Guten Tag, werte Lesende!
Als Prognostiker bin ich eine Niete. Gleichwohl bin ich sicher, dass die Bundestagswahl so gut wie gelaufen ist. Einer schleicht sich Richtung 30 Prozent, alle anderen eumeln um die 20 oder deutlich drunter. Was soll passieren? Koalitionsoptionen gibt´s genug. Und digital kompetent ist der Neue auch, also ein wenig. Das hat er mir zu verdanken, wie ich in aller Bescheidenheit festhalten möchte. Für mein Projekt "Netzentdecker" habe ich mich 2019 mit Armin Laschet in einem Düsseldorfer Cyper-Café durch virtuelle 3-D-Spielereien gezockt. Ich finde es mutig, wenn Männer in der Lage sind, ihre Schwächen so offen zu zeigen. Hätten Kohl, Schröder, Merkel sowas mitgemacht? Niemals, das Image. Jetzt kommt Tanit Koch und wird dem Kandidaten seine Lockerheiten austreiben, natürlich ohne Verbiegen. Schon klar. Genießen Sie die letzten Tage in Freiheit, Herr Laschet.
https://www.youtube.com/watch?v=G32UCQYKRKo (Abre numa nova janela)Und sonst? Freue ich mich auf ein Interview mit Tristan Horx und seinem Vater Matthias, dem Zukunftsforscher. Die beiden haben sich bereit erklärt, auf der MANNsein, einer Digitalkonferenz für moderne Männlichkeit, über Rollenbilder, Erwartungen, Mindfucks und eben auch ihr ganz persönliches Vater-Sohn-Verhältnis zu reden. Bin sehr gespannt.
Ein wunderbares Wochenende wünscht
Hajo Schumacher
Spaß an Schumachers Woche? Für alle, die meine Arbeit unterstützen möchten und können, gibt's hier (Abre numa nova janela) die Möglichkeit. Diese Woche verlose ich unter allen Steady-Freunden ein auf Wunsch signiertes Exemplar von Kein Netz. (Abre numa nova janela)
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Rätsel der Woche
In dieser Zigarilloschachtel bewahre ich Büroklammern auf. Die stinkenden Teile werden von der Firma Arnold André in der Moltkestraße in Bünde/Westfalen hergestellt. 20 kosten knapp 10 Euro. Und nun die Frage: Von wem habe ich die leere Schachtel? Richtig: Ludwig Erhard war´s nicht, Gerhard Schröder auch nicht. PS: Unter allen richtigen Einsendungen werden die Büroklammern verlost. Die Schachtel gebe ich, vorerst, nicht weg.
Stratege der Woche
Just in diesem Moment wird Sahra Wagenknecht auf den Grillrost geschnallt, gleich neben Boris Palmer. Thilo Sarrazin ist schon durch. Er wurde vor knapp einem Jahr aus der SPD geworfen. Einige Parteien halten es für schlau, sperrige Mitglieder einfach zu entfernen. Armin Laschet macht das Gegenteil: Statt rote Linien zu zementieren spannt er rote Gummibänder, deren Dehnbarkeit Hans-Georg Maaßen oder Max Otte noch ausgiebig testen werden. Ist Laschets Toleranz- und Inklusionsstrategie sein Erfolgsgeheimnis?
Alleskleber Laschet
In Zeiten heftiger Polarisierung präsentiert sich CDU-Chef Armin Laschet als gelassener Versöhner, der Andersdenkende einbindet oder ihnen viel Beinfreiheit lässt. Wieviel Integration verträgt die Union, wann wird die Partei beliebig?
So richtig dicke Kumpels werden Reiner Haseloff und Armin Laschet wohl nicht mehr. Immer wieder hatte Haseloff seinen Parteichef wissen lassen, dass er Merz-Fan sei und Markus Söder für den besseren Kandidaten halte. Gewohnt schmerzfrei hat Laschet die Aufsässigkeiten weggelächelt. Wie hätten Helmut Kohl reagiert, Gerhard Schröder oder Angela Merkel? Alle drei hätten einen Abweichler wie Haseloff wohl auf die Liste „spezielle Freunde“ gesetzt und eines Tages bestraft. Laschet ist anders: Er hält Andersartigkeit aus, Rachegelüste scheinen ihm fremd zu sein. So gerät Haseloffs Triumph auch zu Laschets Sieg, paradoxerweise deswegen, weil der Parteichef sich rausgehalten hat aus einer Ost-CDU, die mit Westmustern ohnehin nicht zu fassen ist.
Der Mann aus Aachen-Burtscheid, der nach dem Sieg in Sachsen-Anhalt seinen Weg ins Kanzleramt nur noch selbst verstolpern kann, bereichert die deutsche Politik mit einem Retro-Stil, der um jeden Preis einbindet statt ausgrenzt. Laschets Meisterstück bislang war die Integration von Friedrich Merz, den er bei der Stichwahl um den CDU-Vorsitz knapp besiegt hatte, was in anderen Parteien für ewige Feindschaft gesorgt hätte. Laschet dagegen fing den eigenwilligen Sauerländer ein und bot ihm eine zentrale Rolle im Wahlkampf. Der Graben zwischen dem konservativen Team Merz und moderneren Kräften schloss sich, die merzaffine Ost-CDU war besänftigt.
Der Kanzlerkandidat der Union hat zwar noch kein Wahlprogramm, aber eine Handschrift. Er umarmt alles, sogar die Widersprüche. Laschet, weder als Detailversessener, großer Anführer noch als Visionär bekannt, bedient mit seinem alten, neuen Stil womöglich eine tiefe Sehnsucht nach Miteinander, die mächtiger ist als jedes Sachthema.
Als mobiles Camp David erträgt der CDU-Chef selbst Berufsprovokanten wie den Thüringer Bundestagsaspiranten Hans-Georg Maaßen oder Max Otte, umstrittener Anführer der kleinen, aber lauten Werte-Union und mahnt gefährlich zart, wenigstens antisemitische Klänge zu vermeiden. Tiefer kann man die Latte nicht legen. Einen Quälgeist wie Boris Palmer hätte Laschet wahrscheinlich zum Kölsch-Trinken gebeten, einen Altstar wie Wolfgang Thierse mit seinen Kritikern an den Runden Tisch. Alleskleber Laschet.
In Zeiten empörter Identitätspolitik wagt der Kanzlerkandidat ein radikales Experiment. Er will er die historische Elastizität der CDU und damit das vielfach totgesagte Projekt Volkspartei wiederbeleben, wo sich Rechtausleger wie Otte ebenso heimisch fühlen wie die lesbische Transformationsberaterin Diana Kinnert, wo eine engagierte Integrationskämpferin wie Serap Güler im Bundestag neben Maaßen hockt. So war es schon zu Kohls Zeiten, als der Wehrmachtsoffizier Alfred Dregger und Herz-Jesu-Marxist Norbert Blüm in einer Fraktion sassen. Seinerzeit galt das Rechts-ist-nur-die-Wand-Dogma, wonach Rechtskonservative in einer demokratischen Partei allemal besser aufgehoben sind als in einem eigenen Verein. Mit dieser Linie hat die langjährige CDU-Chefin Merkel gebrochen, die die innerparteilichen Fliehkräfte nach dem Flüchtlingswinter 2015/16 nie eingefangen bekam.
Bleibt die Frage: Wo endet Toleranz, wo beginnt Beliebigkeit? Wie viel Spannung erträgt eine Partei, wenn schon ein Genderstern für unversöhnliche Wut sorgt? Ausgerechnet der gelernte Journalist Laschet vermeidet jegliche digital befeuerte Aufregungsbewirtschaftung, er betont gegen die herrschende Polarisierungs-Logik das Gemeinsame. Das Einbinden von Merz, der Sieg gegen den Zuspitzer Söder und nun der Sieg Haseloffs darf man als erste Bewährungsproben deuten. „Versöhnen statt spalten“ war übrigens der Wahlspruch des NRW-Ministerpräsidenten Johannes Rau, als die einstige Volkspartei SPD noch über 40 Prozent holte.
Mit freundlicher Genehmigung der Berliner Morgenpost
Tweets der Woche
Künstler der der Woche
Zehn bios zwölf Stunden am Tag macht Günter Scharein Punkte. Viele zehntausend davon ergeben wunderbar flächige Bilder.
Warum der Berliner Künstler Scharein die Pandemie für einen kreativen Turbo nutzte, wieso er Galeristen nicht mag, weshalb er mit Gelb hadert, warum er Banksy für überbewertet hält und wie das damals mit Franz Müntefering war, davon berichtet Scharein in unserem Mutmach-Podcast.
"Gelb ist eine Zicke" (Abre numa nova janela)
Spitzenreiter der Woche
Wo wir gerade bei Podcasts sind - an der Spitze der deutschen Podcast-Charts läuft ein interessantes Duell zweier grundverschiedener tagespolitischer Info-Formate: Steingarts staatstragendes Morningbriefing gegen das zart angekneipte "Apokalyse und Filterkaffee" (ApoFika). Damit ging der brillante Wortspieler Micky Beisenherz erst in der Pandemie an den Start als die Maschine auf Steingarts Redaktionsschiff mit Spitzenleuten wie Michael Bröcker oder Stefan Rupp schon rund lief. Umso bemerkenswerter, dass Beisenherz zumindest bei iTunes oft vor den Binnenschiffern rangiert. Ich erkläre das deswegen so ausführlich, weil ich nach der Sachsen-Anhalt-Wahl bei ApoFika zu Gast war und damit erstmals in meinem Leben auf Platz 1 der Podcastcharts stand. Lag leider nicht an mir, denn kurz zuvor stand auch das Duo Beisenherz/Feldenkirchen vorn, wenig später Beisenherz/Frenzel. Mir fällt der Künstler Nam June Paik ein: "When too perfect lieber Gott böse."
Per Sachsen-Anhalter durch die Galaxis (Abre numa nova janela)
Das UFO der Woche
Fliegende Untertassen über Schöneberg? Keine Angst. Nur eine Frisbee-Scheibe, die der Kollege Christoph Azone vor Jahren bei uns vergessen hat. Schön, dass die UFO´s wieder da sind, bald kommen auch wieder bizarre Tiere wie Baggersee-Kaimane oder ausbüxende Schildkröten. Endlich wieder Sommerloch - Hallelujah.
PS: Die Außeridischen kommen nicht persönlich, sie schicken Drohnen.
Laubbläser gegen Aliens
Endlich wieder alles wie immer. Die Sonne ist da und schon tauchen sonderbare Tiere auf, Badesee-Kaimane, Killerschildkröten und Problem-Kühe. Und natürlich UFO´s, die zuverlässig aus jedem Sommerloch aufsteigen, im Gegensatz zu sachsen-anhaltischen Ministerpräsidenten, die nur alle fünf Jahre zu sehen sind. Was wäre ein Ferienstart ohne fliegende Untertassen? Diesmal ist es ganz besonders ernst, weil das Herumschwirren seltsamer Flugobjekte erstmals von US-Geheimdiensten bestätigt wird; selbst Barack Obama glaubt daran, auch wenn Fotos und Filme gewohnt unscharf sind. Ende Juni wird der US-Kongress einen Bericht veröffentlichen, wonach sich selbst die pfiffigsten Forscher manche Phänomene nicht erklären können. Vielleicht liegt es auch daran, dass unter UFO-Experten deutlich mehr LSD konsumiert wird als angenommen. Ausgerechnet Donald Trump, gleichsam letzte Amtshandlung, hat verfügt, dass alle UFO-Infos offenzulegen zu sind. Neue Feinde, neues Glück?
Bleibt die Frage: Wenn seltsame Flugobjekte tatsächlich existieren, warum sind die Piloten nie ausgestiegen für ein Selfie am Brandenburger Tor oder einen Thunfisch-Bagel in Duisburg? Ganz einfach: Weil UFO´s unbemannt sind. Wahrscheinlich haben die Außerirdischen seit vielen jahren auf der Rückseite des Mondes ihre Hängematten zwischen zwei Reichsflugscheiben gespannt und steuern von dort ihre Drohnen, um zu schauen, wie sich das Leben auf diesem Planeten namens Erde entwickelt. Eingebaute Kameras liefern Zeitrafferfilme vom brennenden Regenwald, von plastikgetrübten Ozeanen und Gletschern, die ins Meer plumpsen, von Bubble Tea, Popup-Radwegen und den Toren von Kai Havertz. Die Außerirdischen überlegen noch: Wollen wir da wirklich wohnen?
Vielleicht ist es ganz schlau, dass wir unsere Erde verkommen lassen. Wir schrecken Aliens ab. Es gilt das Prinzip Jungenzimmer: Jede Socke eine Defensivwaffe. Ich werde den Müll anzünden, vom Balkon werfen und dabei den Laubbläser anwerfen. Mich kriegen sie nicht, die Außerirdischen.
M (Abre numa nova janela)it freundlicher Genehmigung der Berliner Morgenpost (Abre numa nova janela)
Fundstück der Woche
Ich räume gerne auf, jedenfalls meinen eigenen Kram - eine wunderbare Kreativitätstechnik. Überall hinterlasse ich Papierhaufen: am Sofa, unterm Bett, in der Küche, selten am Schreibtisch, oft in den sanitären Anlagen. Dann vergesse ich die Haufen oder verschütte sie mit anderem Dingen wie etwa frisch gewaschener Wäsche. Eines Tages buddele ich eher zufällig einen dieser semiantiken Haufen aus und freue mich über das, was ich einst anhäufte. Diese Woche beispielsweise einige ungelesene Ausgaben von Journalist bzw Journalistin. Ich finde es bemerkenswert, wie Chefredakteur Matthias Daniel aus einem etwas betulichen Verbandsblatt eine moderne, optisch oft geile, saubere und vor allem relevante Zeitschrift gemacht hat. Besonders gern habe ich das Interview mit Zeit-Mitmacher Jochen Wegener gelesen. Kritisch bleibt anzumerken, dass man Männer nicht reduzieren sollte auf ihr gutes Aussehen.
Herzlich,
Hajo Schumacher
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PS: Einen habe ich noch: Ich mag diese blitzartig auftretenden Momente der Rührung, wenn die Tränen einfach rauswollen. Diese Woche war es Video: Eine Frau mit Krebs in Rückenmark, Lunge und Leber - Überlebenschance zwei Prozent - hat gesungen und gelächelt und den Satz der Woche gesagt: "Ich bin so viel mehr als meine Krankheit." Hoffentlich noch lange.
https://www.youtube.com/watch?v=RH6G_fWfBPs (Abre numa nova janela)