26. Juni 2021
Was bleibt von der Europapolitik der vergangenen Woche? Die EU zeigt mit Wirtschaftssanktionen neue Härte gegen Belarus und Russland. Eine Mehrheit der EU-Chefs bekennt sich zu neuen Werten – den “Rechten der LGBT”. Und Kanzlerin Merkel vermasselt ihren (vermutlich) letzten EU-Gipfel.
Was für eine Woche! Sie hat die Europapolitik kräftig durchgeschüttelt und gezeigt, wie gespalten die EU ist. Es begann mit neuer Härte: Die Außenminister brachten Wirtschaftssanktionen gegen Belarus und seinen Diktator Lukaschenko auf den Weg, die das Regime “finanziell austrocknen” sollen, wie Außenminister Maas erklärte. Die neuen Maßnahmen könnten auch zum Modell für Sanktionen gegen Russland werden, die nach einem Beschluß des EU-Gipfels bei passender Gelegenheit verschärft werden sollen. Dabei bringen Sanktionen nach überwiegender Meinung der Experten nichts – sie schaden nur, oft auch den angeblich “Guten”, wie ich in einem Beitrag für den Makroskop zeige (“Wie die EU lernte, Sanktionen zu lieben” (Abre numa nova janela)).
Doch die EU spricht nicht nur die “Sprache der Macht”. Nein, sie spricht auch die Sprache der LGBT und damit der nicht-katholischen Liebe, wie ein Brief von mehr als einem dutzend Staats- und Regierungschefs zeigt. Auch Kanzlerin Merkel hat ihn unterschrieben – dabei war ihre CDU noch vor zwei Jahren gegen die “Ehe für alle”. Und auch heute ist sie längst nicht so liberal (Abre numa nova janela), wie sie sich (im Wahlkampf) gerne geriert. Egal – die LGBT-Debatte wurde beim EU-Gipfel zu einer Wertedebatte hochstilisiert. Ungarns illiberaler Premier Orban wurde belehrt, dass die EU nicht nur ein Binnenmarkt, sondern auch eine Wertegemeinschaft sei – und wem das nicht passe, der solle den Club verlassen, wie der niederländische Premier Rutte drohte.
Merkel schloß sich dieser Drohung nicht an. Schließlich hat sie noch beim EU-Gipfel im Dezember 2020 ihre schützende Hand über Orban gehalten und ein Stillhalte-Abkommen beim Rechtsstaat ausgehandelt. Man will ein Urteil des höchsten EU-Gerichts abwarten, bis es (vielleicht) Finanzsanktionen gegen Ungarn geben wird. Im Herbst dürfte es so weit sein – dann wird man sehen, was von den hehren Werten der EU wirklich zu halten ist. Bis dahin versucht Merkel, den Laden zusammenzuhalten. Doch bei ihrem letzten Gipfel mußte sie erkennen, dass die Risse tiefer sind denn je, und dass es nicht mehr reicht, wenn sie zusammen mit Frankreichs Macron etwas ausheckt. Ihr gemeinsamer Vorstoß für einen EU–Russland-Gipfel geriet zum Debakel, Merkel hat ihren Abgang von der europäischen Bühne gründlich vermasselt.
Eine kritische Analyse findet sich bei Cicero-Online: “Sinnkrise unter dem Regenbogen” (Abre numa nova janela)
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