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Männer, die auf Männer starren

Angeblich warten Frauen mindestens sechs Minuten vor öffentlichen Toiletten, Männer elf Sekunden. In diesem Essay könnte es nun darum gehen, dass Frauen biologisch (weil sie für die Produktion der Weltbevölkerung zuständig sind) und gesellschaftlich (weil sie häufiger mit Kindern in die Kabine müssen) in der Toilette länger brauchen. Oder dass Frauen- und Männertoiletten zwar flächenmäßig gleich groß angelegt werden, man aber auf der Fläche mehr Urinale unterbringen kann und den Männern also mehr „Abflussmöglichkeiten“ zur Verfügung stehen. Oder dass Unisex-Toiletten Studienberechnungen zufolge eine Lösung wären. Dass Frauen so viel länger warten, ist gewollt oder wird zumindest akzeptiert. Ich vertiefe das nicht. (Ohnehin ist die gängige Begründung viel witziger: Sie brauchen länger, weil sie sich dauernd die Nase pudern.)  

Wo Frau nicht warten muss, Köln, Oktober 2024 © Kristina Klecko

Zudem bin ich für pragmatische Lösungen und daher ein ernst gemeinter Hinweis: Veranstaltungen, bei denen Frauen sehr wahrscheinlich nicht länger als Männer in der Toilettenschlange warten müssen, sind Blueskonzerte. Dort sind Männer und Jungs verschiedener Altersgruppen beinahe unter sich, Frauen hingegen in der Minderheit.

Warum ist das so?

Blues scheint mir keine explizit männliche Musik zu sein. Beim letzten Konzert, auf dem ich war, herrschte eine entspannte, fast liebevolle Atmosphäre. Keine Aufregung, kein Gehabe. Die zuschauenden Männer himmelten die spielenden Männer auf der Bühne regelrecht an. Wie Küken bei der Fütterung versammelten sie sich um den Sänger, als dieser von der Bühne runter und durch die Menge lief. Als das Gitarrenkabel sich zwischen abgestellten Rücksäcken, Bierflaschen und Hockern zu verfangen drohte, räumten die Männer die Hindernisse schneller zur Seite als Frauen mental load sagen können.

Dieser Veranstaltung fehlte es an nichts – außer an Frauen. Schätzungsweise 85% der Zuschauer:innen waren männlich.

Wo sind die Frauen im Blues?

Ein Freund äußerte die Vermutung, es habe mit den Themen zu tun – mein Hund ist tot, meine Frau hat mich verlassen, wo ist mein Bourbon – korrigierte sich jedoch sofort, jede Durchschnittsfrau habe eigentlich genug Blues für mindestens eine Platte.

Auf dem erwähnten Konzert schaute ich mich um. In der Pause zwischen zwei Songs hörte ich wie ein Typ seiner Begleiterin erklärte, wofür welches Effektgerät auf der Bühne genutzt wurde und was der Gitarrist eben gemacht hatte (irgendwas mit Schwingungen). Mein Begleiter erklärte mir das nach dem Konzert ebenfalls ungefragt. Ist das die Magie? Ist es spannend, weil es kompliziert ist?

Wie so oft für diese Mailings, setzte ich zur Recherche an, doch über Frauen in einem bestimmten Feld zu recherchieren, ist müßig, weil eh immer das Gleiche rauskommt – und darüber habe ich im Essay „Frauen, die auf Männer starren (Abre numa nova janela)“ bereits ausführlich geschrieben. Das ist im Blues nicht anders:

„Die Musikbranche ist nach wie vor männerdominiert, die Musikgeschichtsschreibung geprägt von einem einseitigen Blick und der Einfluss weiblicher Musikerinnen oft verkannt.“ Jessica Hughes, Empress of the blues

Oder:

„Für viele Menschen beginnt der Siegeszug des Blues mit Robert Johnson (…). Aber schon einige Jahre bevor sich Mythen um Robert Johnson entwickelten, war da Sängerin Ma Rainey, die Godmother of Blues, die für viele nachfolgende Künstler und Künstlerinnen eine wahre Inspiration war.“ SWR, Diese Frauen haben die Musikwelt revolutioniert

Zusammengefasst: nicht ernst genommen, beraubt, vergessen. Immerhin scheint man in letzter Zeit um Wiederentdeckung und Förderung bemüht.

Vielleicht muss ich bald wieder mindestens sechs Minuten in der Schlange vor der Frauentoilette verbringen. Wäre doch schön.  

Danke, dass du mitliest und bis in zwei Wochen.

Kristina

Gern gelesen?

Vielen Dank, dass du mein Schreiben unterstützt.

Termine

💻 Kreatives nichtfiktionales Schreiben entdecken. Eine Einführung |Online Live-Schreibkurs | Do, 14. November 2024, 19-20:30 Uhr, 30 € zzgl. gesetzl. MwSt.

💻 Kreative Schreibpause | Online Live-Schreibkurs | Fr, 06. Dezember 2024, 18-18:40 Uhr, kostenfrei

Was andere machen
https://www.youtube.com/watch?v=9XpTMwaQyFQ (Abre numa nova janela)

Einen lesenswerten Artikel über die Musikerin Willie Mae Thornton hat Jessica Wagener für Pink Stinks geschrieben. 🔗zum Beitrag (Abre numa nova janela)

”’Ich habe schon gesungen, lange bevor Elvis Presley geboren wurde, und er springt auf den Zug auf und wird vor mir Millionär … mit einem Song, den ich populär gemacht habe’, sagte Thornton laut Mahon 1972 frustriert. ‘Er macht eine Million und all das, weil er ein anderes Gesicht hat als ich.‘“ Jessica Wagener, “Big Mama” Thornton: eine gefährliche Frau

Die Playlist, mit der ich seit ein paar Tagen durch die Welt gehe, hat Autorin Maureen Mahon für ihr Buch Black Diamond Queens: African American Women and Rock and Roll zusammengestellt. 🔗Zur Playlist (Abre numa nova janela)

Was noch?

In der Literaturzeitschrift Mosaik43 ist meine Geschichte 100 Meter erschienen. 🔗Zeitschrift ansehen (Abre numa nova janela)

Für den Blog von Susanne Kleiner, wortwörtlichwirken, habe ich geschrieben, wie die Essays für diesen Newsletter entstehen. 🔗 lesen (Abre numa nova janela)

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Tópico Essays