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Wie abnormal ist Mikl-Leitner?

Krause Identitätspolitik: Die Mitte soll „normal“ sein, aber als politischer Kampfbegriff ist „Normalität“ natürlich rechtsradikal.

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Die niederösterreichische Landeshauptfrau hat scheinbar einen neuen Lieblingsbegriff: den der „Normaldenkenden“. Er hat sich in die ÖVP-Parteiwerbung eingeschlichen und dort festgesetzt, und unlängst schrieb Johanna Mikl-Leitner im „Standard“ einen Gastbeitrag, in dem die Phrase gleich sechsmal vorkam. Ich habe extra nachgezählt. Nun ist ein solcher Begriff zunächst einmal nichts anderes als Sprachpolitik und Werbung: Die Behauptung ist, so wie wir (also die ÖVP) denken, so denken „die Normalen“, und jeder, der irgendetwas anderes denkt, ist somit „abnormal“. Oder zumindest „nicht ganz normal“. Natürlich hat so eine Phrase noch ein paar weitere Obertöne. „Normal“, so denkt der Durchschnitt, und wer anders denkt, der ist eher extravagant, was ja auch kein Nachteil sein muss, aber irgendwie natürlich auch ein bisschen ein „Spinner“, der komisches Zeug denkt.

Mikl-Leitners Sprachoperation leidet natürlich durch die Tatsache, dass ihre Partei gerade ohne Not eine Koalition mit den spinnerten Radikalinskis von der FPÖ eingegangen ist, und einen Koalitionsvertrag unterschrieben hat, der sie richtiggehend vorführt. Darin werden Corona-Maßnahmenverweigerer irgendwie als „Opfer“ definiert, die man entschädigen müsse, ein ganzer Absatz widmet sich dem Verbot des Genderns. Man kann ja zu gewissen Übertreibungen der gendersensiblen Sprache stehen wie man mag, aber dass eine Landesregierung in einen Krieg gegen Sterne und Großbuchstaben zieht, ist schon skurril. Jedenfalls: Normal ist das nicht.

So hat Mikl-Leitners Normalitäts-Offensive auch etwas Verzweifeltes. Man will sich von dem distanzieren, was man gerade selbst unterschrieben hat. Und man will auch demonstrieren, man ist ja nicht so wie dieser Landbauer oder dieser Waldhäusl, der Gymnasiasten beschimpft und Kinder beleidigt, was man als normaler Mensch ja auch nicht tut.

Betrachtet man all das genauer, wird es richtig absurd: Mit ihrer identitätspolitischen Phrase des „Normalen“ will sie sich von allen Spinnereien absetzen und in der Mitte positionieren, zugleich ist die Behauptung des „Normalen“ ja selbst eine rechtspopulistische Vokabel. „Deutschland, aber normal“, ist nicht zufällig eine Parole der rechtsextremen AfD. „Normal“ ist, wer konventionell denkt, normal ist, wer es gerne so wie früher hätte, als manche Dinge noch „normal“ waren.

Die Frage ist allerdings schon, was in einer Demokratie das „normale Denken“ sein soll, wo wir doch wissen, dass in pluralistischen Gesellschaften verschiedene Milieus nebeneinander bestehen, die nicht nur unterschiedliche Lebensstile und Werte, sondern auch ein unterschiedliches Denken haben. Es ist ja nicht einmal so, dass 51 Prozent der Leute das eine, und 49 Prozent das andere denken. Die einen denken das, die anderen etwas anderes, die dritten wieder anders. Und es geht alles ein heilloses Durcheinander ein. Was ist da dann schon „normal“? Die zeitgenössische Gesellschaft zeichnet sich doch gerade dadurch aus, dass wir uns vom Konzept des „Normalen“ verabschieden müssen, also der Idee, irgendeine Gruppe wäre die große Mehrheit, und rundherum kreisen ein paar Subkulturen und Minderheiten. Die zeitgenössische Gesellschaft ist eher ein Patchwork von Minderheiten, und meine Behauptung ist, dass das auch jeder weiß. Jeder weiß etwa, dass er gegenüber anderen Lebensstilen tolerant sein soll, und zwar nicht nur, weil sich das so gehört, sondern weil wir auch wissen, dass wir diese Toleranz auch umgekehrt benötigen. Wer nicht will, dass ihm etwas aufgezwungen wird, tut gut daran, auch anderen nichts aufzuzwingen. „Leben und leben lassen“, lautet schließlich die Maxime, die sich in breiten Teilen der Bevölkerung schon durchgesetzt hat.

Im Englischen gibt es den Begriff des „Common Man“, was soviel heißt wie der „gewöhnliche, einfache Mensch“. Damit werden Leute beschrieben, die fleißig und anständig ihr Leben leben, meist sind damit Leute aus den arbeitenden Klassen gemeint, und Leute, die selten große Flausen im Kopf haben. Im Deutschen kommt der Begriff von den „ganz normalen, einfachen Leuten“ dem noch am Nächsten. Diese „einfachen Leute“ denken gewiss nicht alle dasselbe, aber es gibt bestimmt ein paar Werte und eine Moral, die sie teilen. Etwa, dass einem für Fleiß ein Respekt zusteht, für gute Arbeit ein guter Lohn, aber dass man sich schon auch anstrengen muss, denn „von Nix kommt nix“. Dass sich niemand als „etwas Besseres“ vorkommen solle, und so weiter.

Aber was „normal“ ist, ist einem stetigen Wandel unterworfen. Vor dreißig Jahren hielt man die Vergewaltigung in der Ehe noch für so normal, dass die ÖVP gegen entsprechende Gesetzesänderungen Sturm lief. Heute ist die Akzeptanz von homosexuellen Partnerschaft schon völlig normal, was vor dreißig Jahren auch nicht der Fall war. Dafür gibt es heute eine relevante Minderheit, die einen Kinderbeleidiger wie Waldhäusl auch noch applaudiert, was vor dreißig Jahren völlig unnormal gewesen wäre.

Mikl-Leitner unterstellt übrigens auch, dass es so etwas wie einen „Stil des Normalen“ gibt. Damit werden weniger „Meinungen“ als solche verstanden, sondern die Art, wie man sie vertritt: Nicht so besessen, nicht radikal, sondern moderat und maßvoll. Mit Hinsichtl und Rücksichtl, so dass man im Gespräch bleiben kann und sich nicht gleich anbellt. Die „Normalen“ haben vielleicht unterschiedliche Ansichten, aber sie schlagen sich deswegen nicht gleich die Köpfe ein. Das ist eine super Sache, gewiss, aber ist das heute wirklich noch „normal“, in dem Sinne: tickt eine Mehrheit heute noch so? Polarisierung bedeutet ja auch, dass die Übererregtheit und das Irre und Überzogene zunehmend „normal“ wird.

Unlängst belauschte ich zwei Rentnerehepaare beim Heurigen. Sie sprachen die Nachrichtenlage der vergangenen Wochen, und hakten dabei jedes Thema ab. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass sie praktisch alle Talkshows ansehen, ohne besonders emotional aufgewühlt zu werden. Die eine Dame erklärte, dass man mit einem Verbrecher wie Putin nicht verhandeln kann, der andere Mann vertrat einfach die Ansicht, dass die Russen ja nur ihre Würde verteidigen gegen die aggressive Nato. Nachdem sie die Sätze gesagt hatten, bissen sie in ihren Schweinsbraten und widmeten sich einem anderen Thema, ich glaube es ging um eine Scheidung von Prominenten. Die Herrschaften hatten in der Sache äußerst polarisierte Ansichten, aber sie waren so moderat im Stil, in dem sie die Ansichten äußerten, dass man schon den Eindruck hatte, ihre Ansichten wären ihnen im Grunde egal. Politiknerds hätten sich wohl geprügelt, aber sie gingen gleich zum nächsten Thema über, ohne sich auch nur ansatzweise zu erregen. Kann man „normal“ nennen, wenn man will.

Übrigens kann man auch ein paar Überlegungen darauf verschwenden, warum es denn eigentlich populär sein sollte, „normal“ zu sein. Schließlich leben wir in einer Gesellschaft, die uns dauernd einredet, wir müssen alle etwas „besonderes“ sein, stetig daran arbeiten, eine „bessere Version unseres Ich“ zu schaffen. Als wäre es eine Verfehlung, irgendwie „Durchschnitt“ zu sein. Genauer: Das Schlimmste, was einem passieren kann. Niemand will Durchschnitt sein, aber die anderen sind dann abnormal?

Über all das kann man natürlich trefflich nachdenken. Aber als Landeshauptfrau hergehen, und die eigenen Ansichten mit dem Label „Normal“ zu versehen, und alle anderen damit als „Abnormal“, ist in einer Demokratie schon ein starkes Stück. Eine Übertretung, die schon verdammt abnormal ist.

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