Folge 104
Vorweg
#ABC #Katze #Schnee
Etwas Altes: Die Jugend in UNSEREN Band-Shirts
Das Alter:
Die Jugend hat keine Bands mehr.
Die Jugend ist so unkreativ und macht uns einfach alles nach.
Die Jugend kauft bei H&M Shirts von Bands, die sie nicht mal kennt.
Die Jugend:
Stimmt es, dass ihr heute oft von euren Bands sprecht, obwohl ihr in deren großer Zeit noch in der Grundschule wart?
Stimmt es, dass es viel mehr deutsche Ex-Punks gibt, als es Punks gab?
Stimmt es, dass Bandshirts bei Konzerten früher schon so teuer verkauft wurden, dass sie eher ein Mittelschichtsding waren?
– Adultsplainers, leave those kids alone.
Einst alternative Musik und Jugendkultur zum unberührbaren Heiligtum zu popkanonisieren, ist absurd.
Es ist Kapitalismus, deshalb kommt alles, was Menschen berührt, in den Fleischwolf. Die Jugend kann am wenigsten dafür.
Etwas Neues: Fotografiergebot
Fotografieverbote, etwa bei Konzerten, Promihochzeiten und in Clubs, kennt man. Sie dienen meist dazu, die Atmosphäre intakt zu halten aka ungestörten Kunst- oder Drogengenuss zu ermöglichen, manchmal wollen die Gastgeber_innen sich aber auch einfach einen Millionen-Dollar-Exklusiv-Deal mit einem Medium gönnen.
Eher im Verborgenen wirken hingegen Fotografiergebote, wie das Gruppenselfie, mit dem man (unnötig) allen Nichtanwesenden signalisiert: WIR hatten die beste Zeit unseres Lebens und du nicht, WIR sind jetzt BFF und du nicht, WIR machen Premiumdinge, z. B. Revolution, und du nicht.
Ein weiteres, sozial weniger passiv-aggressives Fotografiergebot greift, wenn man in die Nähe dauerhafter oder temporärer Topmotive kommt; aus passionierten Fotografen, die zumindest im deutschsprachigen öffentlichen Raum irgendwie immer weiße cis Männer zu sein scheinen, wachsen dann sofort Stative, und auch ich, die in diesem Sinne nicht passionierte Fotografin, muss zwanghaft mein Smartphone rausnehmen und mindestens zwanzig Fotos machen, die die Welt nicht braucht. Das ist irgendwie cringe, aber es tut anderen nicht weh, also, was soll’s.
Etwas Geborgtes: Ein Zitat
»Zärtlichkeit ist die tief gefühlte Sorge um ein anderes Wesen und seinen Mangel an Immunität gegen Leid und die Auswirkungen der Zeit. Zärtlichkeit nimmt die Bindungen wahr, die uns verknüpfen, die Ähnlichkeiten und Gleichheit zwischen uns. Es ist eine Art zu sehen, die die Welt als lebendige zeigt, lebend, vernetzt, kooperierend und abhängig. Literatur baut auf Zärtlichkeit gegenüber jedem Wesen auf, das nicht wir selber sind.«
– Olga Tokarczuk in ihrer Nobelpreisrede, 2018
Etwas Unheimliches: Der reaktionäre Stil- und Benimm-Hype
TikTok und Insta sind neuerdings voll mit Accounts, in denen offiziell adelig benamte oder sonstwie unglaublich distinguierte Personen erklären, wie man sich richtig anzieht und benimmt. Kann man machen, kann man halb witzig und halb interessant finden, aber behaltet bitte im Hinterkopf, dass das alles zur Fahrt im großen Rückwärtskarussell gehört, genauso wie etwa Retromode.
Mal ein Näschen davon nehmen, warum nicht. Drauf hängenbleiben, nein nein nein. Außer, ihr seid eh schon auf dem Weg, in ein paar Jahren mit euren fünf oder mehr weißdeutschen Premiumkindern in ein Herrenhaus in Brandenburg zu ziehen, wo schon Gleichgesinnte auf euch warten. Abtreibung findet ihr dann längst problematisch, Schminke unnötig, Woke irgendwie künstlich und überdreht. (Noch könnt ihr bremsen und umkehren.)
Over? In den letzten Jahren war es in meinem Gesichtsfeld angenehm nebensächlich geworden, wie man die Gabel hält und was die passende Kleidung für einen Opernbesuch ist.
Sich jetzt, weil in all den Krisen Halt fehlt, internet-ironisch einen Habitus anzugewöhnen, der einen unmerklich Menschen ähnlicher macht, die man in der Realität sehr oft Arschloch nennt, scheint mir eine sehr schlechte Idee zu sein. Diese Stil- und Benimmvideos haben mich deshalb ungefähr fünf Minuten lang unterhalten, dann aber heftig abgestoßen.
Menschen brauchen 2023 inmitten einer brennenden Welt keinen Stil-Unterricht, sondern Übungen in Empathie und Impulskontrolle. Konsumieren werden sie natürlich den reaktionären Kram, ist ja auch eine schöne Abwechslung zum ewigen Verächtlichkeitsfernsehen.
Rubrikloses
Performative Aufklärung to go: Jeden Tag, wenn es irgendwie geht, ein gutes Zitat von einer marginalisierten Person in einem sozialen Medium oder einer Zitatdatenbank posten. Du änderst so die Wirklichkeiten: deine und die von anderen.
Schnee ist eine gute Metapher für Weißsein: kann sehr rein glitzernd daherkommen und megatödlich sein.
Natternteller im Museum, warum?
Das ist eines meiner liebsten Fotos, weil es gute Fragen aufwirft: Wer tritt da in wessen Fußstapfen? Ist die erste Spur der zweiten vorrangig? Der größere Abdruck dem kleineren? Sind Laser (Katze) und ich Teil voneinander?
Präraffaelitische Girls erklären
Zurück zur Literatur, wir sehen uns nächste Woche. Seid lieb, nur nicht zu Nazis.
XOXO,
FrauFrohmann
Ich freue mich, wenn ihr für eine Weile ein Bezahlabo (Abre numa nova janela) abschließt – Kündigungen werden hier wirklich nie persönlich genommen – oder über Paypalme (Abre numa nova janela) Laser eine Katzenmilch spendiert. Wer wenig Geld hat, liest bitte mit bestem Gewissen kostenlos mit.
FYI: Das Coverbild ist minus der rosa Einfärbung The Nightmare von Johann Heinrich Füssli aus den Jahren 1790/91.
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