Barbie much, Miss Japan?
Die Shitshow um Miss Nippon Grand Prix 2024 hast du bestimmt schon mitbekommen, oder? Wenn nicht: Die ukrainische Migrantin Karolina Shiino, die als Kind im Alter von fünf Jahren gemeinsam mit ihrer Mutter aus der Ukraine nach Japan zog und 2022 die japanische Staatsbürgerschaft bekam, wurde im Januar zur Miss Japan gewählt, also zur schönsten Frau Japans. Wenige Tage nach ihrer Wahl gab sie ihren Titel auf. Dazu gleich mehr.
Die Wahl von Karolina Shiino löste eine Debatte aus. Und mit “Debatte” meine ich eine kontraproduktive und sehr irritierende Diskussion über Gene und Körper. Es ging um die Frage, ob Shiino als japanisch gelten soll, weil kein Elternteil von ihr japanisch ist. Sie sei 100 Prozent ukrainisch, hieß es, wenn sie doch wenigstens ein kleines bisschen japanisch gewesen wäre… Andererseits, inklusive in Shiinos Siegesrede, ging es um die Situation von migrantischen Minderheiten in Japan, die mit wenig Akzeptanz und eher mit Ausschlüssen konfrontiert werden. Shiino spricht ausschließlich japanisch und beherrscht keine zweite Sprache.
Es ist wahr, dass migrantische Minderheiten in Japan für immer migrantisch bleiben. Das hat teils mit der Geschichte Japans zu tun. Japan schloss die Grenzen im 17. Jahrhundert in der Edo-Zeit, um christliche Missionär*innen aus Europa fernzuhalten, also um sich vor ihnen zu schützen. Fast 300 Jahre lang waren nur wenige ausländische Menschen auf die Insel erlaubt.
Andererseits bleibt die globale Wahrheit von der Geschichte willkürlicher Länder unberührt, nämlich dass weiße Menschen überall hinwandern können, und nirgends in der Welt kollektiv so schlechte Karten ziehen wie nicht-weiße migrantische Menschen, die in weiße Länder ziehen. Wir könnten den Schock in Japan vielleicht mit dichten Grenzen der Edo-Zeit erklären, aber womit wollen wir den Rassismus in Ländern erklären, in denen Migration seit Anfang der Zeit ein fester Bestandteil des Lebens war? Rassismus ist keine Folge von Migration. Er hängt mit der weißen Vorherrschaft zusammen, Rassismus setzt die weiße Vorherrschaft voraus.
Miss Nippon Association 2024. Überarbeitet von Sibel Schick
Es ist kein Zufall, dass die einzige Kandidatin, die deckgleich aussieht wie eine klassische Barbie-Puppe, also wie die “Norm-Barbie”, den Schönheitswettbewerb in Japan gewann. Es ist kein Zufall. Und es ist keine moderne Entwicklung einer Einwanderungsgesellschaft, und es ist kein Zeichen dafür, dass migrantische Minderheiten in Japan es inzwischen etwas einfacher haben. Die Wahl von Karolina Shiino ist eine direkte Folge der weißen Vorherrschaft, es ist Folge davon, dass sich die Schönheitsideale, die mit der weißen Vorherrschaft einhergehen, überall in der Welt durchsetzen.
Die Wahl Karolina Shiinos als Miss Japan 2024 ist kein Sieg für Menschen, die migrantisch sind und mit strukturellem Rassismus konfrontiert und täglich Mikroaggressionen ausgesetzt werden – nicht in Japan, nicht sonst wo. Ganz im Gegenteil: Es ist ein zusätzlicher, erhöhter Druck auf all diejenigen, die eben nicht aussehen wie eine Norm-Barbie.
Schönheit in unserer Welt ist etwas messbares. Die Länge und die Breite von Körperteilen und Gliedern, die Dichte der Haare je nach Körperteil, die Pigmente, die ein Mensch hat, die Symmetrie, die er vorweisen kann, Haut- und Haarstruktur... Schönheit ist klar definiert. Schönheit ist nicht persönlich, sondern global. Sie folgt klaren Angaben. Schönheit ist keine Geschmacksache, Schönheit kommt nicht von Innen. Schönheit ist ein misogynes und rassistisches Disziplinierungsapparat. Deshalb beginnen Mädchen im Kindesalter, sich chronisch zu hungern und zu turnen, bis sie ihren Körper kaputtmachen. Deshalb sterben jährlich mehr Menschen an Folgen von Essstörungen als an die Folgen von Übergewicht, und kaum ein Mensch benennt das Problem beim richtigen Namen. Deshalb nutzen Frauen in vielen Teilen der Welt hautbleichende, krebserregende Gesichtscremes, deshalb unterziehen sie sich chirurgischen Eingriffen, lassen sich hier und da Substanzen einspritzen. Deshalb beschäftigen sich Millionen Frauen und Mädchen mit ihrem Gesicht, schauen täglich mehrere Face-Yoga-Videos, stehen stundenlang vor dem Spiegel und tragen sich zehn Produkte am Tag aufs Gesicht und Haar. Deshalb können junge Frauen keine Bilder ohne Filter auf Social Media posten, und selbst dafür müssen sie zuerst 200 Selfies geschossen haben, bis sie mit einem einzigen vielleicht ein bisschen zufrieden sind. Schönheit hat nichts mit Schönsein zu tun.
Exklusive Schönheit ist wirksam, weil sie die Nicht-Schönen hervorbringt. Ihre Entwürdigung, ihr Ausschluss, letztlich ihre Entmenschlichung ist der eigentliche Sinn des modernen Schönheitsbegriffs. Die Produktion hässlicher, kranker und abnormaler Körper und die partielle oder absolute Negation des Schönen in den anderen ermöglicht ihre Ausbeutung durch die sogenannte Zivilisation. Die Ausgrenzung und Ausbeutung der vielen wird ermöglicht durch die Verherrlichung der wenigen.
Selbst die als schön markierten Körper sind nicht unbedingt die signifikanten Profiteure dieser Ökonomie. Eher sind es damals wie heute jene, die die Standards setzen, regulieren, verkaufen. Es sind jene, die profitieren von den Hässlichen, indem sie die Angst vor und den Spott über Hässlichkeit aufrechterhalten, sodass Menschen alles tun würden, um dem Hässlichen nicht zu nahe zu kommen. - Moshtari Hilal: Hässlichkeit (Abre numa nova janela)
Karolina Shiino gab wenige Tage nach ihrer Wahl ihren Titel als Miss Japan auf, allerdings nicht wegen der Debatte um die Schönheitsideale. Kurz nachdem sie gekürt wurde, berichtete eine Wochenzeitschrift, dass Shiino in der Vergangenheit eine Affäre mit einem verheirateten Mann hatte, und das ging wohl zu weit. Shiino setzte einen Post auf Instagram ab, indem sie die Ehefrau des Mannes und alle anderen um Entschuldigung bat und bekannt gab, den Titel als Miss Nippon aufzugeben. Was der verheiratete Mann, der eine Affäre mit Shiino hatte, für Schlüsse zog, was er aufgab und wen er um Entschuldigung bat, wissen wir nicht. Shiino kostete das vielleicht eine Karriere, was für sie kurzfristig eine große Niederlage sein muss.
Auch über den Sinn von Schönheitswettbewerben wurde im Zuge dieser Debatte diskutiert. Viele äußerten die Meinung, dass so etwas doch längst abgeschafft gehöre. Die Schönheitswettbewerbe sind allerdings nicht die Ursache, sondern die Folge der toxischen Schönheitsideale, des Sexismus und der Diskriminierung. Wir könnten die Wettbewerbe abschaffen, aber ob es alleine hilft? Solange der alltägliche Schönheitswettbewerb auf der Straße, dem Arbeitsplatz, auf Social Media, auf dem Schulhof, auf Katalogen der Textil- und Kosmetikindustrie, in romantischen Beziehungen und Freund*innenschaften ungestört fortbestehen, wäre ein Verbot der Shows sinnlos. Was wir brauchen ist eine Kultur, in der diese Shows überflüssig sind, weil eine sogenannte Schönheit nicht dazu führen kann, Menschen zu hierarchisieren, manchen weniger und anderen mehr Wert beizumessen. Und der erste Schritt gen diese Kultur ist, Schönheit als das, was sie ist, zu benennen: Ein Gefängnis, ein Hamsterrad, und ja, eine Strafe.
Apropos Norm-Barbie: Margot Robbie, die die Norm-Barbie in dem Film “Barbie” spielte, und dessen Regisseurin Greta Gerwig, wurden dieses Jahr nicht für einen Oscar nominiert. Ryan Gosling hingegen, der die Rolle von Ken hervorragend spielte, schon. Medien und Social Media explodierten, weil sie es für sexistisch hielten, dass für Barbie ‘“keine Frauen” nominiert worden seien, der Ken aber schon, natürlich, war doch klar, davon handelt ja sogar der Film! Die Schauspielerin America Ferrera (“Superstore”) wurde zwar für ihre Leistung für den Oscar als beste Nebendarstellerin nominiert, aber sie ist ja nicht weiß, daher zählt sie wohl nicht als Frau.
Schauspielerin America Ferrera in dem Film “Barbie”, beschriftet von Sibel Schick
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Sibel Schick 🍋