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Ja – es stört mich, wenn du trinkst.

Mika über Einsamkeit unter Trinkenden

Nüchternheit bedeutet, eine Sprache nicht mehr zu sprechen, die man einmal sehr gut konnte. Noch heute erkenne ich die Codes der Trinker:innen, beherrsche ihre Grammatik, weiß die Zeichen zu lesen, die durch die Nacht zum nächsten Drink führen, aber wenn ich etwas sagen will, greife ich ins Leere. Die Sprache der Trinker ist diese Mischung aus grober Verwaschenheit und punktueller Präzision, überspielter Bedürftigkeit und jovialer Derbheit. Und wenn man unter ihnen ist, fühlt sich Nüchternheit manchmal an wie ein Schlaganfall. Du weißt eigentlich noch genau wie alles geht und was du sagen musst, aber es kommt nicht aus dir heraus. 

Mel ist eines jener Cool Girls, die mich daran erinnern, was ich nie wirklich hatte: extrovertierte Leichtigkeit und stabiles Selbstvertrauen. An dem Abend, an dem wir uns kennenlernen, bin ich ab der ersten Sekunde uninteressant. Deshalb stelle ich Fragen und sie antwortet ausschweifend als stünde sie auf einer Bühne. Ich frage gegen meine eigene Langweiligkeit an, und sie braucht ja auch nicht viel, nur ein Stichwort von mir, aber ich bin trotzdem nicht entspannt. Als ich in der dritten Runde immer noch bei Cola bleibe, registriert sie langsam, dass eine gute Zeit bei mir nicht zu haben ist. Und als sie später Margaritas für alle mixt und dabei laut die Mengen, Zutaten und Mittrinkenden kommentiert, komme ich schon nicht mehr vor. Ich bin im Laufe des Abends immer unsichtbarer geworden. 

Kein Wunder. Als sie erzählt, dass sie und ihre Freunde auf eine »Biersafari« gegangen sind, frage ich völlig bescheuert, welche Tiere sie gesehen haben. Biersafari hieß einfach nur in Kneipen zu gehen, und ich dachte, sie seien wenigstens besoffen im Zoo gewesen. Als ihr Freund erzählt, wie anstrengend die Arbeit ist, will ich sagen, wie viel anstrengender sein Trinken für mich klingt. Ich sage natürlich nichts und mache nur »mhm«. Aber auch in dieser Hinsicht fühle ich mich unbrauchbar. Das »collective Bargaining«, das kollektive Verhandeln, bei dem man sich gegenseitig versichert, dass es völlig okay ist, so zu trinken wie man trinkt, war früher selbstverständlich in meinem Repertoire. Jetzt kenne ich noch meinen Text, aber schaue zu, wie das Theaterstück ohne mich aufgeführt wird. Wenn jemand ausgelassen ruft: »Hier noch ‘ne Runde für die Alkoholiker unter uns«, bin ich ironischerweise am allerwenigsten gemeint.

Wenn jemand ausgelassen ruft: »Hier noch ‘ne Runde für die Alkoholiker unter uns«, bin ich ironischerweise am allerwenigsten gemeint.

Ich gebe mir trotzdem Mühe. Ich versuche Empathie für Kater zu heucheln, um nicht wie ein übermoralisches Arschloch zu klingen, aber ich fühle nichts, wirklich nichts, außer Erleichterung, mich so nicht mehr fühlen zu müssen. Wenn ich Saufgeschichten höre, und die Erzählerin bei den Mengenangaben etwas lauter wird und darüber lacht, wie stark der Drink war oder wie viele Bier sie getrunken hat, lache ich nicht mehr mit. Ich nicke nicht mehr anerkennend. Ich denke nur »oha«. Ich wüsste, wie das alles geht, was zu sagen wäre, aber ich kann es nicht mehr. Ich weiß noch, was ein »Skinny Bitch« ist [Wodka + Mineralwasser], aber ich bin völlig entgeistert, wenn Menschen das wirklich trinken – um Kalorien zu sparen. 

Ich bin an einem Punkt, an dem ich mir eingestehen muss, dass Alkohol mich stört. Das ist anders als bei meinen vorherigen abstinenten Phasen. Im Leben als »Dry Drunk« gehörte es für mich dazu, jeden besoffenen Tanz mitzutanzen, jede kollektivierte Saufliebe mit zu lieben und überbetont tolerant, oder sogar einladend, gegenüber allen Trinkenden zu sein – sogar, wenn sie in meiner Wohnung waren. 

Ich wollte nicht rüberkommen wie ein Moralapostel, wollte keine Spielverderberin sein, sondern unkompliziert und cool. Es fühlt sich nämlich leider sehr verklemmt an, wenn man sagt, dass Alkohol einen stört. Als Mensch mit Suchtgeschichte steht man außerdem sofort im Verdacht, dass man einfach mega süchtig ist und Angst hat, sich nicht beherrschen zu können.

Als Mensch mit Suchtgeschichte steht man sofort im Verdacht, dass man einfach mega süchtig ist und Angst hat, sich nicht beherrschen zu können.

Natürlich käme einem sowas bei militanten Nichtraucher:innen, die sich von Zigarettenrauch gestört fühlen, niemals in den Sinn. Die sagen »Nicht neben den Kindern« oder »Nicht im Zimmer« oder »Keine Dates mit Rauchern«. Und Leute denken nicht, was das für krass süchtige Suchtkranke sein müssen.

Es stört mich, wenn Menschen neben mir Bier trinken oder mir Weingeruch in die Nase steigt. Es stört mich, wenn nach dem Essen ein Absacker-Schnaps getrunken wird, weil es angeblich gut für die Verdauung ist (It’s not). Es stört mich, wenn Menschen, die ich mag, ein bisschen anders werden. Es stört mich, wenn erwachsene Männer Witze über ihre eigene Trinkfestigkeit machen. Und mich stört die saure Ausdünstung, die am nächsten Tag im Schweiß der Trinker hängt. Und weil wir in einer Gesellschaft leben, in der es dem Verbrennen der Nationalflagge gleichkommt, wenn man sich von Alkohol gestört fühlt, muss ich klarstellen:

Nein, ich verurteile die Menschen nicht, die trinken. Nein, es ruiniert mir nicht den Abend, wenn jemand neben mir ein Bier trinkt. Nein, ich kann trotzdem eine gute Zeit mit netten Menschen haben, auch wenn dabei getrunken wird. Nein, ich kommentiere das Trinkverhalten der Leute nicht (laut). Nein, ich schreibe meinen Mitmenschen nicht vor, was sie im Restaurant bestellen dürfen. Nein, ich habe keinen Suchtdruck. Nein, ich habe nicht das Gefühl, mir würde etwas vorgelebt, was ich nicht »darf«. Nein, es macht mir keine Angst. Nein, ich muss mich nicht »kontrollieren«. Aber, ja. Wenn du mich fragst, ob es mich stört, wenn du trinkst, dann Ja. Alkohol stört mich. Ich empfinde ihn als Fremdkörper und Eindringling, als überflüssig und penetrant. Ja, ich finde es besser, wenn er nicht da ist. Und es gab in den letzten 4,5 Jahren keine Situation, in der ich es vorgezogen hätte, wenn er mit dabei gewesen wäre. 

Richtigerweise müsste ich von nun an also auf die Frage »stört es dich, wenn ich was trinke?« mit »Ja« antworten. Mein »Ja« würde nicht bedeuten, dass die Person es lassen soll. Aber ehrlich wäre es. Letztlich ist das der Grund, weshalb sich die alten Interaktionsmuster so falsch anfühlen. Weshalb die Worte nicht aus mir heraus kommen wollen, wenn ich versuche, mit den Trinkenden zu reden als würde ich selbst noch trinken. Es stört mich, was sie machen. Für die richtigen Menschen und gute Gesellschaft, kann ich problemlos darüber hinwegsehen. Für alle anderen ist meine Toleranz tief genug gesunken, um lieber früher ins Bett zu gehen. Das hat nichts mit Verkrampftheit zu tun, sondern viel mehr mit einem besseren Gespür dafür, was ich in meiner Nähe will – und mit dem stabilen Selbstvertrauen, es mir zuzugestehen.

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