Das Rätsel um den Kontrollverlust
von Mika
Kontrollverlust – Ich schiebe dieses Wort in meinem Kopf hin und her, wie ein Puzzlestück, das beinahe passt. Ich probiere, es dorthin zu legen, wo es hingehört – zu den Kriterien, die mir meine Abhängigkeit belegen sollen. Doch ich muss Kraft aufwenden, damit es an der richtigen Stelle bleibt. Immer wieder rutscht es mir weg. Beim Wort Kontrollverlust denke ich an Menschen, die buchstäblich nicht in der Lage sind, mit dem Trinken aufzuhören, wahrscheinlich weil sie schon so körperlich abhängig sind, dass sie sofort zu zittern beginnen, wenn sie mal eine halbe Stunde den Schnaps weglassen. Ich denke an den Verlust der Kontrolle über die körperlichen Funktionen, an Einnässen zum Beispiel (interessanterweise denke ich nie an Erbrechen). Oder über die Kontrolle eines Fahrzeugs. Aber ich denke nicht an mich.
Auch der Duden hilft mir nicht weiter. Als erste Definition steht dort: »dauernde Überwachung, Aufsicht, der jemand, etwas untersteht.« Nach dieser Definition ist mein Konsum hoch kontrolliert, denn ich beobachte ihn permanent. Ich stehe unter meinen eigenen Beobachtung, 24 Stunden am Tag. Ich registriere morgens: Ugh, die scheiß Flasche ist gestern wieder leer geworden. Ich vermerke: Das letzte Bier hätte nicht sein müssen. Ich weiß: Jetzt etwas langsamer trinken, damit es nicht auffällt.
Gäbe es so etwas wie einen Schwarzen Gürtel in mentaler Gymnastik, ich hätte ihn längst gekriegt. Sich die eigene Sucht wegzudiskutieren ist eine Kunstform für sich. Es braucht Flexibilität, Kraft und Durchhaltevermögen. Es braucht einen starken Willen. Es ist Sport. Gegen meine Moves kommen auch Formulierungen, wie diese hier nicht an: »Stellen Sie fest, dass Sie nicht aufhören können zu trinken, wenn Sie einmal angefangen haben?« Dass ich zu viel trinke, weiß ich bereits. Aber mein Verstand hängt sich verlässlich an diesem kleinen Wörtchen auf: »Können«. Dieses »Können« hebt den ganzen Satz aus den Angeln. Was heißt schon »können«? Ich tu es halt nicht. Ich könnte natürlich, aber ich will nicht anders, sonst würde ich es ja machen – QED bitches, was zu beweisen war. Im selben Atemzug, mit dem ich die Einheiten für alkoholische Getränke großzügig in die völlige Bedeutungslosigkeit hinein überschlage, werde ich bei der Definition der Wörter »Kontrolle«, »Verlust« und »können« plötzlich kleinkarierter als eine westdeutsche Rasenkante.
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