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Der Baerbock-Fussi-Skandal und die völkische Seele

Ich wollte es wirklich nicht thematisieren. Wirklich wirklich.
Stammleser wissen, dass ich gerne trigger und den Aufgeregten dann einfach mal Fragen stelle.
Nirgendwo kommt man so leicht an Laborratten, wie auf Social Media. Die sich auch noch alle freiwillig melden.
Und der Baerbock-Fussi-Flieger-Skandal hat einen empirisch nicht repräsentativen, aber doch umso tieferen Blick in die deutsche Volksseele erlaubt. Oder besser: in die völkische Seele.

Am Dienstag, dem 02.07., berichteten die Bild und andere Schmutzblättchen darüber, dass die Außenministerin Annalena Bearbock das EM-Spiel Deutschland vs. Schweiz im Frankfurter Stadion angeschaut hat. Nach dem Spiel ist sie mit einer Regierungsmaschine nach Luxemburg geflogen, wo sie am nächsten Morgen das Treffen der EU-Außenminister stattfand.

Alleine die Formulierung der Überschrift („pfeift“) zeigt doch, was beabsichtigt ist.

Skandal, das Netz geht steil.

Am gleichen Tag habe ich dazu einen lapidaren Kommentar auf dem X-Account von U.M. veröffentlicht. Bisher über 400 Kommentare, und die Uhr läuft nach wie vor.
Es wird wild argumentiert und spekuliert. Was ich mir natürlich nicht entgehen lassen konnte. …ich weiß, ich bin schwach und berechenbar.

Man möge mir verzeihen, ich muss es kurz aufarbeiten.

Die Berichterstattung

Der Redakteur Stefan Schlagenhaufer bedient sich des gesamten Repertoires der rhetorischen Finesse, um einen Skandal zu erzählen. Und er bedient damit sehr zielgenau die Aufreger von – nennen wir sie einmal freundlich – Konservativen, die den Grünen nicht wohlgesonnen sind.

„Am 23. Juni um 23.54 Uhr hob trotzdem eine Maschine ab. Das laute Brüllen der Rotoren war im ganzen Frankfurter Süden zu hören.“

Der Einstand lässt bereits sprachlos zurück.

Zunächst beglückwünsche ich Herrn Schlagenhaufer ausdrücklich für die intensive Recherche, in der es ihm gelungen ist, noch Ohrzeugen für eine Nacht vor einer Woche zu finden, die in einer Stadt wie Frankfurt ein lautes „Brüllen“ wahrgenommen haben.

Zum zweiten… und ich weiß nicht wie ich es formulieren soll…
Rotoren?
ROTOREN?
WTF?
Die 1960er haben angerufen, die wollen ihre Flugzeuge wiederhaben.
Wenn die Flugbereitschaft der Bundeswehr, in einer der weltweit wichtigsten Wirtschafts- und Exportnationen, noch mit Propellermaschinen unterwegs ist… Kinnings, dann haben wir ein weit größeres Problem als das hier.

Wir können den Satz also bereits getrost als Märchen und Manipulation abtun.

Darüber hinaus zitiert die Bild den Landtagsabgeordneten Dr. Stefan Naas von der FDP: „Das sieht man mal, wie die Grünen ihre eigene Basis ernst nehmen. Das ist grüne Doppelzüngigkeit vom Feinsten: Den Bürgern das Fliegen madig machen und dann selbst auch noch das Nachtflugverbot umgehen, um von Frankfurt nach Luxemburg zu fliegen. Luftlinie 184,36 Kilometer. Echt jetzt?“ [sic]
Wir erinnern uns: Das ist die Partei, die in Berlin zusammen mit den Grünen die Regierung bildet. Und dann äußert sich ein Hinterbänkler einer Partei mit 8 von 133 Sitzen aus dem Landtag in Hessen so? Gegenüber der Bild?
Kann man mal drüber nachdenken.

Nius hat übrigens auch berichtet, das tue ich mir aber gar nicht erst an.

In den weiten Debatten sind mir immer wieder genau die Argumente begegnet, die Schlagenhaufer anbringt. Und die Menschen merken gar nicht, dass sie von Populisten am Ring in der Nase durch die Manege gezogen werden. Mehr noch: Sie mögen es.

Gehen wir sie einmal durch.

„Baerbock war selber gegen Kurzstreckenflüge“

Ja, war sie. Wird sie sicher immer noch sein. Bin ich übrigens auch.

Aber, um das provozierend zu formulieren, das gilt doch nur für den Pöbel. Nicht für die Flugbereitschaft der Bundeswehr.
Also auch für mich, wenn ich zur Touri-Vollklatsche nach Sylt will, weil ich zu Hause mit übergehängten Pullovern über Hemden für 300 Euro meinen Aperol Spritz über den Kopf bekomme. Zu Recht. Oder zum Meeting von Hamburg nach Berlin.

Es ist völlig absurd, dass man sowas überhaupt noch erklären muss.

„Die Grünen haben ein Nachtflugverbot zur EM durchgesetzt“

Um korrekt zu bleiben, haben die hessischen Grünen wohl gegen eine Lockerung des Nachtflugverbotes in Frankfurt plädiert.

Ich habe aber nicht einmal Bock diesen Punkt zu recherchieren, denn da sie im hessischen Landtag ebenfalls nicht in der Regierung sind, haben sie das wohl kaum „durchgesetzt“. Wie sie übrigens auch nie Atomkraftwerke „verboten“ haben.

„Das Fußballspiel war Privatvergnügen“

Nun, ich kann wirklich keine Aussage dazu treffen, wie sehr Frau Baerbock sich für Fußball interessiert und wie dringend sie das Spiel live im Stadion sehen wollte.
Aufgefallen ist mir jedoch, dass ihre Anwesenheit grundsätzlich und per se von vielen als Privatvergnügen verstanden wurde.

Ich bin recht sicher, dass diese Menschen keine Vorstellung davon haben, wie das abläuft und mit welchem logistischen Aufwand so etwas verbunden ist.

Zunächst einmal wird Frau Baerbock sicher nicht persönlich gefragt. Sondern es gibt Kontingente, die dann entsprechen der aktuellen Wichtigkeit der Ämter und Parteien verteilt werden. Es schlägt dann die- oder derjenige zu, der Zeit hat und mag.
Mit Baerbock auf der Tribüne saßen u.a. der Bundeskanzler Scholz, der Gesundheitsminister Lauterbach, die Innenministerin Faeser, Staatsministerin Roth und der Vorsitzende der Grünen Nouripour.
Die Herren übrigens alle im Anzug.

Es ist repräsentativ. Sicher ein lustgerer Termin. Aber man sollte die Vorstellung, dass die alle zum reinen Privatvergnügen da waren, vielleicht doch nicht überbewerten. Nouripour sah zumindest nicht nach Spaß aus.
Wer das nicht versteht, sollte sich einmal anschauen, mit welch gequältem Lächeln manche Politiker im Rheinland vom Karnevalswagen winken. Oder betäubt vom Obergärigen.
Von vielen Menschen wird die Verantwortung und der Reiz repräsentativer Aufgaben unterschätzt.

Zudem wird so etwas dauerhaft durch den Personenschutz gesichert. Dafür zuständig ist vor allem (aber nicht ausschließlich) die Sicherungsgruppe des BKA. Für so ein Länderspiel ist jedes Mal ein Heer von Sicherheitsleuten im Einsatz, angefangen von der Sicherung der Strecke über die Durchsuchung des Stadions bis hin zu einem überprüften Klo.
Und das ist bei allen solchen Veranstaltungen so.

Ein Kanzler und eine Außenministerin haben dabei die höchste Priorität. Völlig unabhängig davon, wer das Amt gerade bekleidet.
Die Vorstellung, da sei eine Politikerin mal „privat“ zu einem Spiel gegangen, halte ich für leicht verzerrt. Und „leicht“ ist euphemistisch.

Ich zitiere mich selber:

„Ich bin Deutscher, ich zahle Steuern und ich möchte nicht, dass die Außenministerin, die die größte Wirtschaftsnation Europas und auch mich vertritt, mit einem Fiat vorgefahren wird und in der Jugendherberge pennt.
Ich erwarte, dass die mit einer Wegwerfstola aus Goldbarren und einem Kopfputz aus Frischgeld auf einer Sänfte ankommt. Getragen von buckligen AfD-Wählern aus Sachsen, bekleidet mit gelben Säcken. Und das Gleiche würde ich erwarten, wenn die Außenministerin von der CDU oder der SPD wäre. (Außer das mit den Sachsen. Das hab ich mir nur spontan zum Triggern ausgedacht.)
Ps.: Wer unbedingt nachts fliegen will, soll zur israelischen Luftwaffe gehen.“

Der Unterschied zwischen mir und anderen ist wohl häufig, dass ich das über jeden sagen würde, der das Amt bekleidet. Weil es um das Amt geht, nicht die Person. Einige scheinen unfähig, das zu trennen. Nicht angekommen in der Demokratie.

„Das Nachtflugverbot wurde umgangen“

Nein, wurde es nicht. Auch wenn Schmierenblätter das so bezeichnen.
Es gibt immer die Möglichkeit, dafür eine Sondergenehmigung einzuholen.

Und für die Flugbereitschaft der Bundeswehr wird diese erteilt. Weil die ja intern schon Regeln haben, wer sie überhaupt in Anspruch nehmen darf. Und wenn die das abnicken, dann ist das Nachflugverbot eines Flughafens etwa so entscheidend, wie ein Schild mit „Bitte nicht vom Beckenrand springen“, wenn einem das ganze Schwimmbad gehört. Und das scheiß Schild.

„Dass hätte die auch mit dem Taxi fahren können“

Ich weiß kaum, was ich dazu ernsthaft antworten soll. Wirklich.
Als wenn die Außenministerin alleine mit einem Taxi zu einem EU-Treffen fährt. Absurder geht es doch kaum.

Würde sie mit dem Auto fahren, wären das entsprechend gesicherte und gepanzerte Fahrzeuge (Mehrzahl) der Fahrbereitschaft, eher des BKA. Denn eine Außenministerin reist mit einem Stab.
Zudem wird die Sicherheit vorher mit dem Gastgeber koordiniert. Was die eigene Sicherheit macht und was die Sicherheit des Gastgeberlandes regelt. Und das ist einzelfallabhängig.

Das bedeutet wiederum, dass es dafür nicht nur einen Stab gibt, sondern vernetzte Experten, sicher Beamten, die das vorher koordinieren. Weit vorher.
Die Vorstellung, Baerbock hätte spontan und weil sie Lust darauf hatte, selber beschlossen, dass sie mal eben fliegt, ist schlicht infantil.
Vermutlich kann sie das nicht einmal.

Der Spiegel-Bericht

Ab gleichen Tag erschien um 18:06 Uhr ein Bericht im Spiegel, der weitere Hintergründe gab. Die ich hier nur zusammenfasse.

Der Bundeskanzler war bei dem Spiel anwesend.
Für den Bundeskanzler muss jedoch immer eine Ersatzmaschine bereitstehen.

Wer das auch für überflüssig hält, ein kleiner Hinweis:
Der Bundeskanzler ist im Kriegsfall der oberste Befehlshaber der Bundeswehr. Und die Maschinen sind so ausgelegt, dass sie als Kommunikationszentralen dienen können. Deshalb muss es immer eine Ersatzmaschine für den Kanzler geben.
Ist also gerade keine Maschine in Frankfurt in Bereitschaft, muss eine dahinfliegen. Man nennt diesen Ersatz „Hot Spare“, den „heißen Ersatz“. Er muss „heiß“, also einsatzbereit sein.

Deshalb konnte Baerbock überhaupt einen Flieger nehmen. Sonst hätte sie tatsächlich mit einer Autokolonne fahren müssen.
Und deshalb konnte die Maschine auch erst starten, nachdem klar war, dass die „Kanzler-Maschine“ zurück nach Berlin fliegen kann.

Auch das war sicher von langer Hand und nicht von Baerbock persönlich geplant. Denn die musste am nächsten Tag von Luxemburg aus nach Israel fliegen. Hätte dann also kein Flieger in Luxemburg gestanden, hätte er extra aus Berlin kommen müssen.

Baerbocks Flug von Frankfurt nach Luxemburg hat also im Grunde Flugmeilen gespart. Und nicht mehr verursacht.

Eine Neiddebatte

Ich wurde in den Kommentaren auf X gefragt, wo die angeblichen Hass und Hetze seien. Das sei alles nur berechtigte Kritik. Da bin ich ausgestiegen.

Denn diese Hintergrundinformationen zeigen sehr deutlich, wie dieser Beitrag der Bild verfasst wurde. Mit Emotionalisierung, Weglassen, irrelevanten Vergleichen und Populismus. Brot und Spiele für den Pöbel. Gezielt und bewusst.
Was in den Kommentarspalten abging, kann man sich denken.

Und wie zu erwarten, ist genau die gewünschte Zielgruppe darauf angesprungen.
Es waren viele Kommentatoren dabei, von Menschen mit deutscher Flagge im Profilbild, einige Accounts, die sich schnell als Querdullies ausgewiesen haben, und vor allem viele Menschen, die keinerlei Ahnung davon haben, was es heißt, Außenministerin eines Landes wie Deutschland zu sein. Die überhaupt keine Relationen dazu haben und die tatsächlich glauben, Baerbock hätte auch mit dem Taxi fahren können.

Diese Zielgruppe hat das Gefühl, dass die Regierung, „die da oben“, ihnen Freiheiten nehmen und elitär handeln. Sie haben keine Vorstellung davon, was den Unterschied ausmacht. Denn sie wissen ja nicht, welcher Aufwand für Regierungspolitiker „normal“ ist.
Deshalb sind sie nicht in der Lage zu erkennen, dass eine Regierung rechtsaußen weit elitärer handeln würde.

Es wird nicht verstanden, dass „Freiheit“ eine rechte Umschreibung für mehr Eliten, größere Schere und eine spitzere gesellschaftliche Pyramide ist. Für mehr Niedriglohnjobs, beschissenere Bedingungen für Arbeitnehmer, weniger Hilfe.
Sie lesen das Programm der AfD nicht oder verstehen nicht, was da steht. Stattdessen fallen sie darauf herein, wenn die Populisten sie tanzen lassen wie die Marionetten. Geifernd vor Hass und Neid.

Der Unterschied zu mir - dem u.a. auch „Obrigkeitshörigkeit“ vorgeworfen wurde - ist die nüchterne Erkenntnis, dass es immer eine gesellschaftliche Hierarchie gibt. In jeder Gesellschaft, weltweit, unter jeder Regierung, in jeder Staatform, seit der neolithischen Revolution. Auch wenn ich politisch eher links bin und dafür, die gesellschaftliche Pyramide möglichst flach zu halten. Denn das ist der prägnanteste Unterschied zu Rechts.
Trotzdem käme ich nie auf die bescheuert egozentrische, größenwahnsinnige Idee, die Maßstäbe, die für mich gelten, auf eine Außenministerin anzulegen.

Tópico Medien und Politik

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