Bremse, Baby – Über Aktionismus und Erschöpfung
von Mika
„Wenn ich einen Charakterfehler bei mir benennen müsste, dann wäre es wohl Aktionismus“, sage ich zu Momo und Mia während unserer Podcast-Aufnahme über die 12 Schritte der Anonymen Alkoholiker (die Folge ist noch nicht veröffentlicht). Seitdem habe ich immer wieder darüber nachgedacht. Das Wort »Charakterfehler« ist natürlich problematisch. Niemand ist im Wesen fehlerhaft; Verhaltensweisen haben immer einen Grund, und noch niemals in der Geschichte der Menschheit hat (Selbst-)Verurteilung zu mehr (Selbst-)Akzeptanz geführt. Doch unabhängig davon, wie man es nennt, gibt es einen Teil von mir, den ich »Busy-Brain« nenne, und dieser Teil glaubt ständig, dass ich jetzt, JA JETZT irgendetwas tun müsste.
Interessanterweise findet Busy-Brain, dass Aktionismus bei anderen Menschen völlig unnötig ist und sie einfach lernen sollten, sich zu entspannen. Bei mir hingegen gibt es sehr wichtige, valide und absolut unzweifelhafte Gründe, jetzt, JA JETZT, etwas zu tun.
Heute zum Beispiel hat mir Busy-Brain bereits beim ersten Augenaufschlag einen Haufen von Aufgaben präsentiert. Die Liste reicht von Alltäglichem (Spülmaschine ausräumen, Müll runterbringen, Bohrlöcher im Wohnzimmer verspachteln, Weihnachtsdeko aufhängen) über mittlere Projekte (Bilder verpacken und zur Post bringen, Buchkapitel schreiben, neue Teekanne kaufen) bis hin zu großen Vorhaben, bei denen ich nicht einmal sicher bin, ob ich sie überhaupt angehen will (einen Online-Kurs erstellen, einen Recovery-Walk organisieren, einen neuen Podcast starten). Und dann gibt es noch die Dauerbrenner: E-Mails aufräumen, mehr Sport machen, Buchhaltung, öfter Zahnseide verwenden.
Busy-Brain macht leider auch keine Pause, wenn mein Körper erschöpft ist. Letzte Woche war ich krank und musste schweren Herzens Beratungen und meine Live-Klasse bei Nathalie absagen. Es wäre ohnehin unglaubwürdig gewesen, in meinem Zustand etwas über Selbstfürsorge zu erzählen. Doch ich sage nicht nur aus Gründen der Glaubwürdigkeit ab, sondern auch weil ich nicht mehr bereit bin, mich über meine Grenzen hinweg zu verausgaben. Seit meiner Corona-Infektion im Sommer wird dieser Vorsatz jedoch auf eine harte Probe gestellt. Ich bin schneller erschöpft, häufiger kränklich und habe mehr Probleme mit Konzentration. Für Busy-Brain bedeutet das natürlich, zusätzlich auch noch Gesundheitsmanagement und verwirrende Eliminationsdiäten auf die »Müsste-mal«-Liste zu setzen. Und natürlich vor allem: Mehr entspannen!!!
Wie viele Lebensprobleme ist auch mein Aktionismus ein bisschen wie eine Sucht.
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