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Ist Barbie ein feministischer Film?

Ich habe den Barbie Film bereits zweimal gesehen. Einmal in OmU mit drei kulturaffinen Millennial-Freund:innen im Babylon Berlin, einmal auf deutsch synchronisiert mit Boomer-Tante, GenZ-Cousine und ihrem GenX-Vater in Westerland. Es funktioniert alles. Barbie eint Generationen. 

Ich fand den Hype aus rein kultur- und medienwissenschaftlicher Sicht total interessant und ich kann mich nicht erinnern, dass zu meiner Zeit je so ein Marketingspektakel um irgendwas veranstaltet worden wäre. 

Gruppen von erwachsenen Frauen pilgern in pinken Outfits ins Kino. Tussicore ist ein neuer Modetrend. Der Browser fängt an zu glittern, wenn man »Barbie« oder »Ryan Gosling« googelt. Konservative und Männeraktivisten filmen sich dabei, wie sie Barbies verbrennen (wird man, wo man Barbies verbrennt, eines Tages Frauen verbrennen?) und schüren Furcht vor dem »woksten Film aller Zeiten«. Es gibt sogar schon tolle Urban Legends: angeblich hat der Bau von Barbie Land zur kompletten Erschöpfung der weltweiten Pink-Bestände geführt! 

Dazu gibt es Meta-Meta-Debatten: Klar ist der Blockbuster ein Mattel-Werbespot. Klar war Diversität oder ein gesundes Körperbild im Barbieversum nie wirklich ein Thema. Klar ist die Diversität der Barbies nichts als Woke Washing und nichtmal gutes (die Curvy Barbie hat auf Menschen umgerechnet Kleidergröße 36). Aber die Regisseurin Greta Gerwig ist für ihre feministische Arbeit bekannt. Kann Barbie also feministisch sein?

Das ist die Story: 

Stereotypical Barbie hat einen super Tag, denn sie ist die Frau, die alles hat. Tolles Haus, tollen Job, tolle Figur, stabile Freundinnenschaften, schickes Auto, gesunde Work-Life-Balance. Sie ist zudem frei von Genitalien und daher weniger an Romantik interessiert als an Footwear. Barbies Liebesleben beschränkt sich auf  energieeffizientes Down-Dating. Ihr Boyfriend Ken ist nur Accessoire, sein Gemüt schlicht, sein Job einfach »Beach« und sein einziges, bislang unerreichtes Ziel im Leben: Anerkennung von Barbie.

Doch eines Tages, während der allabendlichen Party, landen Barbies Fersen auf dem harten Boden der Realität. Sie denkt auf einmal an den Tod. Und sie entdeckt Cellulite an ihrem einst makellosen Oberschenkel. Um das Realitäts-Leck im Raum-Zeit-Kontinuum zu stopfen,  muss Barbie (mit Ken im Handgepäck) ins echte Kalifornien reisen. Gemeinsam entdecken sie das Patriarchat.

Während der plötzliche Verlust ihres sozialen Status bei Barbie ein Mini-Trauma auslöst, findet Ken das Patriarchat richtig super. Männer beherrschen die Welt und er wird das erste Mal in seinem Leben respektiert und ernst genommen. Sein durch Barbies jahrelange Missachtung gebeuteltes Ego erholt sich rasant und er kann gar nicht schnell genug nach Barbie Land zurück kommen, um es in ein Kendom umzubauen.

Barbies Identitätskrise

Barbie muss sich unterdessen nicht nur mit den allgemeinen Tücken des Patriarchats arrangieren – weniger Repräsentanz und eine leisere Stimme haben, objektifiziert werden und das Gefühl namenloser Bedrohung aushalten, mit dem Frauen im öffentlichen Raum zu leben gelernt haben – sondern auch damit, dass sie nicht so beliebt ist, wie sie geglaubt hat. Das Mädchen, das einst mit ihr gespielt hat, bezeichnet sie tatsächlich als Faschistin. 

Glücklicherweise hat Barbies Hersteller Mattel inzwischen Wind von Barbies unrechtmäßigen Grenzüberschreitung bekommen und entführt sie in ihr Hauptquartier. 

Mattel hat den Barbiefilm mitproduziert, deswegen wäre es zu viel erwartet, wenn das Unternehmen sich eine realistische Selbstkritik geleistet hätte. Hätte man Mattel genau so konsequent realistisch dargestellt wie das Krankenhaus oder die Schule, wäre man um eine deutlichere Kapitalismus Kritik nicht herum gekommen. 

Aber während alles andere an der Echten Welt hart, kühl und nüchtern ist, gilt das nicht für den Barbie Konzern. Das Headquarter ist ein verwunschener Ort mit märchenhaften Geheimflügeln und verfügt über herzförmige Konferenzräume, der Vorstand, geführt von Will Ferrel, ist eine Bande von drolligen, verblödeten Anzugmännchen, die zusammen nicht mal in der Lage sind, eine Schlüsselkarte zu benutzen. 

In Wirklichkeit ist Mattel jedoch, wie alle anderen Unternehmen dieser Art, nicht niedlich und drollig, sondern ein profitorientierter Konzern, nur eben einer, der gegendertes Kinderspielzeug verkauft. Multinationale Konzerne können es sich nicht leisten, Vorreiter in irgendwas zu sein, das können nur Einzelpersonen oder kleine Unternehmungen. Konzerne wie Mattel können immer nur das verkaufen, von dem sie erwarten, dass es sich verkaufen wird. 

Trotz Mattels Versuchen, auf den Trend aufzuspringen und mit Curvy Barbie, PoC-Barbie oder Rollstuhl-Barbie den Anschein von Diversität zu erwecken, bleibt die von Margot Robbie verkörperte Stereotype Barbie dem männlichen Machtsystem verpflichtet: ewig dünn, ewig weiß, ewig jung. 

Auch wenn im Zug der Filmanalyse immer wieder angeführt wurde, dass Barbie ursprünglich ein progressives, feministisches Projekt war, ist die Art von Feminismus, die sie symbolisiert, furchtbar veraltet. Barbies Emanzipation beginnt und endet mit einer gleichberechtigten Teilnahme am Massenkonsum, ihre Befreiung ist in Wirklichkeit bloß die Befreiung ihrer Kaufkraft. 

Weil die Männer von Mattel Barbie vom Hals haben wollen, versuchen sie Barbie zurück in ihre Box hinein zu komplimentieren, Barbie ist kommt das komisch vor und sie rennt.

Was hilft gegen Patriarchat?

Auf ihrer Flucht vor den Anzugträgern findet Barbie ihre menschliche Gegenspielerin, deren Depression sie channelt: die mittelalte Mutter einer  Teenagertochter, moderat durchgepeitscht und milde depressiv von Leistungsgesellschaft und Selbstausbeutung. 

Gemeinsam machen sie sich auf den Weg zurück ins Barbie Land, um die Welt wieder ins Gleichgewicht zu bringen. 

Dort müssen sie jedoch schockiert feststellen: In ihrer Abwesenheit hat Ken geputscht und Barbie Land ist jetzt Kendom. Sogar der Präsident ist ein Ken. Die Barbies haben Häuser, Jobs und Stimmrecht verloren und sind so hart gebrainwashed, dass sie die Erfüllung ihres Daseins finden, indem sie bewundernd zu Ken aufschauen, ihm Bier reichen und sich von ihm Der Pate erklären lassen.

Gottseidank haben sie die menschliche Frau in petto, die bereits immunisiert (aka resigniert) gegen das Patriarchat ist. Mit einer Art magischem Pep Talk, in dem sie die Anforderungen an Frauen in einem patriarchalen System beschreibt, bringt sie die paralysierten Barbies wieder zur Besinnung. 

Bei menschlichen Zuschauerinnen hat sie allerdings die gegenteilige Wirkung, denn die magische Rede, die die Barbies aus ihrer Patriarchats-Trance aufweckt, haben wir alle schon so oft gehört, dass wir sie vorwärts und rückwärts runterbeten könnten, wenn man uns aus dem Tiefschlaf weckt: Frauen müssen alles sein; schön, aber nicht verbissen, erfolgreich, aber nicht überlegen, zielstrebig, aber nicht unfreundlich, sexuell verfügbar, aber nicht leicht zu haben, ehrgeizig, aber bitte keine Konkurrenz für die Männer. Und immer schön lächeln. 

In der echten Welt hilft das Bewusstsein über diesen Mechanismus nichts gegen die Machtstruktur, in Barbie Land reicht es, dass die Barbies ihr Mindset ändern. Sie kommen wieder zu sich und führen die stupiden Kens hinters Licht, indem sie sie eifersüchtig machen und gegeneinander ausspielen. 

I am Kenough

Es wurde oft angemerkt, und es ist wahr: der eigentliche Star des Films ist Ken. Nicht, weil er besser besetzt wäre — obwohl Ryan Gosling wie immer super ist, ist er streng genommen locker 20 Jahre zu alt für die Rolle, was man einer weiblichen Darstellerin nicht in einer Million Jahren durchgehen lassen würde — aber er hat einfach den interessanteren Handlungsstrang. Seine Dialoge sind witziger, seine Entwicklung interessanter.

Ken hat schnell geblickt, dass das Patriarchat auch für ihn nicht so wahnsinnig viel zu bieten hat. Es gibt weder Pferde noch romantische Liebe, noch Karriere oder spirituelle Erfüllung einfach geschenkt. In Wirklichkeit muss er lernen, emotionale Bestätigung nicht mehr im Außen zu suchen. Er muss lernen, wer er ist, wenn Barbie ihn nicht anschaut. Insofern ist Kens Emanzipation eine emotionale: Er muss sich selbst freimachen von der Sucht nach Barbies Bestätigung. 

Barbies Finale

Barbie selbst darf zur Menschenfrau werden, komplett mit Vagina und Plattfüßen. In einer enttäuschenden, weil leider vor reaktionärem Kitsch nur so triefenden finalen Vision wird Barbie und den Zuschauer:innen die drängende Frage beantwortet, was sie für Cellulite, Birkenstock und Sterblichkeit entschädigen soll, und die Antwort lautet: Gefühle. Und Mutterschaft. 

Und das ist das Ding: Barbies Welt ist kein Matriarchat, denn es gibt keine Mütter. (Schon früh im Film wird festgestellt, dass es nichts verstörenderes gibt als eine schwangere Barbie.) 

Die Nicht-Existenz von Mutterschaft, Ehe und romantischer, hetero-normativer Kleinfamilie ist der Schlüssel zu Barbies Erfolg. Während diese Faktoren in der echten Welt die Sollbruchstelle der Emanzipation darstellen: Hätten Frauen kein Bedürfnis danach, Kinder innerhalb einer romantischen Beziehung zu haben, wären sie emotional nicht mehr erpressbar. 

Der Grund, warum die Rede von Chancengleichheit sich mittlerweile so hohl und leer anfühlt, ist, dass wir eine neue Stufe im feministischen Diskurs erreicht haben: Frauen sind nicht mehr zu finanzieller Abhängigkeit verurteilt. Sie verdienen selbstverständlich ihr eigenes Geld, sind hierzulande sogar besser ausgebildet als Männer. Es gibt keine rechtlichen Grenzen mehr für weibliche Selbstbestimmung. 

Die wirtschaftliche Abhängigkeit manifestiert sich erst, wenn wir heiraten und Kinder bekommen. Die weibliche Priorisierung der romantischen Liebe über die Karriere ist immer noch die kulturelle Norm. Nicht umsonst war Ehe und Familienplanung immer schon das wichtigste Kontrollwerkzeug konservativer Machthabender: eine Frau, die Kinder bekommt, hat weniger Zeit, Geld und Aufmerksamkeit für Revolution. 

Eigentlich ist also Kens Entwicklung die nächste Evolutionsstufe für Real-Life-Barbie: Um emotionale Unabhängigkeit zu erreichen, müssen wir unsere Abhängigkeit von der romantischen Beziehung und der Kleinfamilie überprüfen, alternative Beziehungskonzepte testen, in romantischen Beziehungen härter verhandeln und aufhören, uns von Ken Der Pate erklären zu lassen, damit er sich besser fühlt. 

Tópico Weekly

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