Folge 5
Etwas Altes: Mein Ostern
Gleich vorneweg: Alles, worüber ich heute eigentlich schreiben wollte, kommt erst nächste Woche dran, denn mir ist zwischenzeitlich klar geworden, dass ich, weil Ostern ist, erst einmal meine grenzenlose Liebe zu Ostern mit der Welt teilen muss. Ostern ist für mich persönlich weder ein christliches noch ein heidnisches Fest, sondern eine Art ekstatische Frühlingsfeier unter Mitwirkung besonders niedlicher Tiere. »Für mich persönlich« heißt, dass ich mich damit weder über Menschen erheben will, die ein christliches Osterfest feiern noch einen Kick daraus beziehe, als Ex-Christin an vorchristliche Bräuche anzuschließen. Wichtig dazuzusagen: Meine säkulare Art, mit der Familie Ostern zu feiern, basiert natürlich, nein, eben nicht natürlich, sondern willkürlich gesellschaftlich gesetzt, darauf, dass ich über viele Privilegien verfüge; ich kann es mir aussuchen, in welchem Maße und in welchem Grad der Lockerheit ich per gesetzlichem Feiertag in Deutschland als relevant markierte Feste feiere. Wenn ich mir an Ostern rauspicke, was ich mag und weglasse, was mir nicht gefällt, tue ich das, ohne dass katholisches Höllenfeuer oder die »Frohe Ostern«-(Noch-)Mehrheitsgesellschaft mit hochgezogenen Augenbrauen auf mich warten. Weiße Ex-Christ*innen schocken in Deutschland nicht mehr, während man beispielsweise arabische Christ*innen of Color im Diskurs gern mal zu Muslim*innen macht (Abre numa nova janela) – hat man sie womöglich gern »fremder« als sie sind, weil das faktische Maß für Realität bei vielen Menschen nur die eigene Behaglich- bzw. Unbehaglichkeit ist?
Es war heute ein interessanter Gesprächsgegenstand beim Frühstück, welche Freunde der Teenkinder Osterverpflichtungen hatten. In die Kirche ging nur ein Freund mit einem italienischen Elternteil, aber nicht aus Zwang, sondern weil er selbst gläubig ist. Dies wurde, wie mir auffiel, ganz ohne cool-uncool-Framing erzählt, gute Idee, hier kann man von Jüngeren lernen.
Ich habe vor längerer Zeit mal darüber getwittert, dass ich, um mit der angeblichen Trennung von Staat und Kirche mal wirklich ernst zu machen, vorschlagen würde, alle religiös fundierten gesetzlichen Feiertage abzuschaffen. Statt dessen sollten alle im Land lebenden Menschen ein Nichtarbeitstags-/-schul-Kontingent bekommen. Diese strukturelle Säkularisierung würde für Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft automatisch nicht christliche Religionen im Vergleich weniger fremd und »äußerlich« wirken lassen. (Für Selbstständige wäre das mit dem Kontingent an freien Tagen wieder so eine Sache, aber das sind die bisherigen gesetzlichen Feiertage ja auch; das Nichtangestellten-Arbeitsleben müsste grundsätzlich gesetzlich fairer geregelt werden.)
Statt »Frohe Ostern« kann man anderen Menschen, über deren Glaubensrealität man nichts weiß, aber schon jetzt schlicht »Schöne freie Tage« wünschen, um zu zeigen, dass man im Jahr 2021 nicht lammfromm hinnimmt, dass Kirche und Staat doch nicht getrennt sind. Findet man diesen Vorschlag aufgesetzt und total übertrieben, kann man gern mal überlegen, ob diese Reaktion nicht mehr mit eigener Gewohnheit als mit sinnhafter Überlegung zu tun hat. Das gilt für die meisten Kontexte, in denen über gerechtere Sprache diskutiert wird.
Zurück zu »meinem Ostern«. Besonders daran ist, wie durch und durch unironisch es ist, Ostern wird von mir mit heiligem Ernst vorbereitet und gefeiert. Ironie ist nicht kategorisch ausgeschlossen, manchmal schleicht sie sich durch einen Zufall ein, wie heute in Gestalt der untoten Marzinpanhasen, die Hagelzucker-Augen bekamen, weil es nicht mehr genügend »richtige« Zuckeraugen gab.
Ja, klar, liest man die Bibel als Literatur, ist die Oster- eine Zombiegeschichte, daran hat heute auch mein Mann erinnert, aber das interessiert mich wirklich nur noch literaturwissenschaftlich und nicht mehr im Zuge einer metaironischen Weltsicht, diese langweilt mich mittlerweile, weil aus ihr einfach keine Erkenntnis entsteht. Man kann alles ironisch sehen, korrekt, und dann?
Deshalb betrachte ich Ostern, selbst wenn niedliche Zombiemaushasen auf dem Tisch stehen, ohne dies vor anderen oder mir ironisch zu relativieren – hihi, ich wohne zwar am Stadtrand und backe Hefezopf, aber ironisch, deshalb bin ich megakrasscool, obwohl ich am Stadtrand wohne und Hefezopf backe, hihi. Mein Ostern ist eine offene Feier des Lebens und der Schönheit. In die Vorstellungen von Leben und Schönheit passen niedliche Zombiemaushasen prima mit rein, das ist megakrasscool, aber nicht ich bin es deswegen.
Wäre ich eine klassische Schöpfergöttin, würde ich Mäuseartige und Hasenartige morphen und Kleine Großartige nennen – Maushasen und Hasenmäuse einfach glamouröser als gemeine Hasen und Mäuse.
Ironie gibt es in meinem Ostern also in Details, aber nicht konzeptuell und nicht als Teil meiner Haltung. Diese »Osterhaltung« ist insofern mein eigenes Ideal der Lebensführung: bisschen zwanglose Ironie immer okay, aber bloß weg von der universalen ironischen Zersetzung jeder menschlichen Wahrnehmung und Regung, Schluss mit Perma-Ironie. – Mein 80s/90s-Ich rollt ungläubig mit den Augen, ist mir aber egal, es wird auch noch auf den Trichter kommen.
Notorisch witzig-ironische Menschen haben spätestens jetzt bemerkt, dass man Osterhaltung auch Ost-Erhaltung lesen kann und werden sich auf nichts anderes mehr konzentrieren können, vielleicht bauen sie sich darauf auch eine komplette Comedy-Karriere im alten Fernsehen auf, aber das ist ein anderes Thema. Andere Menschen ächzen einmal kurz auf, weil sie unfreiwillige Kalauer genauso unlustig finden wie absichtliche und widmen sich dann wieder dem Inhalt. Choose your team.
Mein Ostern ist einfach schön, wunderschön sogar – Schönheit ist wirklich Wunder genug –, weil draußen gerade die ersten, zarten, kleinen Frühblüher durch sind und die zweite Runde mit den flamboyanten Tulpen und Narzissen losbrettert, weil Sträucher in allen Farben blühen, an die manche Menschen, die auch gern mal so bombastisch dekorieren wollen wie die Natur noch zusätzlich Eier hängen.
Auch darüber habe ich mich früher lustig gemacht, heute nehme ich das mit der Geschmacksache wirklich ernst und ordne für mich persönlich hässliche Anblicke als anderen, aber nicht mehr als »objektiv« schlechten Geschmack ein und urteile vor allem sehr viel seltener außerhalb meines Kopfes darüber. Interessanterweise finde ich seitdem viel weniger hässlich, einfach, weil ich nicht die ganze Zeit unnötig aka ungefragt ästhetisch bewerte. Es lohnt sich ohnehin sehr, die Aufregungsenergie dafür aufzusparen, wenn die Nachbarin einen Freund vom Kind rassistisch von der Seite anquatscht; ihren Vorgarten soll sie dekorieren, wie es ihr beliebt, okay, solange sie nicht schwarzweißrot flaggt.
Deshalb kann es auch kein »richtiges Ostern« geben, wie Manufactum es nennen und vermarkten würde, vermutlich mit minimalistischen, nur leicht gewachsten Zedernholzeiern und einem Hasen, den einst eine Meisterschülerin des Bauhaus ersann. Aber auch »mein Ostern« weist einige Traditionen auf, die es in vielen anderen irgendwie christlich geprägten Familien gibt, weil man sie zurecht oder unrecht für christlich hält: am Sonntag und am Montag jeweils ein spätes Frühstück mit einem riesigen Hefezopf und sehr vielen gekochten Eiern.
Am Sonntag werden außerdem Schokoeier und -osterhasen versteckt – aktuell, weil die Kinder gerade erwachsen sind und nur mäßig Freude am Kindsein haben, in einer sehr symbolischen Art mit einem einzigen Sammelversteck (Oster-Innovation 2021 meines Mannes). Woran die Söhne nicht vorbeikommen, ist die Pflicht, für die Suche ihr Körbchen zu nehmen, es ist nicht von Manufactum, sondern von Blume 2000, geschätzt aus dem Jahr 2008.
Der Schwarzweißfilter gaukelt vor, dass es ein altes Bild aus der frühen Kindheit der Teens ist, tatsächlich aber ist es neu und die kleinen Händchen sind große Hände. Bilder lügen nicht, aber lassen oft nicht der Realität entsprechende Deutungen zu.
Wie so oft, wenn besonders positive Emotionen und hohe Erwartungen im Spiel sind, weicht man, damit alles möglichst schön wird, zu Gelegenheiten wie »meinem Ostern« gern mal von eigenen moralischen Standards ab. Kaufe ich vielleicht doch weiße Tierquäl-Eier, weil sie sich einfach viel besser mit verdünnter Wasserfarbe pastellfarben tönen lassen und es sie fast nie in Bio gibt? Oder gibt es vielleicht doch ein immer plausibler werdendes anderes »schön«, das Ästhetik und Ethik ineinander fließen lässt.
Früher: oldschool pastellschön mit möglicherweiße Nicht-Bio-Eiern (= Image ist alles)
Jetzt: newschool nichtganzsopastellschön (= mein freiwilliges moralisches Handeln oder auch Verzichten ist Teil der Gesamtschönheit)
Bezogen auf die Eier heißt das: Nimmt das Gefühl, zugunsten von Moral etwas weniger klassische Schönheit zu bekommen, vielleicht mit der Zeit ab, weil man beginnt, einen hybrideren Schönheitsbegriff zu entwickeln und tatsächlich mehr schön zu finden, also gar nicht mehr zugunsten von Moral Abstriche bei der Schönheit machen zu müssen?
Ja, meiner Beobachtung und Erfahrung nach gibt eine in Entwicklung befindliche hybride ethische Ästhetik, und im Kern geht es darum bei all meiner Arbeit aus den letzten fünf Jahren.
Wie immer gilt: Nur weil man selbst mit Umsehenlernen beschäftigt ist, muss man weder missionarisch noch fies werden, wenn andere das nicht genauso machen, vor allem dann nicht, wenn sie weniger Zeit, Muße und Geld haben, um sich Verzicht auf hohem Niveau leisten zu können.
Etwas Neues: Hasenfest
Wie so oft dieser Tage und im New Frohmanntic lohnt auch zu Ostern der Blick auf Animal Crossing New Horizons. Dort umgeht man nämlich geschickt den Eiertanz (sorry) um religiöse Feste, die zwangsläufig Anders- und Nichtgläubige ausschließen, indem man die Feiertage umbenannt hat: Für christlich getönte Feste heißt das etwa: Weihnachten ist Spielzeug- und Ostern Hasentag. Der zu feiernde Bunnyday-Hase im Spiel ist leider eine schreckliche Nervensäge, aber das ist ein anderes Thema. Ich habe ihn irgendwann einfach stehen lassen. Statt dessen habe ich für Menschen aus meiner Spielgruppe Kunst auf meiner Insel Laseronia versteckt, Originale, keine Fälschungen, die Eule im Museum wird sich nicht aufregen müssen! So wurde 2021 »mein Ostern« um eine schöne Lage erweitert
Happy Bunnyday, frohen Hasentag euch allen, ingame und inüberall.
Etwas Geborgtes: Ein Hasenbild
Dieses Bild (Abre numa nova janela) habe ich gestern auf Instagram gesehen und daraufhin zu kaufen versucht, weil ich 1. die Arbeit von Martina Minette Dreier schon lange toll finde, 2. Ostern ist und ich im Zustand maximaler Hasenliebe bin, 3. dieser spezielle gemalte Hase mich instant gerührt hat, 4. wenn einem Menschen gerade eher zu viel sind, ein Hasenbild einfach ideal erscheint. Leider ist, wie ich jetzt weiß, der Hase ein Detail eines work in progress, es wird also nichts mit einem menschenfreien rührenden Hasenbild in meinem neuen Arbeitszimmer, aber zum Glück gibt es ja das Internet und ich kann den Hasen so oft ich will auf Instagram ansehen.
Etwas Uncooles: Plüsch- und Blechhasen
Der Dritte von links in der oberen Reihe ist Mümmel, ich habe ihn mit elf Jahren zu Ostern bekommen, also knapp an der Grenze zum Alter, wenn man potenziell anfängt zu knutschen, woraufhin man sich schlagartig erwachsen fühlend Stofftiere in Kisten steckt und in den Keller bringt. Trotzdem habe ich damals noch eine tiefe Liebe zu Mümmel entwickelt, heute ist er mein einziges überlebendes Stofftier.
Eine gewisse Entkopplung von Vorstellungen biologischen Alters kann ich bei mir bis heute feststellen. Darf ich euch meinen Hasen ohne Namen vorstellen, ich habe ihn letztes Jahr zwischen Lockdown eins und zwei für drei Euro bei einem Trödler in München gekauft, weil ich für die ca. 30 Euro für einen neuen Lindt-Plüschhasen immer zu geizig gewesen und dieser hier wirklich glaubhaft »unbenutzt« war. Ja ja, ich habe ihn trotzdem noch gewaschen, keine Sorge.
Und ganz zufällig ist mir letzten Mittwoch bei meinem Supermarktbesuch des Monats dieser kleine Blechkoffer begegnet.
Es ist typisch für in den 1980ern geprägte Menschen, ironisch Produktmarken-Maskottchen zu sammeln, aber bei mir und dem Lindt-Hasen ist es anders: 1. habe ich nur insgesamt vier Sachen, also keine Sammlung, 2. finde ich den Hasen unironisch niedlich.
Oh, wenn es aber nicht ironisch geschieht, ist der Besitz von Plüsch- und Blechhasen tüddelig und total uncool, gibt mein 80s-Ich zu bedenken. Ist mir egal, 80s-Ich, es tut niemandem weh, und ich finde es schön.
Wisst ihr, was wirklich uncool und hässlich ist? Clickbait, und zwar ironisch und unironisch.
Rubrikloses
Alles fließt, warum auch nicht
Gute Verstecke
Bad Easterbunny
Melancholischer Winterfund
Gebt es bitte zu, Hasen sind einfach premium cute.
Guerlica
(Das war am 23.3.2018 in etwas anderer Fassung (Abre numa nova janela) der erste Tweet im eigenen Account der @pgexplaining. Neulich habe ich ihn inklusiver umgeschrieben, und guess what, mir ist kein Zacken aus der Krone gefallen, Sprache lebt auch noch.)
Zurück zum Laber-Läzismus, zu den Laber-Läzistischen, wir sehen uns in einer Woche wieder.
– Seid lieb, nur nicht zu Nazis.
FrauFrohmann
Bitte empfehlt New Frohmanntic in allen Welten weiter. Wenn ihr könnt und wollt, werdet zahlendes Mitglied (Abre numa nova janela) mit einem Betrag, der euren jeweiligen Möglichkeiten entspricht. Ich schreibe aus Überzeugung für alle frei zugänglich, aber brauche wie andere Sterbliche auch Geld zum Leben.
Abbildungen (c) Nyan Cat und Hase sind Frühwerke von T. Frohmann, die Vorlagen der Guerlica-Bilder stammen von cis-männlichen Malern, die aus konzeptuellen Gründen totgeschwiegen werden, alle anderen Bilder sind von mir.