Über den Sumpf, unbeliebte Päpste und den laufenden Countdown
“Palude Venezia”, venezianischer Sumpf, so heißt die aktuelle Korruptionsermittlung in Venedig. Die venezianische Tageszeitung “La Nuova” gab die Klageschrift jetzt als “Instant-Book” heraus, das wegging wie warme Semmeln. Nicht, dass darin etwas stehen würde, was uns in Venedig dank der Recherchen italienischer Investigativjournalisten (Öffnet in neuem Fenster), vulgo dem “Abschaum Italiens” (Öffnet in neuem Fenster) (O-Ton Bürgermeister Brugnaro), verborgen geblieben wäre. Aber es ist spannend, alles (?) noch mal am Stück nachzulesen, vor allem die Mitschriften der abgehörten Telefongespräche, etwa als Brugnaro seinen Stadtrat Boraso auffordert, in Zukunft etwas vorsichtiger vorzugehen, beim Abknöpfen der Schmiergelder.
Wie es heißt, soll der zur Zeit in Haft befindliche Boraso nächste Woche vor den Staatsanwälten aussagen - um zu entscheiden, ob er die Zeit bis zum Prozess im Hausarrest oder weiter im Gefängnis verbringen muss. Weil sich Brugnaro in seinen öffentlichen Aussagen von Boraso distanziert hat, vulgo ihn wie eine heiße Kartoffel fallen ließ, hoffen jetzt manche darauf, dass Boraso unter diesem Druck anfängt “zu singen”. Das würde mich allerdings sehr überraschen, angesichts des Zusammenhalts der Kaste der korrupten Politiker: Wenn es darauf ankommt, stehen sie Schulter an Schulter. Ich nehme an, dass die Anwälte von Boraso und Brugnaro sich der Folgen des Auseinanderdividierens bewusst sind - und alles versuchen werden, damit Brugnaro und Boraso wie ein Mann unbeschadet aus der Nummer herauskommen. Was immer leichter wird, angesichts der Tatsache, dass Kleinigkeiten wie Amtsmissbrauch in Italien neuerdings abgeschafft wurden: Staatspräsident Mattarella war sich nicht zu schade, dieses Gesetz zu unterzeichnen. Wohl wissend, dass Italien damit gegen die EU-Vorschriften zur Korruptionsbekämpfung verstößt, was unter anderem Auswirkungen auf die EU-Gelder haben wird, die Italien beansprucht. Der Europarat (der das Niveau der Korruptionsbekämpfung in den Ländern überwacht) wird die italienische Regierung rügen müssen, und die EU-Kommission wird durch den Verstoß gezwungen sein, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Italien einzuleiten.
Aber wir in Italien haben, nach dreißig Jahren Berlusconi, einen starken Magen. In den Reihen dieser Regierung befinden sich Spitzen der Gesellschaft wie die Tourismusministerin Daniela Santanché (Öffnet in neuem Fenster) - die als ehemalige Besitzerin eines Strandbads und des exklusiven Strandclubs Twiga (in Forte dei Marmi, Toskana) ins Tourismusministerium berufen wurde und derzeit wegen schweren Betrugs zu Lasten des Staates und Bilanzfälschung für ihre ehemalige Firma Visibilia angeklagt ist.
Die venezianische Staatsanwaltschaft hat gegen Bürgermeister Brugnaro seit zwei Jahren ermittelt. Damit die Ermittlungen nicht allzu schnell durchgestochen würden, wurde er in den Akten unter dem Namen des Papstes “Sabiniano Miranese” (Öffnet in neuem Fenster) geführt, dem 65. Papst der katholischen Kirche, der 603 den Thron Petri bestieg und so unbeliebt war, dass er wahrscheinlich bei einem Aufstand getötet wurde. Der von den venezianischen Zeitungen titulierte “chinesische Magnat” Chiat Kwong Ching, der sich anschickte, Brugnaros Grundstück in Marghera zu kaufen, wurde in den Akten “Sigismondo Malese” genannt, Name des Heiligen Römischen Kaisers, der 1411 in das Patriarchat von Aquileia einfiel und damit den Krieg zwischen der Republik Venedig und dem Königreich Ungarn auslöste. Man kann den venezianischen Staatsanwälten also kein mangelndes Geschichtsbewusstsein vorwerfen.
Auf jeden Fall versucht Mr. Kwong (Öffnet in neuem Fenster) jetzt seine beiden Palazzi loszuwerden, die er dank der guten Beziehungen zu Brugnaro günstig kaufen konnte. Den Palazzo Donà delle Rose, den Mr. Kwong für den Freundschaftspreis von 7,1 Millionen Euro kaufte, hat er jetzt für 18 Millionen weiterverkauft, der Palazzo Papadopoli steht noch zum Verkauf, und Mr. Kwong ist untröstlich: Leider, leider sei es unmöglich, in Venedig zu investieren, deshalb ziehe er sich zurück, ließ sein Anwalt verlauten. Und das liege nicht an den Korruptionsermittlungen gegen Mr. Kwong, sondern viel mehr am schlechten Klima für Investoren wie ihn.
Italien ist ja in diesem Jahr Gastland auf der Frankfurter Buchmesse - was hoffentlich auch ein Anlass ist, mal über den folkloristischen Tellerrand hinaus einen Blick auf die italienische Gesellschaft zu werfen. Ich habe es mit meinem Buch versucht - und darüber vorab auf SWR 1 gesprochen:
https://www.ardmediathek.de/video/swr1-leute/schriftstellerin-petra-reski-bringt-uns-italien-nahe-wie-sonst-niemand/swr/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzIwOTU1ODM?fbclid=IwZXh0bgNhZW0CMTEAAR1kjLWwU6hvDjD4tMG3WbINs_q6ibRaQ9PkXLhLbusL26yHqKq_iSkUIx0_aem_fSEx9RM5wyTGf4NaAnXMyw (Öffnet in neuem Fenster)Ja, der Countdown läuft - und es ist wie immer ein feierlicher Moment, wenn ich ein Buch, das bis zu diesem Moment nur virtuell existierte, also im Grunde nur als Möglichkeit vorhanden war, zum ersten Mal tatsächlich in den Händen halte (Öffnet in neuem Fenster), darin blättern, daran riechen, es drehen und wenden kann. Am 2. September wird mein neues Buch sein eigenes Leben beginnen - in den Köpfen und Herzen meiner Leser. Darauf freue ich mich sehr - und vielleicht können wir uns auf einer meiner Lesungen (Öffnet in neuem Fenster) sogar begegnen!
Herzlichst grüßt Sie, Ihre Petra Reski
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