Küchenkabinett

Kürzlich waren meine beiden besten und ältesten Freunde zu Gast. Der eine mit Sohn, als dessen Patenonkel ich fungiere. Wie meistens plauderte man über Gott (eher weniger) und die Welt (eher mehr) oder was davon noch übrig ist. Das allgemeine Gefühl von Niedergang bei gleichzeitiger persönlichen Unzulänglichkeit hatte sich auch bei uns schon eingenistet. Rindsrouladen an Steinpilzsauce mit Blaukraut und Kartoffelstampf brachten etwas Tröstung an den Tisch.
Das „Ampel-Aus“ und die gerade frisch kollabierte französische Regierung sind nicht die ersten Symptome eines Zerfallsprozesses, der wohl schon seit langem in Gang ist. Wir hören allerorten, dass Demokratie anstrengend ist, die komplexeste Regierungsform. Offenbar zu komplex… Wann hat das angefangen, dass Gesellschaft und politische Klasse sich von einander entfernt haben? War es mit es mit den Reagen/Thatcher Jahren, dem ersten Schub Sozialabbau? Oder doch erst in den 90er Jahren, als die Freien Märkte, die letzten Fesseln abstreiften? David Graeber schrieb einmal, dass der Moment Ende der 80er Jahre, als Aktienkurse an Laufbändern am unteren Bildrand bei den Nachrichtensendungen eingeblendet wurden, als ein Schlüsselmoment bezeichnet werden könne. Die ständige Berichterstattung über Aktienkurse und die damit verbundene Konzentration auf Finanzmärkte als eine Manifestation eines „finanziellen Kapitalismus“, habe begonnen den gesellschaftlichen Diskurs zu dominieren und erwecke den Eindruck, dass die Wertschöpfung in der modernen Wirtschaft hauptsächlich durch Spekulation und Finanzmärkte erfolge, statt durch tatsächliche Produktion oder soziale Bedürfnisse. Die Politik unterstützte mit dem Primat des Neoliberalismus diese Entwicklung mit Deregulierung und Sozialabbau sowie fehlender Wertschätzung für Bildung und Kultur. Nun steht sie einer komplett fragmentierten Gesellschaft gegenüber, die in wachsendem Maße nur noch die simpelsten und damit immer die extremsten politischen Angebote überhaupt als gestaltende Kraft wahrnimmt, weil sich die Probleme in all den Jahrzehnten des fehlenden Fokus auf realwirtschaftliche Aktivitäten wie Handwerk, Bildung, Pflege oder Innovation exponentiell potenziert haben.
Tja. Ich weiss von was ich rede. Ich habe die letzten 1 /1/2 Jahre in einem von Graeber als „Bullshit Job“ bezeichneten Arbeitsverhältnis bei der Deutschen Bank verbracht. Einem Job, der einzig eine „Dienstleistung am Markt“ darstellte und keine Bedeutung für das gesellschaftliche Leben hatte. Zu ertragen war das nur, weil diese Erfahrung, wie mittlerweile bekannt sein dürfte, in eine Novelle eingeflossen ist. Buchpremiere ist nächste Woche an einem hübschen Freitag, dem 13 in der Lettrétage zu Berlin (Abre numa nova janela). Über Euer Kommen freue ich mich natürlich sehr. Es gibt auch Musik von einem Jazz Duo und Klaus Ungerer liest aus dem restaurierten Buch seiner UR-Ur-Ur-Großmutter Therese Deecke. Mein Büchlein ist signiert mit Original Mo & Kapelle-Stempel erhältlich.

Aus dem Proben-Maschinenraum der Kapelle gibt es als Weihnachtspräsent zwei Nummern. Leider nur mit mir und Uwe Arens. Die Damen waren nicht abkömmlich. „Im Name vom Blues“ (unsere Zugabe) und „Wäutverdruss“, ein Song, den ich bei einem Theaterabend entdeckt habe. Im Theaterdiscounter mit Lea Barletti und Werner Waas (Abre numa nova janela), die Peter Handkes „Selbstbezichtigung“ höchst intensiv und kongenial umgesetzt haben. „Der Weltverdruss“ ist ein Österreichisches Volkslied, ein Alpenblues gewissermassen, den ich ins Schweizerdeutsche übertragen habe.
Ich wünsche ein frohes Fest und einen guten Rutsch in ein 2025, von dem ich allerdings schlimmste Verwerfungen erwarte. Mittlerweile empfinde ich Wahlen als eine persönliche Bedrohung. In diesem Sinne, hebed Eu Sorg.