Die Lage ist gravierend, aber nicht ernst, sagte Flaiano
Ja, die Zeiten sind anstrengend. Ich saß in München im Taxi zum Bahnhof, als das Attentat auf den Demonstrationszug begangen wurde. Mich erinnert die Stimmung heute fatal an jene in Italien, als Berlusconi ins Amt gebombt wurde - als in Rom, Florenz und Mailand Bomben hochgingen und wir das Gefühl hatten, uns in einem Krieg zu befinden, ohne zu wissen, wo die Front verläuft. Wir waren verwirrt, weil viele Dinge nicht zusammenpassten: Warum werden Kirchen und Kunstgalerien in die Luft gesprengt, was hat die Mafia damit zu tun? So trifft sie doch ihre Gegner nicht. Oder doch? Noch nie hatte sich die Mafia an Kulturgütern vergriffen. Was bedeutet das, sollte hier das ganze Land angegriffen werden? Mit blankem Terror gegen alle Italiener, egal ob Nord oder Süd? Was, wenn der Markusdom in die Luft gejagt wird? Was, wenn die Rialtobrücke zum Einsturz gebracht wird? Die Angst war überall spürbar: Es war, als duckte sich das ganze Land in Schreckstarre. Unsere einzige Gewissheit war ein permanentes Gefühl der Bedrohung.
Und ja, ich finde es merkwürdig, dass direkt vor den Wahlen in Deutschland gleich drei aus der islamischen Welt stammende Männer hintereinander Attentate begehen, von denen mindestens zwei als psychisch gestört gelten. Und ja, merkwürdig fand ich auch, dass die Nationalität des Attentäters sofort genannt wurde und dass alles, was über diesen Mann gleich in den ersten Stunden nach der Tat in die Welt geblasen wurde (Drogen, Ladendiebstahl, keine Aufenthaltsgenehmigung) kurz danach wieder dementiert und korrigiert werden musste. Die AfD reibt sich die Hände - und mit ihr alle Trittbrettfahrer der AfD - weshalb sich die Familie der beiden Toten genötigt fühlte, ein Statement zu veröffentlichen, in dem sie darum bittet, den Tod der Mutter und ihres Kindes nicht zu instrumentalisieren (Abre numa nova janela).
Zu den Merkwürdigkeiten dieser Wochen gehören auch die Geschichten vom Bauschaum, für die angeblich „Umweltaktivisten“ (Abre numa nova janela)verantwortlich waren. Oder die massive Einmischung des „reichsten Menschen der Welt“ in den deutschen Wahlkampf. Und weil das noch nicht reicht, wirft US-Vizepräsident Vance der EU auch noch vor, das größte Problem für die Welt zu sein, weil die EU die Meinungsfreiheit einschränke. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Ein Mann, der aus einem einem Land kommt, in dem eine Handvoll Milliardäre qua Socials die öffentliche Meinung bestimmt, in dem Fake News als “alternative Fakten” (Abre numa nova janela) bezeichnet werden und Trump gerade die Nachrichtenagentur AP aus Oval Office und dem Regierungsflieger Air Force One geworfen hat, weil sie nicht akzeptieren, dass der Golf von Mexiko jetzt Golf von Amerika heißen soll, beschuldigt die EU die Meinungsfreiheit einzuschränken? Echt jetzt?
Aber sehen wir es positiv: Vance hat nur ausgesprochen, was viele in der EU verdrängt haben: Das Amerika, von dem viele Europäer träumten, hat es vermutlich nie gegeben. Back to reality. Hoffentlich wacht die EU endlich auf.
In einer Situation wie heute ist es um so schmerzlicher, dass Gerhart Baum gestorben ist (Abre numa nova janela). Er hinterlässt eine große Lücke. Wegen ihm und seinem Engagement für Bürgerrechte habe ich, als ich zum ersten Mal wählen durfte, die FDP gewählt. Danach nicht mehr. Wir haben uns oft über Venedig und über Italien ausgetauscht: Er sah das Land als Politiker, (Terrorbekämpfung), als Anwalt und auch als Liebender: Immer mit Sympathie und wenn nötig mit Nachsicht. Seine Mails unterzeichnete er immer mit “Ihr Baum”. Seine beiden letzten Bücher möchte ich Ihnen unbedingt empfehlen: Menschenrechte (Abre numa nova janela) und Freiheit (Abre numa nova janela)
In einer Rede an der Universität von Marseille hat der italienische Präsident Mattarella die Aggression Russlands gegen die Ukraine vor drei Jahren mit dem Plan des Dritten Reiches, Europa zu beherrschen, verglichen: „Das Märchen, dass despotische und illiberale Regime die nationalen Interessen besser schützen könnten, führte in einigen Ländern dazu, dass sich autoritäre Bewegungen durchsetzten. Das Ergebnis waren schärfere Konflikte statt Zusammenarbeit. Und obwohl bekannt war, dass Probleme auf breiterer Ebene angegangen und gelöst werden müssten, setzte sich politisch das Konzept der Vorherrschaft durch. Es folgten Eroberungskriege. Das war das Projekt des Dritten Reiches in Europa. Die heutige russische Aggression gegen die Ukraine ist von dieser Art“.
Es dauerte zehn Tage, dann kam die Retourkutsche aus Russland: Die Sprecherin des Außenministeriums wies die Äußerungen des Staatspräsidenten als beleidigende und blasphemische Erfindungen zurück - was dazu führte, dass Giorgia Meloni dies wiederum als Beleidigung der gesamten italienischen Nation bezeichnete und Roberto Benigni, der sich bei seinem Auftritt im Schlagerfestival von San Remo (wir sind in Italien, das Schlagerfestival von San Remo gehört zu den heiligen Stätten des Landes) erst etwas über Musk und Giorgia Meloni lustig machte (Abre numa nova janela) (“Pass auf, die heiraten bald und machen eine Hochzeitsreise auf den Mars! Musk will Italien erobern, er bereitet den Marsch auf Rom vor: Entweder Rom oder den Mars!”) um sich dann mit dem Staatspräsidenten solidarisch zu erklären: „Wir stehen zu ihren Worten. Wir haben von Ihnen noch nie ein Wort gehört, das nicht der Wahrheit entsprach und Frieden beabsichtigte. Wir sind stolz von Ihnen vertreten zu werden, wegen Ihrer Würde und Menschlichkeit.“ Applaus, Applaus, Applaus.
https://www.raiplay.it/video/2025/02/Sanremo-2025-serata-cover-Roberto-Benigni-a-Sanremo-2025-42b4af92-216e-49dd-921b-cb239675e5bc.html (Abre numa nova janela)An dieser Stelle komme ich nicht darum herum, Ennio Flaiano (Abre numa nova janela) zu zitieren: Die politische Lage in Italien ist ernst, aber nicht gravierend.
Ernst ist die Lage für die Mafia in Palermo, wo 180 Mafiosi verhaftet wurden, weshalb Giorgia Meloni sich auf Twitter diesen “Schlag gegen die Mafia” (Abre numa nova janela) sofort ans Hemd heftete (Abre numa nova janela): “Die Abhörmaßnahmen sprechen eine klare Sprache: ‘Italien ist für uns unangenehm geworden, ich muss gehen’, gab einer der Verhafteten zu. Ein klares Signal: Die organisierte Kriminalität ist in Bedrängnis, der Kampf gegen die Mafia wird nicht aufhören.” Dass sich Meloni an diesem Satz des Mafiosos ergötzte, ist um so absurder, als sie es ja war, die dank ihres Justizministers den Maulkorberlass durchgesetzt hat, der verbietet, aus Abhörprotokollen zu zitieren.
Der von mir geschätzte sizilianische Journalistenkollege Attilio Bolzoni befand, (Abre numa nova janela) dass man mit dieser Art von Mafia fast schon Mitleid haben müsse: Die Razzia im großen Stil sei mehr eine Art Schleppnetzfischerei gewesen, bei der Personen verhaftet wurden, die, wie sie selbst zugeben, keine große Meinung von sich als Mafiosi haben. Es sei so wie früher gewesen, als die Carabinieri sich in Palermo groß angelegter Aktionen rühmten, bei denen sogar Ausreißer, Autofahrer ohne Führerschein und betrunkene Störenfriede festgenommen worden seien, die wegen ihrer exorbitanten Zahlen alle in alphabetischer Reihenfolge der Presse gierig angeboten wurden.
Etwas ernster - hoffentlich - geht es in Venedig zu, wo die Ermittlungen wegen Korruption um den Bürgermeister von Venedig jetzt offiziell abgeschlossen sind. (Hintergründe nachzulesen hier (Abre numa nova janela), hier (Abre numa nova janela) und hier (Abre numa nova janela)): 34 Verdächtige, darunter der Generaldirektor der Gemeinde Ceron, der stellvertretende Kabinettschef Donadini und der Magnat aus Singapur Kwong. Im Visier der Staatsanwaltschaft stehen die Grundstücksaffäre von des bürgermeistereigenen Grundstücks Pili und der Verkauf des Palazzo Papadopoli. Und der Bürgermeister weiß von nichts (Abre numa nova janela), wie er - sehr nervös - versicherte: „Ich kann den Grund für die Anschuldigungen nicht verstehen, wir werden uns die Unterlagen ansehen. Die Stadt ist gesund“.
Dass es überhaupt zu den Ermittlungen kam, ist nicht zuletzt dem oppositionellen Stadtrat Marco Gasparinetti von der Bürgerbewegung Terra&Acqua zu verdanken, für die ich mich im Sommer 2020 im Wahlkampf engagiert habe (Abre numa nova janela). Marco Gasparinetti war es, der zusammen mit der Gruppe 25 Aprile (Abre numa nova janela) den Finger in die Wunden der korrupten Stadtverwaltung gelegt hat, woraufhin auch einige italienische Journalisten darauf aufmerksam wurden, nicht zuletzt die Investigativsendung “Report”, die übrigens heute Abend wieder über Brugnaros Geschäfte berichten wird (Abre numa nova janela): Unter dem bezeichnenden Titel “Die Dogen von Venedig” wird es um die Sponsoren der bürgermeistereigenen Basketballmanschaft Reyer gehen, einem Netzwerk von Unternehmern, die wegen ihrer Nähe zum Bürgermeister Luigi Brugnaro begünstigt worden seien.
Und zum Schluss noch der sehr kurzweilige Podcast von Radio Bremen, als ich vergangene Woche dort als Wintergast eingeladen war.
https://www.bremenzwei.de/themen/live-gast-petra-reski-104.html (Abre numa nova janela)Und in Venedig hat der Karneval begonnen. Wobei: Eigentlich dauert er ja das ganze Jahr.
In diesem Sinne grüßt Sie herzlich, Ihre Petra Reski
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