Folge 12
Etwas Altes: Ein Kofferraum voller E-Books
Mein erstes E-Book war nicht ein einzelnes, sondern eine ziemlich große Portion 18. und 19. Jahrhundert im Project Gutenberg, irgendwann in den späten 90er-Jahren gelesen auf dem Laptop. Es begann zwar klar benennbar mit Edgar Allan Poes Tales of Mystery and Imagination, die ich aus Recherchegründen wiederlesen wollte, ging dann aber sofort in eine Entsprechung des Leseflusses und Netflows über, als ich mir, ohne groß zu überlegen, ekstatisch »den ganzen Poe«, »den ganzen Flaubert«, »den ganzen Kleist«, den »ganzen – was auch immer assoziativ nachdrängte« runterlud und alles sofort Prozent um Prozent verschlang. Auf Formate habe ich damals wie heute nicht übermäßig geachtet: Ich lese online, ePub, mobi, PDF, je nachdem, was es gibt und was auf meinen jeweiligen Gerät funktioniert. Mein erstes E-Book aka meine ersten paar Dutzend E-Books fühlten sich in ihrer überwältigenden Zugänglichkeit wie eine sehr erfreuliche erwachsene Fortsetzung der kindlichen Tradition an, einmal in der Woche nach dem Besuch der Stadtbibliothek einen Auto-Kofferraum voller Bücher durchzulesen.
Mittlerweile sieht meine E-Bibliothek weniger klassisch, sondern ähnlich heterogen aus wie früher die physische meines Großvaters, der ich viele abstruse Kenntnisse verdanke – Literaturwissenschaftler*innen täten sich schwer, sich einen Reim darauf zu machen.
Zuerst am 25.6.2016 auf Tumblr gebloggt (Abre numa nova janela). Ich habe nachträglich gegendert. Aufmerksamen Leser*innen wird auffallen, dass ich damals noch ganz arglos überwiegend Bücher von weißen cis Männern gelesen und promotet habe.
Etwas Neues: Mit Sprache wachsen
Ja, man kann auf dem Boden rumkriechen und im Schlamm wütend nach dem Zacken suchen, der einem aus der Krone gefallen zu sein scheint. Oder man betrachtet die in den letzten Jahren nicht mehr verstummenden Forderungen nach einer gerechteren Sprache als poetische Herausforderung, als ästhetische Quest. Dann wird man schnell feststellen, dass man keinesfalls mit Gendersternchen zugekleisterte, hölzerne Texte verfasst, sondern plötzlich tote Winkel der eigenen Darstellungsgewohnheiten wahr- und neue Perspektiven einnimmt. Muss ich wirklich »Frau« schreiben, um im konkreten Kontext eine hinreichende Vorstellung zu vermitteln, genügt gerade nicht »Person mit halblangem dunklen Haar«? Sollte ich Figuren in meinem Text nicht besser als »weiß« markieren, wenn ich eben unbedingt jemanden »schwarz« nennen musste? Ist es nicht denkbar, einzelne oder auch mal alle Figuren mit Namen und Looks auszustatten, die es Lesenden selbst überlassen, ob sie diese mit einem bestimmten Geschlecht oder ganz von solchen Vorstellungen entkoppelt wahrnehmen?
Man kann alle diese Fragen individuell und unterschiedlich beantworten, aber es tut dem Schreiben gut, sie zu stellen. Man wird dadurch nicht befangener – das glaubt man vermutlich erst, wenn man es ausprobiert – , sondern gewöhnt sich allmählich an, eine Szene ganz selbstverständlich aus verschiedenen möglichen Blickwinkeln zu betrachten. Eigentlich etwas ganz Normales für Schreibende. Schön auch, dass man dabei fühlbar wächst: als sprachverfasstes und Sprache verfassendes Wesen, als Autor*in und als Mensch.
Es ist sogar möglich, Texte mit gerechter Sprache ohne Gendersternchen zu schreiben, falls es wirklich um deren typografische Hässlichkeit geht – ehrlich gesagt, kaufe ich das aber Menschen nicht ab. Hätte Arno Schmidt nicht nur Neologismen, sondern auch Gendersternchen geballert, sähe die Sache ganz anders aus. Wirklich ganz anders, kategorial anders.
Über Jahre loopende Meta-Debatten können doch keinem Menschen Freude bereiten. Wendet euch bitte wieder dem Leben, der Literatur, der Sprache, den Menschen zu. Kommt wieder in den Flow, da ist es viel schöner.
Etwas Geborgtes: Ein Zitat
»Für Frauen ist der Wunsch oder das Bedürfnis, einander zu unterstützen, nicht pathologisch, sondern eine Lösung, und das zu erkennen gibt ihnen ihre wahre Stärke zurück. Genau diese Art wahrer Verbundenheit fürchtet die patriarchalische Welt so sehr. Die einzige gesellschaftliche Machtposition, die Frauen innerhalb patriarchalischer Strukturen offensteht, ist die der Mutterschaft.
Gegenseitige Unterstützung eröffnet Frauen die Möglichkeit, frei zu leben und zu sein – nicht um benutzt zu werden, sondern um zu gestalten. Dies ist der Unterschied zwischen passiver Existenz und aktivem Leben.«
– Audre Lorde, Sister Outsider (Abre numa nova janela)
Etwas Uncooles
Diese Liste hat ein notorious Sp...r-Chefredakteur, von dem viele von euch auf Twitter leider nicht lassen können, irgendwann in den Nullern als Chefredakteur von Vanity Fair Deutschland an sein Team verteilt. Sie wurde vor langer Zeit in meinem Freund*innenkreis geleakt. Ein früher Fall von »Sprachpolizei«, omg.
Rubrikloses
ACAB, aber Italien ❤️❤️❤️ ...
Rührende Anblicke
Pastellschön
Weiß leider nicht mehr, wer das »deutsche Genie« war, vermutlich »Karl«, aber dachte, falls ihr noch einen letzten Anreiz brauchen solltet, um vom Genie-Begriff abzulassen ...
Ihr müsst ihn aber auch lassen.
Guerlica
Zurück zur nicht endenden Hetze, zu den entsetzlich Hetzenden. Wir sehen uns nächste Woche wieder. Seid lieb, nur nicht zu Nazis.
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