Nice Dry Live Podcast Hamburg
Mika: Sonntagmorgen. Ich trinke den ersten Kaffee im Bett in unserem AirBnB und verfluche meinen super stabilen Biorhythmus, der mich spätestens um 7 Uhr verlässlich aus dem Schlaf reißt. Ich drücke ziellos auf meinem Handy herum. Müde ist ein bisschen wie Kater. Das Nice Dry Event in Hamburg, auf das wir uns seit Monaten freuen, ist vorbei. Jetzt bleibt noch das Packen, ein Kaffee am Bahnhof und die Fahrt zurück. Draußen regnet’s, Hamburg halt. Ich bin sehr, sehr müde.
Als Maurice uns im Sommer schrieb, er würde überlegen, mal irgendwie so ein Event - was genau, keine Ahnung, irgendwas mit Tattoos und Podcasts - zu organisieren, ob wir da dabei wären, war es ein sehr einfaches und günstiges »Ja« für uns. Es gab noch nichts Konkretes und bisher hatten sich Anfragen dieser Art immer im Sande verlaufen. Diesmal nicht. Dinge begannen zu passieren, Nice Dry bekam ein Gesicht (einen riesigen Smilie mit Sonnenschirm) und einen Look (richtig, richtig bunt). Dann kamen ein Haufen Künstler:innen und Tätowierer:innen hinzu, die beiden Podcasts »The new me orders tea« und »sucht + süchtig«. Daraus wurde ein volles Programm und wir sollten als »Headliner« (ich kann dieses Wort nicht ohne Anführungszeichen schreiben) am Samstag Abend auftreten. Das günstige »Ja« aus dem Sommer war auf einmal viel mehr als das: eine Ehre, eine Verantwortung und jede Menge Aufregung.
Und was für ein Event das war! Mir fehlen noch immer die Worte dafür, wie sehr mich das alles berührt hat. Die Begegnungen mit langjährigen Hörer:innen, Neulingen, extrem niedlichen Hunden und alten Freund:innen. Die Gespräche auf und neben der Bühne, die Kunst und die Liebe, die uns aus jedem Detail entgegensprühte. Wir sind noch immer voll damit.
Als letztes aufzutreten hat einen komischen Effekt: Man kann gar nichts machen, außer zu warten, bis die Intro Musik spielt und man die Bühne betreten darf. Trotzdem läuft eine latente Anspannung mit, die Angst zu enttäuschen, obwohl man weiß, dass alle hier wegen der derselben Sache sind: um sich mit etwas Größerem zu verbinden. Ich habe es gespürt, als ich beim Sprechen in nickende Gesichter geblickt habe, das solidarische Lachen des Publikums hörte und manchmal die Stille beinahe greifen konnte, wenn es ernst wurde. Aber ganz besonders spürte ich es, als wir fragten: »Wer hier von euch lebt nüchtern?« und wir in das Meer aus Händen blickten, die nach oben gingen.
Das alles ist da und arbeitet in mir. Und gleichzeitig überkommt mich ein Gefühl von Kontrollverlust. Man könnte ja meinen, dass so ein Live-Podcast im Grunde dasselbe ist, wie ein normaler Podcast, bloß eben live. Aber live heißt: Nicht mehr so genau zu wissen, was ich gesagt habe. Keine Möglichkeit im Nachhinein zu editieren. Und direktes emotionales Feedback. Ich glaube, ich habe das, was Brené Brown einen Vulnerability Hangover nennt, einen Kater der Verletzlichkeit: Das Gefühl von Scham und Angst, nachdem man ein emotionales Wagnis eingegangen ist. Denn so normal es sich inzwischen anfühlt, vor einem Mikro zu sprechen. Es fühlt sich nicht normal an, auf einer Bühne zu sagen: Hallo, ich bin Mika und ich bin Alkoholikerin.
Es ist eine paradoxe Situation, Intimität öffentlich zu machen. Und genau so paradox ist es in mir: Stolz über Erreichtes, jagt Angst um Verpasstes, jagt Scham über nichts Spezielles, jagt Bock auf mehr, jagt Sehnsucht nach Rückzug, jagt impulsiven Laberflash, jagt das Bedürfnis, 100 Jahre zu schweigen und nie wieder meine eigene Stimme zu hören, jagt Größenwahn, jagt Demut. Heute lasse ich die Gefühle toben und weiß, dass sie sich beruhigen werden. Dass einige der Fragen, die gerade noch ungeordnet herumwirbeln, gute Fragen sind, deren Antworten langsam in mir wachsen werden. Aber heute schaue ich ihnen beim Toben zu, ohne sie zu kontrollieren oder abzustellen. Nüchternheit eben - Ist einfach der Shit.