die dritte Telefonnummer ins Display.

Mein Kopf war voll mit Fledermaus. Das kleine Tier hat mich in seinen Bann gezogen. Nicht nur, durch die Verantwortung für sein Leben, die ich an mich nahm. Ja, das war tagesfüllend. Die Gedanken, die um die Fledermaus kreisten, die Fragen, die ich mir stellte. Wie viel ich plötzlich nicht wusste. Ich hatte Wissen und Erfahrungen durch Igel und ihre Art, Winterschlaf zu halten. Da Fledermäuse auch Säugetiere sind, schloss ich vom Igel auf die Fledermaus. Es beunruhigte mich, durch mein fehlendes Wissen der Fledermaus nicht weiterhelfen zu können. Es war ja glücklicherweise möglich, Expert*innen zu Rate zu ziehen und doch mühsam, weil man sich häufig von Nummer zu Nummer durchwählen muss, warten muss, wieder jemanden erreichen muss… bis sich eventuell eine Lösung bietet. Ob sich das alles lohnt? Ob die anderen wiedermal sagen, ich mache mir zu viel Aufwand? Ob ich es nicht einfach lassen sollte? Ob ich damit unnötig in die Natur eingreife und Schaden anrichte?

„Die Menschen greifen überall und ständig in die Natur ein, zerstören Lebensräume und verdrängen die Tiere. Viele Tiere sind genau deshalb in Not. Deshalb ist es die Verantwortung des Menschen, sich um in Not geratene Tiere zu kümmern!“, wetterte meine innere Stimme. In der Leitung tutete es. Die Person, die abhob, bestätigte meine Befürchtungen. "Das ist zu weit weg von mir. Aber ich schreibe dein Anliegen in unser Forum mit der Bitte, dass jemand das Tier abholt. Wenn es schon so lange dort hängt, braucht es auf jeden Fall Hilfe! Ich schreibe dir eine Nachricht, wenn sich jemand findet!“ Zu der Sorge, ob die Fledermaus am nächsten Tag noch lebt mischte sich nun noch die, dass sich niemand um sie kümmern kann.

Die Fledermaus, von der ich bisher nur den felligen Rücken, die Füße und die Ohren sehen konnte, hatte sich schon längst ein Plätzchen in meinem Herz eingenommen. Welche es Art ist es wohl, fragte ich mich. Gewiss eine der großen Arten! Ich las im Internet die groben Steckbriefe der häufigsten Fledermausarten in Deutschland, um mir einen Überblick zu verschaffen. Trotz, dass mich Fledermäuse grundsätzlich interessierten und trotz, dass ich im letzten April an einem „Fledermausabend“ teilnahm, wusste ich nun gefühlt nichts über diese Tiere. An jenem Abend zeigte uns die Fledermausexpertin eine Zwergfledermaus, die sie gerade zum Aufpäppeln auf ihrer Pflegestation beherbergte. Wir beobachteten den Flug der Tiere über Schloss und Weiher und wurden mit einigen allgemein gültigen Fakten gefüttert. Und so wie die Fledermäuse im Herbst wieder in den Winterschlaf verschwanden, so verschwanden sie auch wieder aus meinem Leben. Ich scrollte nun am Smartphone über die Fotos hinweg, bis ich an einem hängen blieb, was „meiner“ Fledermaus sehr ähnelte. „Das muss ein Großes Mausohr sein“, sagte ich zu meiner Mutter und zeigte ihr das Foto. Genauso gut kann es auch diese hier sein oder diese hier… sinnierten wir, schließlich konnte man nur die Rückseite des Tieres sehen! So erstickte ich meine überschwängliche Begeisterung, die Fledermaus bestimmt zu haben, sofort im Keim. Die hat mich schon so oft in die Irre geleitet, was mir hinterher immer peinlich war. Konnte ich ernsthaft eine Fledermaus bestimmen, indem ich drei Minuten am Handy herumscrollte? Zum Glück war es nur bedingt wichtig zu wissen, welche Fledermausart an unserer Hauswand hängt. Meine trotzige innere Stimme war sich insgeheim aber ganz sicher, dass das Tier der Art Myotis myotis angehören musste.

Am nächsten Vormittag schrieb mir der NABU-Kontakt eine Nachricht: „Markus Thies meldet sich bei dir und holt die Fledermaus ab.“ Wow! Ich freute mich, dass sich jemand fand und dann auch noch so schnell. Wenig später klingelte mein Handy und Herr Thies fragte nach der Adresse. Und nach der Art. „Ich vermute, es ist ein Großes Mausohr“, sagte ich ein bisschen stolz und genauso verhalten, denn ich könnte völlig daneben liegen. Er fragte nach meiner Adresse und glich seine Vermutung über die Wegbeschreibung mit meiner ab. Ich war erstaunt über seine Ortskenntnis. Die Eifel beherbergt selbst für meinen Vater als dort Aufgewachsener viele kleine Orte im Umkreis, die einem völlig unbekannt sein können! Herr Thies kam mit einem kleinen, runden Plastikgefäß vorbei, dessen Deckel mit kleinen Löchern übersät war. Ich zeigte ihm das Tier an der Hauswand, das sich immer noch im Schutzhäuschen befand. Vorsichtshalber habe ich immer mal wieder nach ihr geschaut, damit Herr Thies nicht umsonst von der Süd- in die Nordeifel fährt… Nachdem ich die Steine, die Kapuze und das TetraPak vorsichtig bei Seite gestellt hatte, nahm Herr Thies mit einem vorsichtigen, aber beherzten Griff die Fledermaus in die Hand. Ohne Handschuhe wie ich leicht empört feststellte. Aber er gehört zu der Sorte Profis, die wissen was sie tun und nicht zu den unvorsichtigen Menschen, die gerne Risiken eingehen. „Ein Mausohr“, stellte er fest und mein Herz hüpfte. Weil ich richtig lag mit meiner Bestimmung, aber mehr noch, weil mein kleiner Schützling nun offiziell mit seinem Artnamen genannt werden konnte. Leider stellte Herr Thies auch fest, dass die Fledermaus einen sehr untergewichtigen Eindruck machte, was er anhand der eingefallenen Bauchseiten und am Übergang vom Kopf zum Rücken sehen konnte. Die Fledermaus quietschte empört, als Herr Thies sie in den Behälter steckte und verstummte sofort, als sich der Deckel ihres Übergangsquartiers wieder schloss. Ich war erstaunt, dass doch noch so viel Leben in dem Tier steckte und das stimmte mich hoffnungsvoll. „Was passiert nun mit ihr?“, fragte ich und Herr Thies erklärte, dass die Fledermaus bei ihm zuhause erst einmal aufgewärmt wird. „Dann erst ist sie bereit, Nahrung aufzunehmen. Sie bekommt dann Ringerlösung [isotonische Flüssigkeit mit Elektrolyten] und danach auch feste Nahrung. Wenn sie wieder stabil ist, wird sie wieder hier an diesen Ort gebracht.“ Die Adresse kennt Herr Thies ja nun, stellte ich beruhigt fest, da ich ein wenig später schon die Heimreise nach München antreten musste. Herr Thies wunderte sich über das einzelne Mausohr, das untypischerweise dieses Haus mit dieser Bauart als sein Winterquartier auserkoren hatte. Die Mausohrkolonien befänden sich nämlich ganz woanders. Und während Herr Thies die Quartiere der Fledermäuse aufzählte, war mir sofort klar, woher seine beeindruckend gute Ortskenntnis kam! Er nannte einen Stollen, den ich tatsächlich kenne. Dieser hatte als ein täglich wiederkehrender Bestandteil meiner Wege in der Kindheit eine Rolle gespielt. Und mir fiel ein, wie wir Kinder immer neugierig vor dem Eingang des Stollens standen und in dessen Dunkelheit starrend irgendwas zu entdecken versuchten. Er war mit Gittern verschlossen und sogar als Fledermausquartier gekennzeichnet. Ich hatte ihn längst vergessen.

Der besagte Stollen, ein Fledermausquartier

Fledermäuse – man sieht sie im Sommerhalbjahr in der Dämmerung fliegen, man kehrt ihre Hinterlassenschaften von den Fensterbänken. Man weiß vielleicht, dass sie unter Schutz stehen und hat vielleicht durch einen 20:15 Uhr-Tierfilm mit dem Märchen abgeschlossen, dass sie krankheitsübertragende Vampire sind. Bis auf das bleiben Fledermäuse ein unsichtbarer Mythos, der unseren Alltag höchstens einmal im Jahr zu Halloween als Dekorationsobjekt tangiert.

Fledermausnacht pixabay

Mich faszinierte, wie viel es über Fledermäuse zu wissen gab. Etwas in mir fing richtig Feuer. Das Große Mausohr war das Zündholz, welches es zum Glimmen brachte und Herr Thies war der Sauerstoff, der dieses Feuer seit diesem Vormittag nährte. Neugierig fragte ich, wie er zu seinem Fachwissen über Fledermäuse kam. Ich hatte das Gefühl, dass Herr Thies ein wandelndes Fledermauslexikon sein muss. Er erzählte mir, dass er sich inzwischen seit 38 Jahren mit den Tieren beschäftigt. Eigentlich hatte er Konditor gelernt und plante seine Selbstständigkeit. Doch die Unsicherheit in der Branche ließen ihn einen anderen Weg einschlagen: Er baute sein weiteres Spezialgebiet zu seinem beruflichen Standbein aus und arbeitet nun selbstständig als „Eifelbatman“. Markus Thies bietet Fledermausführungen und –Abende für Jung und Alt an. Er lädt Schulkinder zu sich nach Hause ein, die dort seine geflügelten Pfleglinge kennen lernen. Er führt Menschen in die verborgenen Höhlenwelten der Umgebung, um ihnen dort die Lebensweise der Fledermäuse anschaulich zu vermitteln. Ehrenamtlich ist er für den NABU tätig, dazu gehört auch das Aufnehmen und Aufpäppeln von Notfällen, solche wie das Große Mausohr an diesem Tag. Herr Thies reichte mir zwei Flyer, einen vom NABU und seinen eigenen.

Ich erzählte ihm, dass ich ebenso ehrenamtlich wie beruflich in Sachen Natur- und Umweltschutz unterwegs bin und mich gerade stark für das Thema Baumschutz einsetze. Die vergangen Jahre waren geprägt von den Themen Insekten und Artenvielfalt. In den letzten Wochen widmete ich meinen Fokus und meine Leidenschaft den Amphibien, frischte mein Wissen über sie auf und trug sie während der Krötenwanderungszeit über die Straße. An diesem Tag im April packten mich die Fledermäuse. Noch während ich mit Herrn Thies redete, war mir sonnenklar, dass ich alles über Fledermäuse lernen will, um sie schützen zu können! Das war für mich einfach eine logische Schlussfolgerung, die ich aus dem zog. Denn auch der Eifelbatman berichtete sorgenvoll: Es sind gerade noch nicht genügend Insekten unterwegs, da es noch zu kühl ist. Und es gibt insgesamt nicht mehr genug Insekten. So kommen die Fledermäuse mit zu wenig Reserven in den Winterschlaf und ihre Überlebenschancen sinken. Jetzt, während sie nach und nach aus dem Winterschlaf erwachen, sind sie zu geschwächt um auszufliegen und finden noch dazu keine Nahrung - aufgrund des Insektensterbens und noch dazu witterungsbedingt!

In mir vervollständigte sich ein Puzzle, von dem ich nicht wusste, dass es zum einem existierte und zum anderen noch nicht fertig gestellt worden war. Die plötzliche Faszination über Fledermäuse, die das Große Mausohr entfachte, stellte die Weichen für meinen weiteren Lebensweg als Naturschützerin. Markus Thies verabschiedete sich mit dem Hinweis, dass er mich per SMS über das Wohlergehen der Fledermaus auf dem Laufenden halten wird. Ich bedankte mich für seine Arbeit und Zeit, die er jetzt schon aufgewendet hatte, um dem Tier zu helfen!

Ich verstand: Amphibien und Fledermäuse sind Tiere, die eine Indikatorfunktion haben und somit eine Schlüsselrolle in den Ökosystemen innehaben. Ihre Vorkommen und ihr Verschwinden berichten uns über den Zustand der Ökosysteme. Denn ihre gemeinsame Nahrung sind Insekten. Insekten sind angewiesen auf unterschiedliche Arten von intakten Böden und auf eine intakte Fauna. Sie sind abhängig von ausreichenden Mengen Totholz, intakten Laubwäldern mit Alt- und Habitatbäumen und verschiedenen Wasservorkommen. Genau diese Faktoren sind für Amphibien und Fledermäuse gleichermaßen relevant. Auf meiner Reise in die Eifel sprudelte ich über von Ideen: Mit meiner Initiative „Teiche und Tümpel“ plante ich zu erreichen, dass bayernweit 1000 neue Teiche im privaten wie öffentlichen Raum entstehen. Die Menschen würden während der Kampagne für das Thema Amphibienschutz sensibilisiert und für die Natur vor der Haustüre begeistert. Ich hatte im Geiste bereits ein Logo entworfen und trug einen Anstecker an meinem Pullover.

Spoiler: Im März 2024 trägt JOIN THE MOVEMENT zum Schutz der Amphibien bei, indem die Bewegung Menschen motiviert, die Amphibien bei ihren Wanderungen zu unterstützen und indem das Logo Spenden für den Amphibienschutz generiert. Stay tuned, das ist noch nicht alles.

Join the Movement (Abre numa nova janela)

Nun, auf der Rückreise nach München recherchierte ich über den inspirierenden Eifelbatman und teilte meine Erlebnisse auf meinem Instagram-Kanal. Plötzlich erhielt ich eine Nachricht:

“Es ist ein Männchen, das etwa vier bis fünf Jahre alt sein dürfte, nach den Eckzähnen zu urteilen. Das Tier ist recht klein und wiegt 19,9 Gramm. Es hat getrunken und wird zurzeit aufgewärmt. MfG Markus Thies“

Wow, das ist mega interessant, dachte ich begeistert – man kann das Alter anhand der Zähne bestimmen?! Das heißt, Herr Thies kennt je Fledermausart das Aussehen der Zähne, um das Alter des Tieres zu ermitteln? Ok wow, was es auf dem Gebiet für spannende Dinge zu wissen gibt! Und das Gewicht? Was bedeutet diese Zahl? Ist es nun arg wenig oder noch im grün-gelben Bereich? Und das Mausohr hat getrunken! Ich freute mich sehr, das ist auf jeden Fall der Weg zur Besserung. In München ließ ich mir gleich zwei Fledermausbücher von der Bibliothek bereitstellen, die auf der Internetseite des NABU empfohlen wurden. Eines davon ist ein richtig dicker wissenschaftlicher Wälzer, der alle Erkenntnisse über die in Deutschland heimischen Arten beinhaltet. Neugierig schlug ich das Buch irgendwo auf, wurde von einer Zeichnung angesprungen und ich erkannte es sofort wieder: Mein Großes Mausohr! Zufällig landete ich gleich mitten im Kapitel über die Fledermausfamilie der Glattnasen – mitten bei der Art Myotis myotis – Großes Mausohr. Falls es doch keine Zufälle gibt, dann bin ich wohl genau da, wo ich sein soll! Es war verrückt festzustellen, dass mich diese Fledermausart immer und überall sofort als erste ansprang und ich sie auch gleich als diese erkannte. Obwohl ich von meinem erstmalig entdeckten Exemplar nur die Rückseite sehen konnte und obwohl ich mich erst so kurz mit Fledermäusen beschäftigte! Bald schrieb Herr Thies eine weitere Nachricht:

„Hallo Sabrina. Leider hat es das Mausohr nicht geschafft. Nach der Fütterung mit Ringerlösung war das Tier voll aktiv und hat nur getrunken und wild um sich gebissen. Fressen wollte sie nicht, aber das habe ich schon öfter bei Mausohren gehabt. Sie ist noch zwei Stunden durch den Käfig gekrabbelt und als sie wieder ruhiger war, wollte ich sie wieder aufwärmen, aber sie ist dann in meiner Hand gestorben. Gestern habe ich noch einen Zwerg bekommen, die kurz vorher gefunden wurde und sie ist gleich beim Aufwärmen verstorben. Ob es anders ausgegangen wäre, wenn das Tier gleich am ersten Tag gefüttert worden wäre, weiß ich nicht. Aber ein großer Teil der Winterschläfer ist extrem dünn in diesem Winter. Aber auch nur, weil es zu wenig Insekten gibt.“

Was für eine traurige Nachricht. Ich hatte so viel Hoffnung und zunächst sah es gut aus. Doch wiedermal zeigt sich: Bei Wildtieren weiß man nie. Besserung heißt erstmal nicht viel. Die Hätte-Hätte-Kette brach los: Hätte ich noch früher die Expert*innen kontaktiert. Hätte ich die Fledermaus doch gleich ins warme Haus genommen. Hätte sie es dann geschafft? Es tut mir schrecklich Leid für die Fledermaus. Sollte ich nochmal eine Wildtier finden, werde ich schneller handeln. Versprochen. Lieber zu früh gefragt als zu spät.

Es gibt viel zu verlieren und viel zu gewinnen

Hier endet die Geschichte vom Großen Mausohr für mich nicht. Sie ist ein Anfang eines Weges, den ich jetzt gehe und ich lade dich ein, mitzugehen. Um unsere Natur und die Tiere zu schützen, müssen wir Forderungen an Politik und Entscheidungstragende stellen. Wie das geht, dass „die da oben“ zuhören und sich den Forderungen annehmen müssen, will ich dir berichten. Wie begeistert man Menschen für die Natur? Denn nur gemeinsam lassen sich wirkungsvolle Artenschutzmaßnahmen planen und umsetzen. Hast du Ideen dazu? Lass uns den richtigen Platz für deine Visionen finden, denn wahrscheinlich gibt es den bereits! Wenn wir uns für Fledermäuse einsetzen, stärken wir damit auch die Amphibienbestände und sichern Lebensräume für Insekten. Dazu müssen Flächen wieder entsiegelt, Moore wieder vernässt, Wiesen aus der Intensivwirtschaft herrausgenommen und wirksame Verordnung zum Baumschutz veranlasst werden.

Tümpel und Teiche,

Wald oder Wiese?

Die Natur wieder in unsere Forste, Gärten und Städte einkehren zu lassen, ist the only way to go. Zum aktiven Natur- und Umweltschutz gehört unser notwendiges Veto zu Pestiziden und Herbiziden, dazu zählen auch Wasserschutz und Renaturierungsmaßnahmen von Flüssen. Gleichzeitig helfen wir so auch den vielen bedrohten Vogel- und Kleinsäugerarten bei der Erholung ihrer Bestände. Da man bei den vielen Problemen und Nöten rund um Natur-, Tier- und Klimaschutz gar nicht mehr weiß, wo man überhaupt anfangen soll: Da, wo es Spaß macht! Ich fokussiere mich auf den Baumschutz und den Schutz der Fledermäuse und Amphibien, da diese Tiere sich mitten im alles verbindenden Netz der Natur befinden. Schützen wir sie, so schützen wir alles andere gleichermaßen. Wo willst du starten?

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