Weihnachten, fast. Und ein Vatermord.
Huuh, es weihnachtet so sehr in Venedig, dass man aufpassen muss, im Laufen nicht auch noch mit Glitzerketten behängt zu werden.
Dem Bürgermeister indes wird die Adventszeit zunehmend verhagelt. Im Interview mit der Sendung Le Iene (Die Hyänen) macht er klar, dass er für Fragen der Staatsanwaltschaft nicht zur Verfügung steht - obwohl er vorher genau das Gegenteil behauptet hat. ⬇️
https://www.iene.mediaset.it/video/venezia-sotto-inchiesta_1359047.shtml (Öffnet in neuem Fenster)Daraufhin nahm auch die Investigativsendung Report auf Rai 3 (Öffnet in neuem Fenster) wieder ihre Recherchen zu den Korruptionsermittlungen gegen Bürgermeister Brugnaro und seine Vertrauten wieder auf und stellte unangenehme Fragen. Wir in Venedig freuen uns auf die nächste Folge heute Abend, in der es unter anderem um die Rolle von Morris Ceron gehen wird, den Stabschef des Bürgermeisters, der sich um die Geschäfte Brugnaros kümmerte: Für die Ermittler soll in der Stadt Venedig eine kriminelle Vereinigung tätig gewesen sein, die „fest im Herzen der städtischen Institutionen verankert“ war. Die Protagonisten? Die engsten Mitarbeiter von Bürgermeister Brugnaro.
Morris Ceron ist der Generaldirektor der Gemeinde und Leiter des Kabinetts des Bürgermeisters und hat in Brugnaros Unternehmen Karriere gemacht. Zur Zeit wird gegen Ceron wegen Beihilfe zur Korruption ermittelt: Nach Angaben der Staatsanwaltschaft war er es, der die vertraulichen Verhandlungen mit dem chinesischen Investor Ching Chiat Kwong über den Verkauf des historischen Palazzo Poerio Papadopoli führte. Dem Chinesen wurden als Appetithappen für den Kauf des 41 Hektar großen, bürgermeistereigenen, extrem verseuchten, aber gut gelegenen Grundstücks in Marghera zwei Palazzi aus städtischem Besitz verkauft: Mister Kwong bekam Palazzo Donà und Palazzo Papadopoli für einen Freundschaftspreis: Bei der öffentlichen Ausschreibung war der Chinese auf wundersame Weise der einzige Bieter und bekam den Zuschlag, nachdem ihm sein Vertrauensmann geschrieben hatte: "Es wird kein Problem sein, ihn [den Palazzo] an Sie zu vergeben. Ich habe die rechte Hand des Bürgermeisters getroffen, und er hat mir das bestätigt.”
2009 legte die Stadt Venedig den Wert des Palazzos Poerio Papadopoli auf 14 Millionen Euro fest, Kwong wurde er jedoch für 10,7 Millionen angeboten, ein Schnäppchen. Kwong bot knapp 10,8 Millionen Euro - und bekam, als einziger Bieter, den Zuschlag.
Die Frage ist: Wie ist es möglich, dass die Kulturgüter Venedigs verhökert werden, als wären sie die Ohrensessel des Bürgermeisters? In einer normalen Stadt hätte so einer schon längst zurücktreten müssen - zumindest, bis die Korruptionsvorwürfe gegen ihn geklärt sind. Aber stattdessen wird dieses Phänomen von einem Bürgermeister, gewählt von einer großen Mehrheit der Festlandbewohner, immer noch unterstützt, nicht nur von den Rechten, er ist auch mit einem Teil der Linken gut verbandelt, darunter auch mit dem ehemaligen venezianischen Bürgermeister Cacciari.
Und wenn ich Nachrichten wie diese auf der Titelseite der venezianischen Tageszeitung “La Nuova di Venezia” sehe, habe ich schon gar keine Lust mehr, die Zeitung aufzuschlagen. Der Palazzo Erizzo Molin am Canal Grande, einst
der Sitz des regionalen Verwaltungsgerichts, wird in ein - Überraschung! - weiteres Luxushotel verwandelt. In diesem Fall gehörte der Palazzo nicht der Stadt Venedig, sondern dem italienischen Staat. Die Stadt Venedig machte den Verkauf an die Luxushotelkette Planetaria (Öffnet in neuem Fenster) allerdings erst dank des Federstrichs unter die veränderten Nutzungsbedingungen des Gebäudes möglich. Und die oberste Denkmalschutzbehörde Venedigs hat natürlich auch keine Einwände gegen die Verwandlung in ein Luxushotel, sie hatte ja auch keine Einwände, als in den Renaissancepalazzo der einstigen deutschen Handelsniederlassung eine Rolltreppe gebaut wurde.
Wie bereits in Reskis Republik erwähnt (Öffnet in neuem Fenster), haben die von Giuseppe Conte geführten Fünfsterne mit ihrem Gründer Beppe Grillo gebrochen (Öffnet in neuem Fenster). Der Vollständigkeit halber sollte aber auch erwähnt werden, dass vor der Abstimmung 70 000 Fünfsterne-Mitglieder gestrichen wurden - was einigermaßen bizarr ist: Welche Partei kommt auf die Idee, Mitglieder zu streichen?
Kurze Erklärung: Um Änderungen an der Satzung der Fünfsterne zu beschließen, muss ein Quorum von 50 %+1 der Mitglieder erreicht werden. Im April 2024 gab es 160 000 stimmberechtigte Mitglieder der Fünf-Sterne-Bewegung. Daraufhin wurden die Mitglieder gestrichen, die seit über einem Jahr nicht mehr abgestimmt hatten. Diese Möglichkeit ist zwar in der Satzung vorgesehen, wurde aber in der Praxis nie angewandt: Keine politische Kraft der Welt käme auf die Idee, Zehntausende von Mitgliedern zu streichen, nur um eine interne Abstimmung zu gewinnen: Stattdessen hätte man eher die Beteiligung daran gefördert. Im November 2024 gab es nur noch 89 000 Mitglieder, wodurch das Quorum auf 44 000 gesenkt wurde: Mit 54 000 Stimmen gelang es, das Quorum für die Abschaffung des “Garanten”, vulgo Beppe Grillo, zu erreichen.
(Wenn Sie sich an dieser Stelle fragen: Warum so viele Zahlen und so viele Details, dann sei Ihnen gesagt, dass die tatsächlich notwendig sind, um die Winkelzüge in den Hinterzimmern zu verstehen.) Dazu auch noch ein Disclaimer: Ich war nie Mitglied der Fünfsterne. Aber seitdem es die Fünfsterne gab, war ich nicht mehr resigniert, sondern voller Hoffnung, weil ich in Italien, diesem so geschundenen Land, endlich wieder einen Kampfgeist spürte. Und dass dieser auch noch Witz und Ironie einherging, nahm mich noch mehr für Italien ein, dem Land, mit dem ich mich von Anfang an verwandt gefühlt habe.
Und heute, wo Grillo mal wieder unisono zum Beelzebub erklärt wird, fühle ich mich daran erinnert, wie es war, als der Corriere della Sera Grillo als »Person mit brutaler Gier« bezeichnete und in der Stampa zu lesen war, dass ein Artikel über den V-Day, bei dem sich 50 000 Menschen in Bologna versammelt hatten, auf die Unterhaltungsseiten gehöre. Ich erinnere mich auch an das Interview 2013 mit Grillo, an sein belagertes Haus, an die Scheinwerfer, die sich auf mich richteten, als ich das Haus verließ und mich alle Journalisten bestürmten, weil sie wissen wollten, was Grillo gesagt habe. Ich werde auch nicht vergessen, dass am nächsten Morgen in der Repubblica aus meinem noch nicht erschienen Interview ein Satz von Grillo zitiert wurde, den er gar nicht gesagt hatte und dass diese Falschmeldung von nahezu allen Nachrichtensendungen Italiens weiterverbreitet wurde. Und an den Journalisten Santoro erinnere ich mich auch, der mich daraufhin in seine Sendung Servizio Pubblico eingeladen und mir das Mikrofon abgestellt hat, nachdem ich die Fünfsterne verteidigt hatte. Ins italienische Fernsehen wurde ich danach nie mehr eingeladen.
Und weil ich, wie viele Italiener auch, große Hoffnungen in die Fünfsterne gesetzt hatte, war ihr allmähliches Verglühen um so trauriger mitzuerleben (Öffnet in neuem Fenster). Als es in Rom jetzt bei dem sogenannten verfassungsgebenden Kongress der Fünfsterne standing ovations für den “Vatermord”, die “Abwahl” von Beppe Grillo ausgerechnet von denjenigen gab, die dank ihm aus ihrer Bedeutungslosigkeit ins Licht katapultiert wurden, wurde ein neuer Tiefpunkt erreicht. Nicht nur politisch, sondern auch menschlich. Allein zu lesen, mit welcher Gehässigkeit und Niedertracht Marco Travaglio, Chefredakteur des einst von mir geschätzten “Fatto Quotidiano” über die “Abwahl” Grillos schreibt, ist schwer verdaulich. Zumal Travaglio seinen Aufstieg Beppe Grillo verdankt, in dem er in Grillos Blog eine Videorubrik (Öffnet in neuem Fenster) betrieb - zu einer Zeit, als der Blog zu einem der erfolgreichsten weltweit gehörte. Aber Dankbarkeit ist ja keine politische Kategorie.
Wie auch in dem SZ-Artikel (Öffnet in neuem Fenster) erwähnt, trat Sahra Wagenknecht bei dem Fünfsterne-Kongress in Rom (Öffnet in neuem Fenster)auf. Das fand ich besonders bemerkenswert. Von einigen Linken in Italien wird sie als Lichtgestalt betrachtet, weil es da viele Gemeinsamkeiten gibt (ziemlich kruder Antiamerikanismus, Ablehnung der Nato, Trump ist ganz okay und wird den Frieden bringen, Putin will eigentlich auch nur Frieden), folglich wurde ihre Rede (Wollen wir weiterhin die Vasallen Amerikas sein/Warum verzichten wir ohne Not auf billige russische Rohstoffe/Wir wurden in einen Wirtschaftskrieg hereingezogen/Die Grünen machen eine Klimapolitik auf den Rücken der Armen/Migration muss man sich erst leisten können, die Armen bleiben zu Hause) von Conte und seinen Anhängern begeistert aufgenommen.
Ich habe Schwierigkeiten mit Sahra Wagenknecht, weil ich in ihr immer noch eine sehe, die kurz vor dem Mauerfall SED-Mitglied wurde und jetzt für die Linken am rechten Rand fischt. Das beeindruckt die italienischen Linken sehr. Auch weil sie sich das noch nicht trauen. Aber dorthin gerne kommen würden. Denn links wird der Raum immer enger in Italien, da drängeln sich die sogenannten “Linken” von Elly Schleins Partito Democratico, der AVS (Italienische Linke / Grünes Europa) und mit Conte jetzt auch noch die Fünfsterne. Die alle voller Neid auf Wagenknechts Erfolge blicken.
Tatsache ist aber auch, dass es bemerkenswert ist, wie es den deutschen (und auch den italienischen) Parteien gelungen ist, ein derartiges Vakuum zu hinterlassen, das ohne Weiteres von einer wie Sarah (verdammt, wo muss dieses H in Sahra (Öffnet in neuem Fenster) hin) ausgefüllt werden konnte. Die am rechten Rand ungleich geschickter als Merz fischt. Weshalb sich die Fünfsterne sagen: Von Sahra Wagenknecht lernen, heißt siegen lernen. Links blinken und rechts abbiegen.
Nicht zufällig lobte sie Marco Travaglio über den grünen Klee. Travaglio ist nunmehr der “Garant” der Fünfsterne. Beim Fünfsterne-Kongress in seinem Gespräch (Öffnet in neuem Fenster)mit dem neurechten Philosophen Marcello Veneziani (Öffnet in neuem Fenster) war viel die Rede von “Souveränität” und von Migration, die man sich erst mal leisten können müsse. Giuseppe Conte, der eine Wahlschlappe nach der anderen hinter sich hat, wird von Marco Travaglio beraten und weiter nach rechts abbiegen, weil sich auf der linken Spur, wo sich Conte bisher verortete, schon zu viele drängeln.
Ja, das wollten Sie alles nicht so genau wissen, weil es Ihnen reicht, dass Sie sich schon mit Merkels Memoiren, mit Artikeln über Merkels Memoiren, mit Interviews über Merkels Memoiren, mit Talkshows über Merkels Memoiren und mit in der Feldschlacht gefallenen FDP-Abgeordneten herumschlagen müssen und mit mir eigentlich lieber über italienisches Essen reden würden.
Zum Essen: Jetzt in der Weihnachtszeit drohen in Italien ja wieder die panettoni, die italienischen Weihnachtskuchen, die ich nicht herunterkriege, weil ich immer das Gefühl habe, auf einem Schwamm voller Chemie herumzukauen. Richtig gute gibt es aber hier, im Jugendgefängnis von Neapel auf Nisida. Zu bestellen hier (Öffnet in neuem Fenster), aber vor dem 6. Dezember!
Und weil heute der erste Advent ist, möchte ich Ihnen meine schöne Geschenkidee (Öffnet in neuem Fenster) präsentieren: ⬇️
https://www.youtube.com/watch?v=0L9ojQ9H0p4 (Öffnet in neuem Fenster)Und der Link, auf den Sie klicken (Öffnet in neuem Fenster) müssen, um die Mitgliedschaft als Ehrenvenezianer verschenken zu können, ist dieser hier (Öffnet in neuem Fenster).
(Dazu auch: Videos in Venedig zu drehen, ist praktisch unmöglich, abgesehen davon, dass ich mich ständig verhaspele, aber was macht man nicht alles in der Weihnachtszeit!)
In diesem Sinne grüßt Sie aus Venedig, Ihre Petra Reski
Wenn Ihnen mein Newsletter gefällt, freue ich mich sehr über Weiterempfehlungen (Öffnet in neuem Fenster) - und natürlich über neue Ehrenvenezianer!
Die Termine meiner Lesungen finden Sie hier (Öffnet in neuem Fenster).
Insofern Sie keine Aversion gegen Social Media haben sollten, finden Sie mich auch auf Facebook (Öffnet in neuem Fenster)und auf Instagram (Öffnet in neuem Fenster).
Den Kontakt für Lesungen und Vorträge finden Sie hier (Öffnet in neuem Fenster) und hier (Öffnet in neuem Fenster).