Der Zwang zum Auto
Eine Diskussion, über die ich eigentlich nur noch müde gähn-lächeln kann, ist dieses: „Man sollte niemanden zwingen aufs Auto zu verzichten!“ Haha! Als ob. Es gibt seit Jahrzehnten beim Thema Verkehr nur einen wirklichen Zwang: den Zwang zum Auto.
Die Bahn ist zu teuer, viele Bahnverbindungen werden gestrichen. Öffentliche Verkehrsmittel sind oft ebenfalls teuer und umständlich. Busverbindungen auf dem Land gibt es nicht. Radfahren in der Stadt ist lebensgefährlich. Was ist das anderes als ein Zwang zum Auto?
Fahrt gefälligst Auto!
Autos werden subventioniert, es gibt Abwrackprämien und Kaufanreize, Diesel wird verbilligt, für Autos gibt es Parkplätze - alles um uns herum schreit: Fahrt gefälligst Auto! Gerade, wer was von seinen Steuern haben will, sollte ein Auto kaufen und es auch fahren. Am besten nen Diesel.
Und es geht nicht nur um die Finanzen: Städte werden weiterhin nach dem Aspekt gebaut: "Wie können wir das für Autos möglichst bequem machen?" Für Radfahrer z.B. gilt eher: Na ja, fahr doch Fahrrad - wirst schon sehen, was du davon hast! Und wehe du willst parken! Die ganze Stadt steht voller Autos, aber Fahrräder oder - Gott bewahre! - Lastenräder stören natürlich. In Köln sollen jetzt die E-Scooter verbannt werden, weil sie überall im Weg rumstehen. So dulle ich die Dinger selbst finde: halb Köln besteht aus stehenden Autos - aber ausgerechnet die Roller stören jetzt?
Auf dem Land ist es noch schlimmer: Für Familien ist es da oft absolut unmöglich ohne Auto von A nach B zu kommen. Ich kenne genügend Leute auf dem Land, die liebend gerne mal das Auto stehen lassen würden. Aber wie soll das gehen? Sollen sie auf den einen Bus am Tag warten, der sie mal in die Stadt bringen könnte? Sollen sie ihre halbe Altersvorsorge auflösen um sich mal ein Bahnticket für die ganze Familie zu leisten? Und wie kommen sie zum Bahnhof?
(Und da haben wir übrigens noch gar nicht darüber gesprochen, dass viele Leute sich Autofahrten sparen könnten, wenn es eine sinnvolle und verbindliche Homeoffice-Regel für sie gäbe. Wenn Menschen, die die Möglichkeit, den Wunsch und den Platz haben, einen Job, den man auch zuhause erledigen kann, wirklich zuhause erledigen könnten, statt sich jeden Morgen stundenlang durch den Berufsverkehr zu quälen. Nur weil der Chef das so will und man das halt schon immer so macht.)
Zwang durch Unterlassung
„Zwang durch Unterlassung“, würde ich das nennen: Menschen werden durch eine völlig verkorkste Verkehrspolitik gezwungen Auto zu fahren, weil alles andere einfach maximal kompliziert und teuer ist.
Ich bin absolut für Wahlfreiheit und gegen Bevormundung, wenn es um die Fortbewegung geht. Zur Wahlfreiheit gehört aber auch eine gewisse Chancengleichheit für alle Verkehrsmittel und die ist einfach nicht gegeben. Erst wenn die Bahn genauso erschwinglich ist wie das Auto, wenn Bus fahren eine ernsthafte Alternative wird und wenn Radfahren genauso sicher und bequem ist wie Autofahren, gibt es eine echte Entscheidungsfreiheit. Bis dahin herrscht der Zwang zum Auto.