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Krise und Konstanz

Kürzlich erschien in der New York Times ein Artikel (Abre numa nova janela) über Millennials und Midlife Crisis, denn nach allem, was wir als westliche Nachkriegsgesellschaften an Modellen über uns erfunden haben, müssten die älteren Millennials (grob werden damit Angehörige der Jahrgänge 1981 bis 1996 beschrieben, wobei ich eher die frühen 90er ansetzen würde) jetzt genau in diese Lebensphase hereinrutschen. Allein: Sie tun es nicht.

Das hat unterschiedliche Gründe, und der erste ist der Ursprung des Modells der „Midlife Crisis“: Geprägt wurde der Begriff vom Psychoanalytiker Elliott Jaques im Jahr 1957 als Teil eines Vortrags über einen 36 Jahre alten Patienten, der nach einem Leben des konstanten Aufstiegs und der Entfernung von der Geburt als Lebensalterdefinition nun plötzlich den Wandel durchmachte, dass sich seine biografische Verortung durch das Nahen des Todes bestimmte. Jaques erwähnte dabei nicht, dass es sich bei dem Patienten um ihn selbst gehandelt hatte, und baute seine wissenschaftliche Karriere darauf auf: 1965 veröffentlichte er ein Paper, in dem er die „Midlife Crisis“ als treibenden Faktor einer Änderung des künstlerischen Schaffens von Genies wie Chopin nachzuweisen versuchte. Seitdem ist das Konzept in das öffentliche Bewusstsein eingedrungen, mal als Selbstdiagnose, mal als Mittel zum Spott, aber selten mit der kritischen Distanz: Es war immer ein weißes und meist ein sehr männliches Konzept einer Krise für Menschen, die sonst keine gravierenden Krisen zu fürchten hatten.

Bevor jetzt die wenigen „Welt“-Leser dieses Newsletters aufstöhnen ob der schlimmen Identitätspolitik: Das Problem ist im Fach bekannt und wird diskutiert, ebenso die Frage, ob es eine „Midlife Crisis“ überhaupt gibt oder ob sie nicht eine selbsterfüllende Prophezeiung ist: 2001 machte Margie Lachman darauf aufmerksam, dass die „Boomer“ genannte Generation den Begriff oft für jede Form von Rückschlag in ihrem Leben verwendete, ganz gleich ob privat oder beruflich.

Dass bei Millennials die Midlife Crisis nun, nach allem, was wir bislang wissen, weitgehend ausbleibt, liegt am Krisenempfinden: Im Gegensatz zur Babyboomer-Generation sind die ab 1981 Geborenen so vielen Krisen und dem Zusammenbruch der Vorstellung des ewigen Aufstiegs ausgesetzt gewesen, dass die Vorstellung einer „Lebensmitte“ nicht ausreicht, um daraus eine weitere individuelle Krise zu formen, oder wie es der Artikel am Beispiel einer Ärztin Anfang 40 ausbuchstabierte:

„Amid all this, who’s got time to worry about whether they’re feeling fulfilled?“

Warum das hier nun Thema ist liegt nicht etwa an meiner eigenen geistigen Verfassung, sondern daran, dass mir auffiel, dass wir solche nicht klinisch zu messenden Phänomene nur historisch erfassen können: einmal im Vergleich zwischen den Erfahrungen verschiedener Generationen, einmal durch Vergleich der großen Krisen, die diese Generationen erfahren mussten. Flapsig gesprochen: Im Schützengraben überlegt niemand, ob er sich ein Motorrad kaufen sollte.

Aber dass die jetzt etwa 40-Jährigen die Krisenhaftigkeit ihres Lebens so stark wahrnehmen, liegt natürlich auch im Binnenvergleich ihres Lebens: Wer 1981 in den globalen Westen geboren wurde, erlebte die ersten 20 Lebensjahre in aller Regel als konstante Verbesserung der eigenen Lebensumstände, wenn auch auf unterschiedlichen Niveaus. Die Bewohner:innen des ehemaligen Ostblocks hingegen erfuhren schon dort Untergangsszenarien und häufig schnell enttäuschte Aufstiegshoffnungen. Dennoch markierte die Häufung von Krisen ab 2001 einen enormen Einschnitt in den Biografien einer Generation, der nicht zu unterschätzen ist – dabei geht es nicht nur um offensichtliche Ereignisse wie den 11. September 2001, sondern auch um, um in Deutschland zu bleiben, gesamtgesellschaftliche Entwicklungen und Perspektiven. Von der durch die Agenda 2010 kanalisierten Erfahrung, eigentlich unnötige Arbeitskraft zu sein die für die Bereitstellung ihrer Leistung und Zeit eher dankbar sein sollte als anständige Gehälter zu verlangen, erholt sich diese Generation immer noch.

Aber die aus diesen Erfahrungen gespeiste Ablehnung der Millennials gegenüber den Babyboomern funktioniert natürlich aus einem Vergleich der Chancen und Privilegien, die man historisch genoss und genießen möchte, verbunden mit der Erkenntnis, dass der auf Ausbeutung von Erde und anderen Menschen basierende Wohlstand so nicht wiederkommen wird – was abstruserweise durchaus auch mit höheren ethischen Maßstäben möglich wäre, würde nicht gerade die Boomergeneration durch ihr demokratisches Stimmverhalten eine soziale Umverteilung von Wohlstand und Produktionsmitteln verhindern. Folgerichtig sind Millennials die erste im 20. Jahrhundert geborene Generation, die mit zunehmendem Lebensalter nicht konservativer geworden ist (Abre numa nova janela).

Das alles hat natürlich auch mit dem Mangel an Besitz zu tun, der dem Bürgerlichen (und damit konservativ lehnenden) eigen ist. Wer ein Haus besitzt, selbst mit Jahrzehnten an Kreditraten, tendiert dazu Stabilität von der Politik zu erwarten und ist eher geneigt, sich für die Art seiner Heizung selbst entscheiden zu wollen. Insofern war günstiges Bauen nicht nur ein Projekt des Sozialstaates, sondern vor allem Selbstabsicherung des Systems, und an dieser Stelle kann es kollabieren. Das wäre dann die Krise, die auch die Gen Z vor der Midlife Crisis bewahren könnte.

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