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Vergangene Woche Dienstag habe ich die Grenzen meines Körpers kennengelernt: Es war Nachmittag, ich ging in meinem Kopf die letzten Gedanken durch, die ich in den Newsletter schreiben wollte, ich plante das nahende Abendessen und wo ich den Kindern noch hinterherräumen wollte, als mich das ereilte, was als „Hexenschuss“ tatsächlich kaum eine bessere Bezeichnung tragen kann: der Schmerz der plötzlich und ohne Vorwarnung in meine Lendenwirbel schoss war stark genug, um die Funktionsfähigkeit meiner Beine zu beenden, so dass ich mich mit Mühe auf einen nahen Stuhl retten konnte, von dem ich mich dann zu Boden sinken ließ und bis zum kommenden Morgen nicht mehr aufstand (, weshalb der Newsletter in der vergangenen Woche ausfiel und nun zu spät kommt. Ich hoffe, es wird mir entschuldigt. Ich kann immerhin schon wieder 45 Minuten am Stück aufrecht sitzen).

Für einen Enddreißiger wie mich, der nie Extremsportarten betrieben hat, ist das eine neue Erfahrung: Der Körper, den ich durch meine Gedanken kontrolliere, verweigert die Mitarbeit. Simple Kommandos wie das Beugen und Strecken des Rückens, Aufstehen, Laufen, werden einfach nicht mehr ausgeführt. Das klingt so banal, ist aber ein Zustand, an den man sich, ist er einmal eingetreten, erst einmal gewöhnen muss. Er kratzt am Selbstverständnis des über sich selbst verfügenden Menschen.

Während ich also auf dem Boden lag und (letztlich vergeblich) auf die Wirkung von Ibuprofen wartete, googelte ich nach weiteren Möglichkeiten, der Situation Herr zu werden. Und immer wieder stieß ich dabei auf Menschen, die behaupteten, sich selbst mit Cannabis therapiert zu haben. Und so viel mir ein Interview (Abre numa nova janela)[€] mit der Freiburger Historikerin Helena Barop wieder ein, die kürzlich eine preisgekrönte Dissertation zum „Krieg gegen Drogen“ veröffentlicht hat. Das Verdienst dieser Doktorarbeit scheint mir aus der Ferne zu sein, allen wissenschaftlichen Anforderungen genügend weiträumig zu bestätigen, was Befürworter:innen einer liberalen Drogenpolitik schon lange behaupten: das Verbot und der großflächige Kampf gegen Drogen ist höchst willkürlich, kulturell besetzt und historisch durch Rassismus befördert und erzeugt worden.

Nun sieht es so aus, als würde die aktuell regierende Koalition, sollte sie nicht an Panzerlieferungen zerschellen, zumindest die Legalisierung eines Cannabis-Marktes in Deutschland angehen. Die Argumente dazu sind sattsam ausgetauscht und müssen von einem Enddreißiger-Familienvater, dessen Drogenkonsum sich auf drei, vier Abende mit Alkohol im Jahr beschränkt, sicher nicht referiert werden. Aber so trocken der Historiker auch sein mag, die Beschäftigung mit Prohibition ist es nicht: Sie erzählt uns viel über das Menschen-, aber auch das Marktbild einer Zeit.

Die Zeit des nationalen Alkoholverbotes in den Vereinigten Staaten ist da das vermutlich beste Beispiel: sie dauerte 13 Jahre, was lang genug ist, um halbwegs repräsentative Entwicklungen auszumachen, aber kurz genug, um das Verbot nicht tief kulturell zu verankern. Die Prohibition ist sozusagen ein Laborversuch, wie Menschen in einer ansonsten weitgehend freien Marktwirtschaft mit Handelsverboten umgehen: indem sie einen zweiten Markt schaffen, der sich des Verbotes entzieht und als Nebeneffekt auch allen anderen Regulierungen: Eine unbekannte Zahl von Amerikaner:innen starb an unsauber gebranntem Schnaps, ganze Städte überließen die Fachaufsicht über das Kneipenwesen der organisierten Kriminalität. Diese Deregulierung im Verbot führte zu einem ungeahnten Aufschwung: Während der Prohibition zwischen 1920 und 1933 gab es allein in New York City ungefähr doppelt so viele illegale Kneipen, sogenannte „Speakeasys“, wie es vor dem Alkoholverbot legale Bars gegeben hatte. Und das alles nur, weil die Menschen sich den Rausch nicht verbieten lassen wollten.

Eine langfristige Folge von Prohibition wird aufgrund ihrer schlechten Messbarkeit oft vergessen: Eine Prohibition, die in die freie, alltägliche Lebensgestaltung eingreift, delegitimiert den Rechtsstaat, der sie durchsetzt. Das betrifft die Alkohol- wie auch die Cannabisprohibition als Verbote, die eine ausreichend weite Verbreitung innerhalb der Bevölkerung betreffen, ohne unmittelbare negative Auswirkungen auf die Umwelt zu verhüten: Wenn heute über 40 Prozent der Deutschen zwischen 14 und 25 schon mindestens einmal Cannabis konsumiert haben, spricht das für eine weitverbreitete Nicht-Achtung von strafrechtlichen Normen. Willkürliche Verbote werden, das ist vielleicht auch ein Sieg der historisch-politischen Bildung, als Unrecht ignoriert. Die USA der 1920er Jahre, aber auch die Bundesrepublik, haben darauf lange mit immer kreativeren Repressionsmechanismen reagiert, ohne damit eine Verhaltensänderung in der Bevölkerung durchsetzen zu können: Kriminalität, auch krimineller Drogengebrauch, ist eine Normabweichung. Wenn diese Norm aber nur im Strafrecht besteht, also in der normierten Gesellschaft, aber nicht in den normierenden Menschen, ist das einzige Risiko dieser Abweichung die Bestrafung, die dazu noch recht selten ist.

Weil vorgestern der 20. April war, der in den USA als 4/20 bekannt ist (und nicht wie hier vor allem als Hitlers Geburtstag), haben auch hierzulande viele Medien größere Artikelstrecken zur voraussichtlich bevorstehenden Cannabis-Legalisierung ausgespielt. Wie immer ging es dabei um Individualschicksale, um Erfahrungen aus den Niederlanden und Portugal, um deutschen Reggae, um überlastete Gerichte und traurige Eltern, um Einstiegsdrogen und Oktoberfeste. Vielleicht wäre es an der Zeit, nicht über Substanzen, sondern über Legitimationen zu reden.

Ein Essay von Helena Barop zu ihrer Dissertation findet sich bei der Körber-Stiftung (Abre numa nova janela) [PDF]

Was sonst noch war:

Xavier Naidoo hat Abbitte geleistet. Wie überzeugend, darüber dürfen wir alle diskutieren. Einer, der das besonders gut kann, ist Jan Rathje, mit dem ich vor Jahren mal gemeinsam einen Workshop leiten durfte. Im Stern wurde er zu Naidoos Video interviewt: https://www.stern.de/politik/deutschland/xavier-naidoo--experte-erklaert--wie-glaubwuerdig-sein-video-ist-31793446.html (Abre numa nova janela)

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