Die Stärke der Resonanz auf Themen in sozialen Medien kann überraschend sein. Ich nutze meinen Instagram-Kanal sporadisch und eher, um kleine Alltagsszenen, Beobachtungen und Gedanken zu teilen und verbringe dort nur begrenzt Zeit, weil diese Kanäle zu bespielen für mich nicht zu meiner Arbeit zählt. Ich mag den Austausch mit anderen dort und lerne viel dazu, aber ich versuche in der Regel nicht, größere Diskussionen anzustoßen, da ich aus meiner Berufserfahrung weiß, wie viel Zeit Community-Management benötigt, wenn man es gut machen will.
Daher war ich überrascht, als am Donnerstag mein Postfach explodierte, nachdem ich ganz knapp darüber geschrieben hatte, dass ich es kritisch sehe, dass Influencer_innen (inbesondere dann, wenn sie sich als feministisch verorten) in letzter Zeit zunehmend ihren Haus- oder Wohnungskauf und die oft dazugehörigen Sanierungs- und Umbauarbeiten als ,Content‘ aufbereiten und vermarkten, aber in der Regel weder über die Kosten von Kauf und Umbau, noch über die Finanzierung geschrieben wird.
Plötzlich gibt es etwas, das zu privat ist: Geld. Jedenfalls große Summen. Als sei Wohlstand das Intimste, das wir kennen. Nicht der nackte Körper. Menschliche Fehler. Seelische Wunden. Gescheiterte Beziehungen. Unerfüllte Kinderwünsche. All die Gefühle, Sehnsüchte, Ängste.
Ich habe in anderen Texten schon darüber geschrieben, dass ich das Internet dafür schätze, dass Menschen offener über die Dinge sprechen, die lange und teilweise immer noch als Tabu gelten und uns verletzlich machen. Zu dieser Bewegung tragen viele Menschen, die das Netz nutzen, jeden Tag mutig bei – ob in kleinem Kreis oder in größerer Öffentlichkeit. Auch einige Influencer_innen oder andere Prominente tun dies immer wieder und schaffen darüber mit anderen Verbundenheit. Sie nehmen ihren Follower_innen die Last, mit etwas allein zu sein, wenn sie über Fehlgeburten sprechen, Abtreibungen, Vergewaltigungen, Depressionen, Essstörungen, Alkoholsucht.
Man könnte den Eindruck bekommen, dass über alles gesprochen werden kann. Doch vielleicht übersehen wir in all dieser wichtigen Offenheit, über was nicht gesprochen wird.
Sicherlich sprechen (jüngere) Menschen heute mehr über Privilegien. Darüber, dass sie weiß sind oder cis und niemals wissen werden, wie Rassismus oder Transfeindlichkeit sich anfühlen und wie schwer Mikroaggressionen im Alltag wiegen. Sie sprechen darüber, dass sie studiert haben und nebenher nicht arbeiten mussten, um ihre Miete zu bezahlen.
Doch schon hier werden Feinheiten vergessen, denn Privilegien hängen nicht allein am Geld. Eine Person etwa, die begabt ist im Schreiben, hat es leichter den Weg für sich zu finden, wenn sie in ihrem Umfeld bereits Menschen hat, die über Schreiben ihr Geld verdienen oder zumindest eine Familie hat, die Literatur oder Medien schätzt. Eltern, die sich vorstellen können und es bestärken, dass ihr Kind Künstler_in werden will, statt das Kind zu etwas ,Vernünftigem‘ zu drängen oder in eine Ausbildung, über die man schneller eigenes Geld verdient. Eine Person, die Journalist_in werden will, hat es leichter, wenn es Zuhause den Spiegel oder die Zeit gibt, noch einmal mehr, wenn die Eltern Journalist_innen sind oder kennen und weitergeben können, was die besten Ausbildungswege sind, dass oder welche Stipendien es gibt.
Viele Privilegien fallen uns nicht auf, bis wir mit Menschen sprechen, die sie nicht hatten und vieles allein herausfinden und allein machen mussten und für ihren Weg daher länger gebraucht haben oder auf ihm unsicherer waren. Zugang zu Wissen ist ein ungeheuerliches Privileg und noch immer lässt sich ein Großteil des Wissens, das im Leben vieles leichter machen kann, nicht gut ergoogeln. Es muss von anderen persönlich mit uns geteilt werden. Wir brauchen Menschen in unserem Leben, die wissen oder ahnen, dass sie uns mit ihren Erfahrungen, ihrem Wissen, ihren Einschätzungen helfen können. Oder die auf unbequeme oder unerwartete Fragen antworten, wenn wir sie stellen, so wie: „Sag mal, Mama, gibt es in unserer Familie eine Veranlagung zu Depressionen?“, „Hat unsere Familie im Nationalsozialismus Juden verraten?“ oder „Warum könnt ihr euch in Berlin/München/Hamburg eigentlich eine Eigentumswohnung leisten und wir nicht?“
Auf der einen Seite kann ich nachvollziehen, dass insbesondere Menschen, die in der Netz-Öffentlichkeit stehen, ungern über Geld sprechen wollen. Denn das bietet eine weitere Angriffsfläche neben all den anderen Dingen, über die man Beleidigungen und Hass auf sich ziehen kann. Doch auf der anderen Seite ist der transparentere Umgang mit den materiellen Möglichkeiten wichtig, damit wir uns einander besser in Beziehung setzen können und besser verorten können, wo wir selbst stehen und was sich erreichen lässt. Einen ehrlicheren Umgang damit, wie viel wir gemeinsam haben und was uns trennt. An welchen Stellen Solidarität und gemeinsame politische Interessen aufhören. Oder wo sie beginnen könnten.
Lieber als Transparenz wären mir ökonomische Gerechtigkeit jetzt und faire Löhne, die nicht willkürlich weit auseinander liegen. Löhne, die endlich abbilden, wie groß die Anstrengung und Kompetenz einer bestimmten Arbeit ist. Dass viele Jugendliche sich heute wünschen, selbst Influencer_in zu werden (oder in den Beamtendienst zu gehen), hat auch damit zu tun, dass mittlerweile eine bezahlte Kooperation mit einem Unternehmen oder ein Tag Herren-Profi-Fußball den Monatslohn einer Altenpflegekraft oder von Sozialarbeiter_innen locker übersteigen können. Wie kann eine solche Relation nicht absurd sein?
Doch etwas, das vor dieser Gerechtigkeit liegen kann, ist das ökonomische Gefälle, das gerade unüberwindbar scheint, zu benennen. Barbara Vorsamer hat über die Ungerechtigkeit, in eine wohlhabende Familie geboren zu werden und zu erben, vor einigen Monaten einen Text in der Süddeutschen Zeitung (Abre numa nova janela)geschrieben, indem sie unter anderem beschreibt, wie nicht einmal unter Freund_innen offen gesprochen wird und wie die Unterschiede uns trennen:
„Die Ferienwohnung in Kitzbühel? Haben meine Eltern schon eeewig, früher war es ja auch noch gar nicht so teuer da. Diese Pseudo-Bescheidenheit ist oft nett gemeint. Tatsächlich aber lassen solche Sätze weniger Privilegierte verzweifeln. An der eigenen Arbeitskraft, dem eigenen Geschick, dem eigenen Wert. Wieso schaffen die das und ich nicht? Vielleicht sollte man lieber sagen: Ich habe eine Viertelmillion geerbt und kann mir das leisten, du halt nicht, sorry.“
Das Buch zum Thema von Julia Friedrichs (Abre numa nova janela) „Working Class“, das auch Barbara Vorsamer im Text erwähnt, habe ich im vergangenen Jahr viel zu selten empfohlen, dabei ist es eines der wichtigsten Sachbücher, die 2021 erschienen sind, um das, was in Deutschland gesellschaftlich passiert ist und demokratisch extrem relevant ist, zu verstehen. Also lest es jetzt. Und das, was sie über Erbschaften (Abre numa nova janela) geschrieben hat, dann auch noch.
Friedrichs beschreibt in ihren aktuellen Buch anhand mehrerer Protagonist_innen, dass das Aufstiesgsversprechen „Die Kinder werden es einmal besser als die Eltern haben“ in Deutschland nicht mehr existiert und daher für viele auch ein Gefühl von Sicherheit nicht mehr erreichbar ist. Stattdessen entstehen Kränkungen, Scham, chronischer Stress. Verschärft wird die ökonomische Ungleichheit nicht nur darüber, dass für immer mehr Menschen von Monatslöhnen zu wenig übrig bleibt, um sparen zu können oder sie nicht mal mehr für die Lebenshaltungskosten reichen, sondern über die ungerechte Verteilung von Erbschaften, Vermögende immer reicher werden. Einer DIW-Studie (Abre numa nova janela) zufolge geht die Hälfte des Erbschafts- und Schenkungsvolumens pro Jahr an die zehn Prozent der Leute, die schon am meisten besitzen. Und die Menschen, die gering verdienen und kein Vermögen haben, erben auch in den seltensten Fällen etwas. In den westdeutschen Bundesländern wird häufiger und mehr vererbt als in den ostdeutschen.
Insbesondere in Großstädten, in denen die Immobilienpreise nicht aufhören zu steigen, können die Erwachsenen meiner Generation in der Regel nur dann Wohnungen und Häuser kaufen, wenn sie mehrere Hunderttausend Euro erben oder von ihren Familien geschenkt bekommen. Die Antwort auf die Frage „Wie haben die eine Wohnung gefunden und bezahlen können?“ ist in der Regel „erben“. Die „fleißige Mitte“ kommt mehrheitlich nicht über „harte Arbeit“ zu einer eigenen Wohnung, sondern über bereits bestehenden familiären Wohlstand. Von einem fairen Wettbewerb und „Leistungsgerechtigkeit“ kann nicht die Rede sein. Letztlich ist ökonomische Gerechtigkeit in einer Gesellschaft, in der Einkommen und Vermögen so verteilt wird wie in Deutschland, nicht erreichbar. Wir sind momentan darauf festgelegt, eine ungerechte Gesellschaft, die sich in Klassen teilt, in Ost und West, zu bleiben. Daran ändert auch ein höherer Mindestlohn nichts.
Allein das zu verstehen, kann entlasten. Wer weiß, dass kein Erbe zu erwarten ist, kann die eigenen Lebensträume dahingehend anpassen oder hatte sie vielleicht auch nie. Der kann verstehen, dass er hart genug arbeitet und es wenig nützt, sich noch mehr anzustrengen.
Doch auf politischer Ebene ist es wichtig zu begreifen, dass ein verletztes Gerechtigkeitsempfinden und eine wahrgenommene Unsicherheit, das Vertrauen in die Demokratie schwächen können. Das angeknackste Sicherheitsempfinden, das damit verbunden ist, kein sicheres Zuhause zu haben, ist eine der zentralen demokratischen Fragen unserer Zeit. Lokal, bei den Mieten, global bei Klimafolgen und Konflikten, die zur Flucht zwingen.
Was macht es langfristig mit einer Gesellschaft, in der Menschen Angst davor haben, irgendwann ihre Wohnung zu verlieren oder nicht mehr bezahlen zu können? Ich habe darauf keine Antwort, aber es ist eine Frage, die ich mir (selbst) immer wieder stelle. Ich merke das zum Beispiel dann, wenn ich über unsere Mietwohnung nachdenke und mir nicht sicher bin, wie lange wir in ihr wohnen können und was passieren würde, würde sie uns gekündigt oder würde zu teuer. Es fängt an mit Luxusproblemen, wie dass wir seitdem Einzug vor vier Jahren darüber nachdenken, wie wir in der Küche mehr Stauraum schaffen. Würde die Wohnung uns gehören, würden wir vermutlich irgendwann Schränke einbauen lassen, die in die schiefe Altbauwohnung passen. In dem Wissen, dass wir vermutlich nicht für immer hierbleiben werden, erscheint uns das jedoch als verlorenes Geld. Wir versuchen die Wohnung so einzurichten, dass wir alles, was wir anschaffen, irgendwann mitnehmen können in die nächste. Sie bleibt ein Stück weit provisorisch.
Inwieweit kommt man in einer solchen Wohnung emotional an? Inwieweit wird sie ein Zuhause? Was bewirken diese psychologischen Feinheiten?
Hat sich das Sicherheitsempfinden von Mieter_innen in den letzten Jahren verändert und es war früher anders, weil man heute eher mit einer Eigenbedarfskündigung oder einer zu hohen Mieterhöhungen rechnet?
Wie prägt es das Verhältnis der Mittelschichts-Eltern-Generation zu ihren erwachsenen Kindern, die sich weniger Sicherheit leisten können als sie? Sind auch die Boomer manchmal wütend darüber oder ratlos? Halten sie die jüngeren Generation für Slacker?
Vielleicht wird die Beschreibung des Unsicherheitsempfindens von Mieter_innen als Anstellerei beschrieben. Texte darüber, dass die Jungen jammern, gibt es genug. Ich brauche keinen weiteren mehr lesen. Doch auf der anderen Seite teilen viele Menschen die Position, dass Senior_innen, die seit Jahrzehnten in ihren Wohnungen leben, nicht gekündigt und aus Hausgemeinschaften oder Kiezen verdrängt werden sollten. Eine Wohnung bedeutet eben mehr als einen Ort zum Essen und Schlafen zu haben. Das deutsche Wort „Geburtshaus“ illustriert die emotionale Bedeutung davon, den Ort zu kennen, an dem man geboren wurde und an ihn zurückkehren zu können.
Ein anderer Aspekt, an den ich dauernd denke, ist dass Traumata eher nicht in Flüchtlingsunterkünften geheilt werden und das Ankommen in einem neuen Land kaum funktionieren kann, wenn geflüchtete Menschen isoliert statt in Nachbarschaften wohnen.
Wie wir wohnen, wen wir wo wohnen lassen, ist auch Teil der sozialen Architektur einer Gesellschaft.
Tatsächlich hat Franziska Giffey (ich lobe sie selten) es in einem aktuellen Interview (Abre numa nova janela) gut auf den Punkt gebracht: „Wenn wir die Frage des bezahlbaren Wohnraums nicht in den Griff bekommen, ist das auch eine Frage des sozialen Friedens. Es ist für viele Menschen eine existenzielle Frage.“ Es ist eine Aussage, an der man sie als Politikerin wird messen können. Denn können die Maßnahmen, die die Berliner Landesregierung plant, die Wohnkosten so verändern, dass sie wieder einen angemessenen Anteil der Einkommen ausmachen? Dass Familien und andere Gemeinschaften in größere Wohnungen ziehen können, wenn sie mehr Platz brauchen und wiederum andere sich verkleinern können, ohne für weniger Quadratmeter mehr Miete zu bezahlen?
Den erfolgreichen Berliner Volksentscheid „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ könnte man deuten als Ausdruck davon, dass viele Berliner_innen glauben, die Politik könne sehr viel mehr tun, um Mieten zu senken und Mietsteigerungen zu verlangsamen. Sie hoffen auf eine andere Mietpolitik und sind bereit, sich dafür zu engagieren. Ein Demokratie-Problem entsteht dann, von Bürger_innen beginnen zu glauben, dass Politik diese Aufgabe nicht bewältigen kann und kapitalistischen Mechanismen nichts Wirksames entgegensetzen können wird. Mindestlöhne sind auch deshalb vertrauensstärkend, weil Politik hier zeigt, dass sie die Regeln der Wirtschaft verändern kann, nicht nur, weil höhere Löhne einer Arbeitsleistung mehr „Respekt“ verschaffen. Um Vertrauen zu halten, müsste Ähnliches auch für Mieten und Kaufpreise passieren. Eine Mietpolitik, die spürbar etwas für Mieter_innen finanziell verbessert.
Es gibt eine Faustregel, die besagt, dass man maximal 30 Prozent des Nettoeinkommens für die Mietkosten zahlen sollte. Kommt das bei dir hin?
Es ist schon lange Teil der Unterhaltungskultur, dass wir uns dafür interessieren, wie andere Menschen wohnen. Wir können schöne Wohnungen anschauen und bewundern, ohne selbst in ihnen wohnen zu wollen. Wie wir wohnen, kann auch eine Selbstaussage sein, darüber, wo man sich zugehörig fühlt oder wer man sein will: Die Stadt, in der man lebt, die Größe einer Wohnung, die Einrichtung und auch Entscheidungen, überhaupt ein Haus zu kaufen oder zu bauen, gehören in vielen Gesellschaften zur Statusrepräsentation dazu, so das Fachwort. Der Wunsch danach, einmal ein eigenes Haus zu besitzen, ist unter anderem davon geprägt, selbst in einem aufgewachsen zu sein oder es aktuell im Umfeld und bei Freund_innen mitzubekommen. Man kann es für selbstverständlich halten, weil man es nie anders kannte, oder mit anderen mithalten wollen.
Viele Influencer_innen erzählen zudem über ihre Accounts traditionelle Vorstellungen eines ,gelungenen Lebens‘ nach, wozu „Der Traum vom Eigenheim“ gehört. Einige Studien haben bereits gezeigt, dass in sozialen Medien traditionelle Geschlechterbilder dominieren und reproduziert werden, vermutlich verhält es sich ähnlich mit Blick auf biografische Erzählungen. Erfolgreiche Influencer_innen brauchen zudem immer wieder neue große Lebensereignisse für das Stück, das sie vor ihrem Publikum aufführen.
Die Trends, die man in visuellen sozialen Netzwerken wie Instagram und Blogs beobachten kann, haben jedoch auch politische Verbindungslinien. Das große Interesse am eigenen Zuhause steht für mich auch im Zusammenhang mit der beschriebenen Unsicherheit der Wohnsituation gerade in den Städten. Ähnlich beschreibt (Abre numa nova janela)es gerade auch eine britische Autorin. Denn eine eigene Wohnung oder ein eigenes Haus versprechen Sicherheit und Stabilität. Sich nicht mehr um die Miete sorgen zu müssen, wenn ein Haus abbezahlt ist, kann Mental-Load nehmen oder es möglich machen, weniger zu arbeiten und darüber Stress zu reduzieren.
Die Pandemie weckte bei noch mehr Familien den Wunsch, eine größere Wohnung zu haben, in der die Kinder toben können oder man sich zurückziehen kann. Sie weckte die Sehnsucht nach einem Garten oder sogar nach dem Landleben. Zudem wurde das öffentliche Bewusstsein dafür größer, dass beengter Wohnraum ein sozialer Stressfaktor sein kann – nicht nur in der Pandemie, aber hier besonders – und Kinder in kleinen Wohnungen mit vielleicht vielen Geschwistern schlechter lernen, Hausaufgaben machen oder sogar schlafen können. Wohnraum ist daher auch ein Thema von Bildungsgerechtigkeit.
In Wohnungen, die als zu eng empfunden werden und es schwierig machen, sich aus dem Weg zu gehen, kann es eher zu Streit und Gewalt kommen. Günstige Wohnungen liegen häufig an stark befahrenen Straßen, an denen die Luft stark verschmutzt ist und der Lärmpegel hoch. Wo viele Menschen eng beieinander leben, überträgt sich zudem das Corona-Virus schneller. Wie Menschen wohnen und dass Wohnraum ungerecht verteilt ist, ist auch ein Public-Health-Thema. Diese Erkenntnisse sollten endlich auch den Vorwurf schwächen, der Wunsch nach mehr Wohnraum sei grundsätzlich ein Luxusthema.
Auf Instagram schrieb mir nach meinem Post eine Person, sie habe Instagram für mehrere Monate deaktiviert, weil sie es traurig machte, dass sie für ihre Familie nicht mal eine größere Wohnung finden würde, während andere ihr Traumhaus kauften. So resignieren die einen und begreifen sich als abgehängt, während andere die materiellen Meilensteine, die sie in soziale Medien beobachten, zu ihren Träumen und Zielen machen und an das Self-Made-Märchen glauben. Denn insbesondere diejenigen, die in großen Städten leben, werden Mieter_innen bleiben. In Berlin liegt die Prozentzahl der Haushalte, die in eigenen Wohnungen liegt, bei etwa 18 Prozent. In Hamburg und München lebt etwa jeder vierte Haushalt in einer gekauften Wohnung oder einem eigenen Haus. Deutschland weit leben rund 42 Prozent der Haushalte in Eigentum.
Aber macht ein eigenes Haus wirklich freier? Ein Hausbau oder eine Sanierung sind zeitaufwendig und können Nerven kosten. Sie können in Mann-Frau-Beziehungen die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung (wieder) verstärken, wenn sich beispielsweise ein Mann stärker in Planung und Bauarbeiten einbringt und seine Partnerin in der Zeit den größeren Teil der Sorgearbeit übernimmt. Als die Wirtschaftshistorikerin Dr. Marie Huber (Abre numa nova janela) mir davon erzählt, wie die Hausfrauenehe, der Gender-Care-Gap und der „Traum vom Eigenheim“ miteinander verbunden sind, erinnere ich die Erzählungen meiner Mutter über die Zeit, in der mein Vater viel Zeit auf der Baustelle unseres Hauses verbrachte, und sie die Zeit mit meinem dreijährigen Bruder und mir, die gerade geboren war.
Marie Huber sagt außerdem, die Finanzierung einer Immobilie zwinge Familien oft zum Sparen, sodass beispielsweise auf Haushaltshilfen oder Babysitter, die man vorher hatte, verzichtet werde und mehr von dieser unbezahlten Arbeit wieder bei den Frauen landen würde, die Paarzeit schrumpfe und Väter sich eine Elternzeit nach der Geburt eines Kindes nicht mehr leisten wollten oder könnten. Für ein Haus mit mehr Wohnfläche und einen Garten fiele zudem noch mehr Zeit für unbezahlte Arbeit an. Wer übernimmt sie und wo fehlt diese Zeit dann?
Gerade das Haus im Grünen oder der Hausbau am Stadtrand führen zu noch etwas, das ich schon in der SZ-Magazin-Kolumne zu geschlechtergerechter Stadtplanung (Abre numa nova janela) angerissen hatte: Auch längere Pendelwege zu Arbeitsorten fressen Freizeit und Erholungszeit. Zudem werden die Wege in Mann-Frau-Beziehungen mit Kindern auch immer noch überwiegend ungleich verteilt. Die Väter pendeln längere Strecken zu ihren Vollzeitstellen, während die Mütter kürzere Arbeitswege (zu ihren meist Teilzeitstellen) haben und zusätzlich noch die Begleitwege der Kinder und die Einkäufe organisieren. Mütter übernehmen durchschnittlich drei Mal so lange Begleitwege wie Väter. Ihre Strecken sind zudem komplexer, da sie aus vielen Abschnitten und Aufgaben bestehen.
Das sind einige der verdeckten sozialen Kosten des Eigenheims. Es steht für finanzielle Stabilität, während es vielleicht mehr Unzufriedenheit in eine Beziehung und Familie bringen kann oder der Kontakt zu Freund_innen über die neue Distanz weniger wird. In einer kleineren Stadtwohnung zu bleiben, ist vielleicht die bessere Entscheidung, um eine egalitäre Aufgabenteilung beizubehalten. Gerade für Frauen, auf denen großer Druck lastet, eine gute Mutter sein zu wollen, ist es jedoch eine schwierige Entscheidung, sich zwischen einer gleichberechtigten Hetero-Beziehung oder dem Garten für die Kinder zu entscheiden, der immer noch symbolisch für eine glückliche Kindheit steht und damit auch für „die gute Mutter“.
Auch das wird also – unbeabsichtigt – über Influencer_innen-Accounts transportiert, oder auch über Freund_innen, die in ein Haus mit Garten umziehen: „Seht her, wir sind gute Eltern / ich bin eine gute Mutter.“
So war ich auf der einen Seite froh, dass meine Tochter während der Kita- und Schulschließungen in der Pandemie viel Zeit im Garten der anderen Patchwork-Familienhälfte verbringen konnte, dort Ausgleich hatte und neue Erfahrungen sammeln konnte, aber auf der anderen Seite überkam mich immer wieder das Gefühl – egal wie blödsinnig ich es schon während des Nachdenkens fand – die schlechtere Mutter zu sein, weil wir keinen Garten hatten.
Es hilft also zum einen, sich darüber im Klaren zu sein, wie Bilder auf uns wirken und dass es normale Gefühle sind, Neid zu spüren oder die eigenen Möglichkeiten als unzureichend zu empfinden. Zum anderen gehört zu diesem Wissen, dass man sich nicht gänzlich davon frei machen kann, dass diese Sehnsüchte unterbewusst in uns arbeiten und dies vielleicht umso stärker tun, je öfter wir uns mit den materiellen Erfolgen der anderen konfrontieren. Zudem sollte sich jede_r bewusst machen, dass wir oft selbst Teil davon sind, andere spüren zu lassen, dass ihnen vermeintlich etwas fehlt und sie sich mehr anstrengen müssen, um das zu erreichen, was wir haben.
Von Influencer_innen würde ich mir über diese Dinge mehr öffentliche Reflexion wünschen. Denn das wäre ein Entwicklungsschritt, der sie von den klassischen Medien wie Mode- oder Interieur-Magazinen unterscheiden würde. Eine Ebene der persönlichen Erzählung, die nicht nur einschließt, Dinge von sich selbst preiszugeben, sondern zu der gehört, mitzudenken, wie das eigene Leben und die eigenen Entscheidungen mit denen von anderen verbunden sind und wie die eigenen Entscheidungen das Leben von anderen Menschen beeinflussen.
Über den Besitz von viel Geld nicht zu sprechen, hat im Kern nichts damit zu tun, dass diese Informationen zu privat sind. Sie sind zu unangenehm. Indem man es tut, muss man sich auf einer Landkarte der ökonomischen Ungleichheit und Ungerechtigkeit verorten und der eigenen Position auf dieser Karte und den Distanzen zu anderen ins Auge sehen. Daran zerbricht die Nähe, die Nutzer_innen in sozialen Medien suggeriert werden soll. Die Nähe, die für Werbekunden so wertvoll ist. Und so schön es ist, dass immer mehr Blogs Frauen dazu ermutigen, sich mit Finanzen zu beschäftigten, sollte nicht verschwiegen werden, dass das größte „Financial Empowerment“ in der Regel eine Erbschaft ist und sich nicht mal eben so mit einem ETF-Depot oder weniger Shopping erreichen lässt.
Über Geld zu sprechen arbeitet zudem heraus, das Geld mehr ist als die nackte Summe auf einem Kontoauszug und mit Geschichte und Verantwortung einhergehen kann, wie auch das Gespräch von Moshtari Hilal und Sinthujan Varatharajah vor einigen Monaten zeigte, die eine mangelnde Auseinandersetzung mit ,Erbschaften mit Nazi-Hintergrund‘ kritisierten, aus denen Kulturorte finanziert würden. Moshtari Hilal erklärte später dem Monopol-Magazin (Abre numa nova janela), es sei ihnen nicht um Boykott dieser Orte gegangen, sondern darum, Transparenz einzufordern „damit man sich persönlich positionieren kann. Eine respektvolle Zusammenarbeit erfordert ein ehrliche Auseinandersetzung mit den Verhältnissen, aus denen heraus wir arbeiten.“
Es wäre interessant, diesen Gedanken auf das Zusammenspiel von Protagonist_innen und ihrem Publikum im Netz zu übertragen.
Bis dahin,
Teresa
Ist es für dich vorstellbar, offener über Geld zu sprechen? Tust du es bereits? Fragst du andere danach?
P.S. Patriarchat abschaffen heißt Kapitalismus abschaffen heißt Eigentum abschaffen. Richtig gut erklären kann das Eva von Redecker in ihrem Buch „Revolution für das Leben: Philosophie der neuen Protestformen“ (Abre numa nova janela).
Solange noch Kapitalismus ist, finanziere ich meine Arbeit mit Geld: Wenn ihr sie gern unterstützen möchtet, diesen Newsletter oder mein Engagement an anderen Stellen mögt, könnt ihr ein Steady-Abo (Abre numa nova janela) abschließen.
WIR SIND HIER- Festival vom 18. bis 20. Februar 2022 im Literaturhaus Frankfurt
19. Februar 2022, 19.30 Uhr
INTERSEKTIONALITÄT: DIE FEMINISTISCHE DIMENSION (Abre numa nova janela)
Mit Teresa Bücker und Emilia Roig
Moderation: Hadija Haruna-Oelker