Coming Out Day - wofür?
Heute ist Coming Out Day und wie immer an solchen Tagen taucht die Frage auf: Braucht man sowas denn überhaupt noch?
Dazu kurz mal meine eigene Geschichte: Als ich zum ersten Mal gemerkt habe, dass ich schwul bin (ungefähr so mit 12), war für mich alles, was mit Homosexualität zu tun hatte, laut und schrill und bunt. Und so großartig ich heute laute und schrille und bunte Menschen finde und so sicher ich bin, dass es ohne genau diese Menschen, ohne CSDs, ohne lautstarken Protest von sogenannten „Paradiesvögeln“ niemals solche Sachen wie die Abschaffung des Paragraphen 175 oder die Ehe für alle gegeben hätte: ich habe mich damals einfach überhaupt nicht repräsentiert gefühlt. Mir haben die Identifikationsfiguren gefehlt. Ich war sicher: Sobald ich mich oute, wird alles in meinem Leben anders. Muss ich mich ändern. Und genau das wollte ich nicht.
Bis zu meinem eigenen Coming Out hat es dann noch über zehn Jahre gedauert. Unglaubliche, unnötige zehn Jahre. Auslöser dafür war, dass ich mit einem Bekanntenkreis auf dem Oktoberfest war, der extrem bunt gemischt war: Männer und Frauen, Heteros, Homos und Bisexuelle. Und von keinem/keiner hätte ich damals mit Sicherheit sagen können, wer was ist. Plötzlich wurde mir bewusst: einen Scheiß muss ich ändern! Ich kann exakt so weiterleben wie bisher, nur eben ohne mich weiterhin zu verstecken.
Jetzt kann man sagen: Heiliger, das hat aber gedauert bei dir. Es gab doch auch schon früher Schwule aus allen Lebensbereichen, hast du das nicht gemerkt? Aber was soll ich sagen: Ich bin halt vom Land ;-) Und Internet gab’s auch nicht. Und alles, was mit Homosexualität zu tun hatte, war auf dem Schulhof sowieso verpönt, da stellt man sich nicht einfach mal in die Bibliothek und sagt: „Guten Tag, ich hätte gerne mal völlig zusammenhangslos ein Buch über Schwule.“
Ich bewundere und beneide heute Teenager, die schon mit 14, 15 ganz selbstverständlich zu ihrer Sexualität stehen und sich damit wohlfühlen. Ich weiß aber auch, dass es vielen nicht so geht. Dass viele mit dem Thema hadern und sich nicht repräsentiert fühlen. Und genau das ist der Grund, warum ich auf der Bühne immer wieder möglichst selbstverständlich von meinem Mann spreche. Denn ich weiß aus vielen Zuschriften, dass das Zuschauer:innen, die bei dem Thema noch mit sich kämpfen, Mut machen kann. Dass sie merken: Homosexualität gibt es in allen Formen und Farben, in allen Lautstärken, in allen Lebensbereichen, in allen Religionen, in allen Landstrichen.
Und genau deswegen würde ich mir auch wünschen, dass noch mehr Leute aus dem öffentlichen Leben den Schritt zum Coming Out wagen. Politik, Sport, Entertainment - aus wirklich allen Bereichen. Niemand sollte gezwungen oder überredet werden, aber jeder sollte sich fragen, ob er/sie damit nicht sich und eben auch anderen das Leben leichter machen könnte. Ich bin fest überzeugt: Wer dieses Thema einmal für sich geklärt hat, hat viel mehr Energie für andere Lebensbereiche übrig. Bei mir war’s definitiv so.
Und wer weiß, vielleicht entdeckt man doch noch andere Seiten an sich. Vielleicht hat man plötzlich auch Spaß am CSD und steht ab und an laut ABBA grölend in irgendwelchen Kneipen. Das äh … soll vorkommen.
Viel Spaß dabei.