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Feministische Gesundheitspolitik?

Dieser Newsletter sollte erst ein kurzer Instagram-Post werden, wucherte dann aber vor sich hin und sollte eigentlich erklären, warum es gerade keinen regulären Newsletter gibt. Vielleicht ist es ja doch einer.

TW: Schwangerschaftsverlust

Aspekte einer feministischen Gesundheitsversorgung

Schwangerschaften sind aus unterschiedlichen Gründen gefährlich (hier eine wichtige Erfahrung von Sibel Schick (Abre numa nova janela)) , daher müssen sie in einer aufgeklärten und fürsorglichen Gesellschaft frei wählbar sein, durch kostenfreie Verhütungsmittel, Sexualaufklärung, die Konsens und gegenseitige Verantwortung stärkt, sowie leicht und stigma-frei zugängliche Abbrüche für alle – finanziert von einem öffentlichen und solidarischen Gesundheitssystem, in das alle einzahlen (private Krankenkassen müssen weg, thank you for coming to my Ted-Talk). Denn erst, wenn ein gesellschaftliches Interesse daran besteht, dass diejenigen, die schwanger werden können, so gut wie möglich versorgt sind mit Blick auf diese Kraft und Verletzlichkeit ihres Körpers sowie die Selbstbestimmung darüber, kann so etwas wie Gleichberechtigung und Freiheit für alle entstehen.

Zu reproduktiver Gerechtigkeit (Abre numa nova janela) – ein Konzept, das Schwarze Frauen in den 90ern in den USA entwickelt haben – gehört außerdem Unterstützung dabei, Kinder zu bekommen und sie unter guten und selbstgewählten Bedingungen aufziehen zu können. (Als Einführung in das Thema empfehle ich die Seiten des Gunda-Werner-Instituts (Abre numa nova janela) )

Diese Kämpfe gehören zusammen: Sich gegen Schwangerschaften entscheiden zu können und gut begleitet zu werden, wenn Schwangerschaften enden, schwierig sind oder nur durch medizinische Unterstützung möglich sind. Die US-Journalistin Jennifer Block schreibt in ihrem Buch „Everything Below the Waist: Why Health Care Needs a Feminist Revolution“ über feministische Gesundheitspolitik, dass die gesundheitliche Versorgung bei Fehlgeburten u.a. deswegen oft schlecht ist und psychosozial wenig begleitet wird, weil Schwangerschaftsabbrüche stigmatisiert sind. Wenn man diesen Zusammenhang einmal verstanden hat – jede Form der vorzeitig endenden, nicht ideal-verlaufenden Schwangerschaft wird in patriarchalen Gesellschaften schlecht versorgt – wird klar, dass auch diejenigen, die unter einem unerfüllten Kinderwusch leiden, sich für Abtreibungsrechte engagieren müssen und diejenigen, die sich für bessere Abbrüche engagieren, genauso für die Rechte derer eintreten sollten, die bei Schwangerschaft, Geburt, Kinderwunsch und dem Großziehen von Kindern gut versorgt werden müssen – das schließt die Unterstützung von Eltern behinderter Kinder sowie die Unterstützung von Eltern und werdenden Eltern mit Behinderung ein. Es macht die Kämpfe um eine gerechte reproduktive Gesundheitsversorgung komplexer, aber letztlich stärkt es sie, wenn sie zusammengeführt werden und die Analyse tiefer geht. Gemeinsam ist den sexuellen und reproduktiven Gesundheitsthemen, dass sie mit Scham belegt werden, sich Betroffenen allein fühlen und eine immense Kraft aufbringen müssen, damit sie gut versorgt werden. Das gilt für Menschen mit unerfülltem Kinderwunsch ganz ähnlich wie für ungewollt Schwangere. Der Schmerz, selbst nicht schwanger zu werden, erzeugt manchmal Wut gegenüber denjenigen, die eine Schwangerschaft abbrechen oder viele Kinder bekommen (das habe ich zu oft in Online-Foren und -Gruppen gelesen), der nötige Perspektivwechsel ist jedoch, dass eine bessere Gesundheitsversorgung bei Schwangerschaftsabbrüchen die gesamte gynäkologische Versorgung sowie den gesellschaftlichen Umgang mit reproduktiven Gesundheitsfragen stärken und verbessern kann. Die Scham, mit der all diese Themen belegt sind, trennt uns voneinander, vereinzelt im jeweiligen Leid und erschwert politische Veränderung.

So wichtig es ist, beispielsweise Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland endlich zu legalisieren und wohnortsnahe Abbruchsmöglichkeiten zu schaffen, gehört zu einem feministischen Verständnis von Schwangerschaft ebenso, dass sich auch Menschen in der Grundsicherung oder mit geringen Einkommen frei darin fühlen, diese Entscheidung zu treffen und die finanziellen Zwänge nicht überwältigend sind. Frei zu entscheiden, schwanger zu sein oder nicht setzt ebenso die Abwesenheit von Gewalt durch Bezugspersonen voraus – oder die Gewalt einer drohenden Abschiebung. Der Kampf für selbstbestimmte Schwangerschaften endet nicht bei der Reform von Paragraf 218 StGB. Abbrüche zu legalisieren wäre ein erster Schritt hin zu reproduktiver Gerechtigkeit.

Etwa 1 von 80 Schwangerschaften endet als Eileiterschwangerschaft oder extrauterine Schwangerschaft, bei der sich der Embryo nicht in der Gebärmutter, sondern meistens im Eileiter einnistet, was lebensgefährlich für die Schwangere ist, da der Eileiter reißt und es zu starken inneren Blutungen kommt. Es ist eine häufige Schwangerschaftskomplikation, über die mehr aufgeklärt werden muss, denn viele haben noch nie davon gehört und kennen die Symptome nicht, wenn sie selbst schwanger sind. Akut wird eine Eileiterschwangerschaft etwa zwischen der 6. und 9. Woche, teils noch bevor die Person von ihrer Schwangerschaft weiß oder den ersten Ultraschall hatte, der die Komplikation erkannt hat. Testen auf und Vermeiden von sexuell übertragbaren Krankheiten ist eine wichtige Prävention von eingeschränkt funktionierenden Eileitern, die manchmal von Entzündungen verursacht werden. Und geht alle an, die Sex haben, denn Infektionen können symptomlos verlaufen und unwissentlich weitergegeben werden. Safer Sex und die Normalität, sich regelmäßig zu testen, ersparen anderen und euch selbst vielleicht später einmal eine lebensgefährliche Schwangerschaftskomplikation. Gute Gynäkolog_innen weisen daher auf Chlamydien-Tests hin – die Frage ist nur, wo insbesondere cis Männer dazu aufgefordert werden können.

Obwohl Eileiterschwangerschaften mittlerweile operiert werden können, sterben bis heute Schwangere an zu später Hilfe oder kommen erst dann ins Krankenhaus, wenn die Situation bereits sehr gefährlich ist. Besonders dort, wo die gesundheitliche Versorgung schlecht ist oder die Schmerzen von FLINTA* nicht ernstgenommen werden. In den USA, wo Daten zur Gesundheitsversorgung auch nach Race erhoben werden, zeigt sich, dass die Schwangeren- und Müttersterblichkeit Schwarzer Frauen deutlich höher liegt als die weißer Frauen. Die größeren gesundheitlichen Risiken und Diskriminierungserfahrungen von Migrant*innen und PoC muss für Deutschland dringend besser erforscht und adressiert werden.

Meine Quote liegt seit Ende der Woche bei zwei von vier Schwangerschaften, die operativ entfernt werden mussten, um mein Leben zu retten. Meine erste Eileiterschwangerschaft hatte ich 2017, (Abre numa nova janela) die Erfahrung in der Notaufnahme über viele Stunden unter immensen Schmerzen (und wie später klar wurde, mit inneren Blutungen) keine Hilfe zu bekommen, war traumatisch. Ich wollte diese Erfahrung niemals wiederholen, niemals wieder in ein Krankenhaus, das seither für mich für ein Trauma stand. (Aus diesem Grund ist für mich die freie Wahl des Geburtsortes ein weiteres wichtiges Thema reproduktiver Selbstbestimmung, denn Hausgeburten können zum Beispiel aus diesem Grund für Gebärende die bessere Wahl sein als eine Klinik.) Aufgrund meines Wissens von damals konnte ich mich vergangene Woche rechtzeitig kümmern, eine Eileiterschwangerschaft zu erkennen oder auszuschließen, wurde von meiner Frauenärztin direkt in die Gynäkologie einer Klinik überwiesen, wo ich dieses Mal früher behandelt werden konnte und die OP ohne großen Blutverlust verlief. Die Erfahrung, von Anfang an empathisch begleitet und ernstgenommen worden zu sein von kompetenten Ärztinnen und einfühlsamen Pflegerinnen, sich sicher zu fühlen im Krankenhaus, überschreibt die schlimme Erfahrung beim ersten Mal ein Stück weit. Inmitten dieses traurigen Anlasses und körperlich einschneidendem Erlebnis war es eine wohltuende Erfahrung, dass es auch anders laufen kann. Dennoch: Wenige Tage Schwangerschaft schwächen meinen Körper, der von einer Operation heilen muss, nun mehrere Wochen. Da Schwangerschaften so viel gefährlicher sind als beispielsweise die Teilnahme am Straßenverkehr, ist es nach wie vor ein Skandal, dass Verhütungsmittel teuer und in der Regel keine Kassenleistung sind.

Ich wünsche allen, egal ob sie gerade eine Schwangerschaft verlieren, abbrechen, austragen oder ein Kind gebären, eine gute, eine bessere Begleitung und weiß, dass die Erfahrungen, die Menschen in Deutschland und überall auf der Welt rund um reproduktive und sexuelle Gesundheit machen, überwiegend anders sind. Verbunden mit dem Gefühl des Alleingelassenwerdens, mit Scham, mit Unsicherheit, Schuldgefühlen, Herabwürdigung, mit Fragen, die nicht beantwortet werden. Es sollte nicht an einzelnen Ärzt*innen und Gesundheitsfachkräften liegen, bessere Erfahrungen zu ermöglichen, sondern systemisch verankert werden. Eine feministische, das heißt zugängliche, diskriminierungsfreie, öffentlich-finanzierte und sozial-gerechte Gesundheitsversorgung ist für Gleichberechtigung unverzichtbar, da wir alle mit verletzlichen Körpern und Seelen durchs Leben gehen und alle im Laufe unseres Lebens auf medizinische Hilfe angewiesen sind. Man muss weder schwanger werden können noch schwanger werden wollen, um sich für eine feministische Gesundheitsversorgung zu engagieren, da die Haltung, Menschen gut und gerecht zu versorgen von kleinauf bis ins hohe Alter, sich auf alle erstreckt und alle betrifft.

Immer, wenn ich daran denke, welchen Beruf ich hätte ergreifen können, oder welchen ich noch lernen will bis zum Regelrentenalter von 80, um meine feministischen Werte konkret zu leben, lande ich bei Gynäkologin oder Hebamme. Denn im Gesundheitsbereich schlummert unfassbar viel Potenzial, insbesondere Mädchen, Frauen und queeren Menschen bessere Erfahrungen zu ermöglichen, die ihnen ihr Selbstbewusstsein lassen oder Stärke hinzugeben für die anderen Bereiche ihres Lebens. Eine feministische Gesundheitsversorgung schenkt Kraft, statt eigene Kraft vorauszusetzen oder zu verbrauchen, um sie zu navigieren. Oder wie Sarah Diehl kürzlich in einem Gespräch über die Unterstützung ungewollt Schwangerer erzählte: Wenn Schwangere nicht so viele Hürden überwinden müssten, und das unter Zeitdruck, um einen Abbruch zu bekommen, würde so viel Raum dafür frei, dass sie sich viel besser damit auseinandersetzen können, was sie wollen und was sie brauchen.

Der Prozess, in Deutschland einen Abbruch zu organisieren, verbraucht die Zeit und die Kraft, die Betroffene brauchen würden, sich gut um sich selbst zu kümmern. Es ist politisch gewollt, dass diejenigen, die sich für einen Abbruch entscheiden, aus einer selbstbestimmten Entscheidung zunächst geschwächt hervorgehen. Das ist pervers. Ein politisches Verständnis, das Abbrüche als sexuelle Selbstbestimmung versteht, muss Sorge dafür tragen, dass die Entscheidung nicht stigmatisierend und kraftraubend wirkt, da wirkliche Selbstbestimmung ermächtigend wirkt.

Bis bald
Teresa

Eine neue Folge „Feministische Presserunde“ mit Ulrike Hermann, Mithu Sanyal, Hadija Haruna Oelker und mir auf Youtube und Spotify (Abre numa nova janela).

https://www.youtube.com/watch?v=V0YUXov7snc (Abre numa nova janela)

Lesungstermine zum Buch »Alle_Zeit« findet ihr aktualisiert immer auf meiner Website (Abre numa nova janela), die nächsten Termine, die feststehen, sind:

31.05.2023 – Online
11 - 12.30 Uhr
Gleichberechtigung braucht Zeitgerechtigkeit
organisiert von Employers for Equality und PANDA
Infos und Anmeldung (Abre numa nova janela)

03.06.2023 – Berlin
Lange Buchnacht in der Oranienstraße
www.lange-buchnacht.de (Abre numa nova janela)

14.06.2023 – Hamburg
New Work Experience

„Future Working Lives: Wie wir unsere Zeit zurückerobern“
mehr Infos (Abre numa nova janela)

14.06.2023 – Braunschweig
Infos folgen (Abre numa nova janela)

15.06.2023 – Düsseldorf
Salonfestival (Abre numa nova janela)

26.06.2023 – Berlin
Zenner Weingarten / Treptower Park
Tickets hier (Abre numa nova janela)

28.06.2023 – Osnabrück
Tickets für den ausgefallenen Termin vom 15.05. sind weiterhin gültig

29.06.2023 – Bremen
organisiert von bella donna e.V.

Mehr Infos im PDF-Programm (Abre numa nova janela)

24.08.2023 – Hamburg
Infos folgen

31.08.2023 – Siegen
Infos in Kürze bei kulturgruen-siegen.de (Abre numa nova janela)

01.09.2023 – Drensteinfurt
organsiert von der VHS Ahlen

13.09.2023 – Köln
Kairos Blue
organisiert vom Buchladen Neusser Straße (Abre numa nova janela)

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