Leserfrage: Die Drohnen, die SPD und dä Mützenisch
Eine spannende Leserfrage erhielt ich gestern Mittag, überraschenderweise erneut über Instagram.
Ein Nutzer bat mich, einmal meine Sichtweise bezüglich der Heron Drohne der Bundeswehr kundzutun. Er sei Mitglied der SPD und im Ortverein gäbe es gerade eine Diskussion.
Dem komme ich gerne nach.
Erneut möchte ich zwei Dinge voranschicken. Meine Zielgruppe sind Laien.
Zum ersten stehe ich der SPD nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber. Ich selber bin passives Mitglied der Grünen.
Demokratie wird vor allem durch die Basisarbeit und eben solche Diskussionen gelebt. Und die können dann auch innerhalb einer Parteibasis schon mal mit harten Bandagen ausgefochten werden. Das ist gut und richtig so. Ich habe sogar schon mit einem lokalen CDU-Vertreter einige Biere getrunken. Wahnsinn, ich weiß.
Genau so geht Demokratie. Und das ist leider in der Breite und auf Social Media verloren gegangen. Von daher: Lieben Gruß an den Ortsverein.
Zum zweiten haben Politiker keine Ahnung von Militär. Und umso weniger Ahnung die breite Gesellschaft von Militär hat, umso weniger haben das ihre demokratischen Vertreter. Ich kritisiere das zutiefst. Wir haben 30 Jahre lang einen friedensbesoffenen Wunschtraum geträumt und jammern jetzt schlaftrunken „Ich will heute nicht in die Schule“. Das sage ich als Pazifist und ehemaliger Unteroffizier.
Andererseits habe ich aber auch etwas dagegen, das mit einem „die haben keine Ahnung“ vom Tisch zu wischen. In unserer Demokartei hat die zivile Politik das Diktat über das Militär. Das ist gut und richtig so. So haben unsere Gründerväter das vorgesehen, und das wollen wir auch bitte nicht ändern.
Dann müssen halt Menschen, die Ahnung haben, entweder die Politik aufklären, oder die Öffentlichkeit, so dass diese Einfluss auf die Politik nimmt.
Mützenich und die Pazifisten
Auslöser für die Anfrage und die Diskussion im SPD-Ortverein dürfte die Anschaffung der Drohne Heron für die Bundeswehr und ein Artikel der FAZ vom 26.07.2024 sein.
Mützenich würde befürchten, so der Korrespondent Peter Carstens in der FAZ, „Bundeswehr-Einheiten würden sich mit bewaffneten Drohnen in mobile Hinrichtungskommandos verwandeln.“
Ob Mützenich das so geäußert hat, weiß ich nicht. Tatsächlich gibt es aber einen Artikel von ihm von 2013, indem er das etwas weniger markig formuliert. Daran scheint sich nichts geändert zu haben.
Rolf Mützenich hat die gesamten 1980er hindurch vor allem Politikwissenschaften studiert. Seine Doktorarbeit trägt den Titel „Atomwaffenfreie Zonen und internationale Politik“.
Und damit kann man bereits ermessen, wes Geistes Kinde Dr. Mützenich ist. Groß geworden in der Zeit der Anti-Alles-mit-Atom-Bewegung. Als auch die Grünen gegründet und groß wurden, aber noch nicht erwachsen.
Heute ist Mützenich nicht nur Fraktionsführer. Sondern die Leitfigur derjenigen innerhalb der SPD, die sich als Pazifisten verstehen und sehen wollen.
Zum Schlagwort geworden ist sein Vorschlag, man solle den Krieg in der Ukraine „einfrieren“.
Wenn mir diese Bemerkung erlaubt ist: Der Krieg in der Ukraine ist auch das Ergebnis, weil da ganz lange Konflikte „eingefroren“ wurden. Im Grunde ist alles, was uns gerade im Nahen Osten um die Ohren fliegt, ein Ergebnis von „Einfrieren“. Weil Konflikte eben nicht ausgefochten wurden, völlig egal ob diplomatisch oder militärisch.
Denn wenn die Diplomatie es nicht in angemessener Zeit schafft, wird irgendwer zur Waffe greifen. Wir wissen seit Clausewitz, dass der Krieg eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist.
Eine Drohne ist eine Drohne ist eine Drohne
Es gibt grundsätzlich vier Arten von Drohnen.
Die erste und älteste Art ist die Aufklärungsdrohne. Die haben wir auch bei der Bundeswehr schon seit ewigen Zeiten.
Mein „Lehrberuf“ ist der eines Luftbildauswerters, ich habe also genau in diesem Bereich gearbeitet. Auch für die NATO, wir haben „den Russen ausspioniert“. Wir hatten den Tornado, das Heer hatte die Drohnen, das Trägersystem ist eigentlich egal.
Die zweite und neuste Art ist die kleine Allzweckdrohne. Die kleinen Dinger mit den Propellern. Deren Bedeutung wurde erst durch den Ukrainekrieg deutlich.
Jeder kann sich so ein Ding bestellen, eine Kamera dranhängen und Luftbilder machen. Die Ukraine hat perfektioniert, Granaten daran zu hängen und in Panzer fallen zu lassen.
Diese Drohnen werden sehr bald wieder verschwinden bzw. in ihrer Bedeutung abnehmen. Weil ihre Fernsteuerung sehr leicht gestört werden kann. Sie sind jetzt sehr hilfreich, aber ihr dauerhafter Nutzen steht auf einem anderen Blatt.
Das dritte sind die Kamikaze-Drohnen. Diese werden derzeit vor allem vom Iran in Massen produziert und u.a. an die Huthi, die Hisbollah und Russland geliefert. Die können wir getrost vernachlässigen, weil kein westliches Militär ernsthaft in Erwägung zieht, diese Dinger relevant einzusetzen. Sie sind ein preiswertes Mittel für den Terror. Aber sie werden keine Kriege entscheiden können. Umso weniger, wenn die neue Generation der Flugabwehrkanonen kommt, die in den letzten Jahren vernachlässigt wurden.
Und die vierte und letzte Art sind die großen Drohnen, die auch bewaffnet werden können.
Die Industrie macht, was die Industrie macht. Sie versucht immer den neusten und heißen Scheiß zu entwickeln und verbimseln. Weshalb sie natürlich Systeme entwickelt, die sowohl aufklären als auch Waffen tragen können.
Es geht bei dieser Debatte also ausschließlich um die letzte Art von Drohnen. Die Drohnen, die wie kleine Flugzeuge aussehen, sehr lange in der Luft bleiben können (was der Aufklärung dient) und die auch Waffen tragen können.
Was die können, können wir eh
Und nun sage ich etwas revolutionäres. Was offenbar einigen in der SPD und Herrn Mützenich gar nicht bewusst zu sein scheint:
Alles, was diese Drohnen können, kann die Bundeswehr sowieso schon.
Der Vorteil der waffenfähigen Drohnen liegt nicht darin, was sie waffentechnisch können.
Es ist preiswerter, eine Drohne als einen Jet zu entwickeln, kaufen, unterhalten und einzusetzen.
Es ist preiswerter, einen Drohnenpiloten auszubilden - auch im Team - als einen Piloten.
Eine Drohne kostet keine Menschenleben, wenn sie abgeschossen wird.
Drohnen sind keine geheimnisvollen, mythischen, gefährlichen Wunderwaffen. Man ersetzt den Piloten, der drinsitzt, schlicht mit einem oder zwei Piloten, die weiter weg sitzen. Das ist alles.
Mützenich selber bezeichnet diese Vorteile in seinem 2013er Artikel übrigens als „überragende technischen Fähigkeiten“. Behalten wir das für einen Augenblick im Hinterkopf.
Computeramok und Hinrichtungskommandos
Zwei Argumente von Herrn Mützenich müssen besprochen werden.
Zum ersten stellt er die Frage „Wer trägt die moralische Verantwortung, wenn Computer selbstständig über Leben und Tod entscheiden?“
Da frage ich mich doch, was Herr Mützenich glaubt, wie diese Entscheidung heute abläuft.
Hat ein Pilot ein Ziel „anvisiert“, drückt er den Feuerknopf und die Rakete sucht mehr oder weniger selbstständig ihr Ziel. Beim Taurus wird das Ziel sogar vorher programmiert.
Es macht überhaupt keinen Unterschied, ob diese Rakete unter einem Jet oder unter einer Drohne hängt. Jemand zielt, löst aus und den Rest machen „Computer“. Es sind die gleichen Waffensysteme, die gleichen Raketen. Drohnen oder Jets sind nur die Trägersysteme.
Ihnen die Verantwortung über Leben und Tod anzudichten, würde bedeuten, dass das System selbstständig ein Ziel auswählt. Das ist bei einer Drohne aber ebenso wahrscheinlich bzw. unwahrscheinlich, wie bei einem mit „Computern“ vollgestopften Flugzeug.
Dieser Gedankengang ist für einen Militär absolut nicht nachzuvollziehen.
Weil da offenbar die Vorstellung besteht, man schick Drohnen ohne spezifisches Ziel los, und die würden dann in der Luft selber entscheiden, wen sie beschießen. Das ist militärisch derart absurd, dass es mir schwerfällt, das irgendwie zu ergründen.
Zum zweiten sind da diese „mobilen Hinrichtungskommandos“, die Mützenich befürchtet.
Auch das kann man als Militär nur sehr schwer nachvollziehen. Also nicht gut finden oder ablehnen, sondern überhaupt nachvollziehen, wie jemand zu dieser Vorstellung kommt.
Laut Völkerrecht ist jeder Kombattant ein legitimes Ziel. Das lernt jeder deutsche Soldat bereits in der Grundausbildung.
Dafür ist vollkommen unerheblich, ob er an „der Front“ in einem Graben liegt und auf einen schießt, oder ob er sich in einem Haus 200 Kilometer hinter der Front versteckt und gerade Pizza Hawaii isst.
Genau das tut Israel derzeit. Es knipst sehr präzise und fokussiert Bunker im Gazastreifen oder Besprechungsräume in Damaskus aus.
Und auch da gilt: Es ist sowohl juristisch als auch militärisch völlig unerheblich, ob das von einem Flugzeug oder von einem ferngesteuerten Flugzeug aus passiert.
Es gibt heute (und schon lange) Raketen, die es ermöglichen, genau einen Raum in einer Schule im Gazastreifen, in dem sich Hamas-Kämpfer befinden, zu entkernen. Selbstverständlich werden diese Waffen dafür genutzt. Dafür sind sie gemacht.
Aber das ist kein Alleinstellungsmerkmal von Drohnen. Die Bundeswehr verfügt, wie jedes „westliche“ Militär, über solche Systeme.
Pazifistische Bedenkenträger
Liest man Mützenichs elf Jahre alten Artikel aufmerksam, kann man sehr wohl den Gedankengang verstehen, der zu dieser Ablehnung führt. Denn er referiert dort ausführlich über Nebenkriegsschauplätze, die mit der eigentlichen Frage gar nichts zu tun haben: Braucht die Bundeswehr waffenfähige Drohnen?
Er schreibt von „extraterritoriale Tötungen“ und dem Völkerrecht. Und natürlich referenziert er die USA unter Obama.
Aber das ist völlig unerheblich. Denn es obliegt doch der Politik, den Rahmen zu bestimmen, in dem waffenfähige Drohnen eingesetzt werden dürfen. Genauso, wie es der Politik obliegt, darüber zu entscheiden, ob ein Krieg oder der Einsatz von Flugzeugen gerechtfertigt ist.
Wenn er juristische Bedenken hat, dann liegt die Lösung nicht beim Militär. Sondern beim Bundestag, das über das Militär bestimmt und in dem er sitzt.
Eine einzelne Person auszuschalten ist selbstverständliche Praxis. Und wem das einen Knoten im Magen macht, der sollte erst einmal sein pazifistisch-moralinsaures Weltbild hinterfragen. Denn zu Ende gedacht bedeutet sein Gedankengang, dass es besser ist, Bomben auf Hunderte anstatt auf Einen zu werfen. Dass es besser ist, das Leben der eigenen Leute zu riskieren, als gegen eine Moralvorstellung zu verstoßen, die im zivilen Miteinander Sinn macht, im Krieg aber noch nie eine Rolle spielte.
Jeder Staat ist gut beraten, den Menschen, die ihr Leben für ihn riskieren, alles an die Hand zu geben, was innerhalb des Völkerrechts zulässig ist. Ansonsten muss jemand, der sich dem verweigert, auf seine Schultern laden, wenn sie in schwarzen Säcken zurückkehren.
Mützenich und die selbtdefinierten Pazifisten der SPD verweigern dem deutschen Militär „überragende technischen Fähigkeiten“, weil sie ihren moralischen Vorstellungen widersprechen. Und dafür finden sie im Confirmation Bias Gründe. Aber nicht im Völkerrecht und nicht bei der Bundeswehr.
„All dies zeigt: Wir brauchen eine breite, grundsätzliche öffentliche Diskussion, in der die ethischen, völkerrechtlichen und rüstungskontrollpolitischen Fragen des Einsatzes von Kampfdrohnen diskutiert werden.“
Dr. Rolf Mützenich, „Exekutive Exekutionen durch bewaffnete Drohnen?“, 12.07.2013, www.rolfmuetzenich.de
Gerne, Herr Mützenich, gerne.
Dann sollten wir aber sicher gehen, dass die öffentliche Diskussion auf dem Stand der Technik und vor allem der Realität geführt wird. Nicht auf pseudopazifistischen Wunschvorstellungen.
Und sicher nicht darauf, dass man „Drohnen“ per se mit einer Einsatzführung gleichsetzt, die man nicht gutheißt. Niemand käme auf die Idee, Scharfschützen die Gewehre zu versagen, weil sie einzelne Menschen auf 3000 Meter töten könnten. Obwohl… sicher bin ich mir da nicht.
Die Spezialeinheiten der US-Streitkräfte haben inzwischen angefangen sich darauf vorzubereiten, die Produktion von Drohnen im Feindesland zu sabotieren. Der Iran und Russland entwickeln immer bessere Drohnen, in der vergangenen Woche wurde gerade eine Weiterentwicklung der iranischen Shahed 136 in der Ukraine dokumentiert. Zivile Spender sammeln Geld, um der Ukraine den Eigenbau von kleinen Allweckdrohnen zu ermöglichen.
Und in Deutschland diskutiert ein Teil einer Partei, die ein Teil der Regierung ist, ob wir uns der weltweiten Weiterentwicklung verschließen sollen. Und bestimmt so den Diskurs. Während über Deutschland waffenfähige und gemietete (!) Drohnen der Bundeswehr kreisen, die keine Waffen tragen dürfen und sich mit der Bürokratie der zivilen Luftfahrt auseinandersetzen müssen.
Nochmal: Die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt muss Drohnen mieten.
Denken wir für einen Augenblick darüber nach.
Si vis pacem para bellum.
Kommts du nicht zu den Drohnen, kommen die Drohnen zu dir.
Oh, ach ja, eine Drohnenabwehr haben wir derzeit eigentlich auch nicht. Aber da ist wenigstens etwas in Planung.
Da der Kölner Mützenich das im Idiom sicher einschätzen kann, sage ich es mal so:
Dä Mützenisch Rolf vazellt dusselich Zeuch.
Die 1980er haben angerufen, sie wollen ihren Pazifismus wiederhaben.