Kobuk zur Sache: Hollywood und der Verantwortungspoker
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„I can […] confirm that I never gave an interview to an Austrian publication called Kurier“ – mit diesem Satz im Filmmagazin Deadline (Abre numa nova janela) sorgte Clint Eastwood Anfang der Woche für ein mediales Erdbeben. Eine Rekonstruktion.

Montag, 2. Juni: Der Vorwurf
Eastwood behauptet, das am 30. Mai im Kurier erschienene Interview mit ihm sei völlig erfunden, er habe in den vergangenen Wochen überhaupt mit niemandem ein Interview geführt.
Das schlägt ein. Mehrere (Abre numa nova janela) heimische (Abre numa nova janela) Medien (Abre numa nova janela) insinuieren eine „Interview-Fälschung“, die Tiroler Tageszeitung titelt „Eastwood knöpft sich Kurier vor“ und die Gratiszeitung Heute macht auch hier einen Artikel (Abre numa nova janela) daraus, was die FPÖ (Abre numa nova janela) dazu zu sagen hat. Vorarlberg Online veröffentlicht sogar eine automatisch übersetzte Version mit der KI-enttarnenden Headline (Abre numa nova janela) „Courier vs. Eastwood“. Der Kurier ist zu diesem Zeitpunkt schon international bekannt (Abre numa nova janela).
Was zu diesem Zeitpunkt noch unklar ist: Ist das Gespräch wirklich erfunden oder ist es einfach nur sehr alt?
Denn dass der Text nicht aktuell sein kann, verraten schon die einleitenden Absätze. Da wäre einmal der Verweis auf seinen „neuen“ Film, der in den USA schon vergangenes Jahr in die Kinos gekommen und in Österreich bis heute nicht auf der Leinwand oder einem Streamingdienst zu sehen ist. Auch der Hinweis, Eastwood lebe „mit der Restaurantangestellten Christina Sandera zusammen“, ist veraltet. Sandera ist im Juli 2024 verstorben.
Aber stimmen zumindest Eastwoods Aussagen? Der Kurier bittet auf Anfrage zunächst um Geduld, da er uns die Authentizität des Gesprächs nicht sofort bestätigen kann, sondern auf eine Antwort der in New Orleans lebenden Autorin (Zeitdifferenz minus sieben Stunden) warten muss. Damit war der Schaden erst recht angerichtet.
Immerhin ist die Korrespondentin, Elisabeth Sereda, seit über zehn Jahren für den Kurier tätig. Alleine in diesem Jahr hat sie bereits zwölf Frage-Antwort-Interviews mit Hollywood-Stars für den Kurier geführt(?) – sollte man nicht wissen, wie diese Texte zustande gekommen sind?
Dienstag, 3. Juni: Die Stellungnahme
Üblicherweise tun sie das im Rahmen von Round Tables, an denen mehrere internationale Journalist:innen teilnehmen. Darauf verweist auch der Kurier in seiner Stellungnahme (Abre numa nova janela), die Dienstagabend folgt. Dass sich Eastwood nicht daran erinnern könne, einem Medium namens „Kurier“ ein Interview gegeben zu haben, ist also nachvollziehbar.
Aber dieses Interview hat so nie stattgefunden. Es ist ein „zusammengestoppeltes Interview aus mehreren Interviews“ bestätigt Kurier-Chefredakteur Martin Gebhart gegenüber Kobuk, die Autorin Sereda spricht am nächsten Tag in „Guten Morgen Österreich (Abre numa nova janela)“ von einem „Best Of“. Diese fragwürdige Definition eines „Interviews“ ist dem Kurier zu viel, er beendet die Zusammenarbeit. Zu wichtig seien ihm Transparenz und seine „strengen redaktionellen Maßstäbe“.
Die rasche Trennung dürfte auch dem großen Medienecho geschuldet sein – die Zeitung stehe derzeit stark „unter Beschuss“, soll Gebhart laut Sereda in einem letzten Telefongespräch gesagt haben.
Mittwoch, 4. Juni: Die Eskalation
Mittwochfrüh ist Sereda also Eva Pölzl zugeschaltet und verweist dort auf die „vielen Interviews“, die Eastwood über die Jahre der Hollywood Foreign Press gegeben habe und die sie als „Journalistin der HFPA“ alle aufgezeichnet habe. Nur: Die HFPA gibt es seit 2023 nicht mehr.
Auf die Frage, wann sie das letzte Mal mit Eastwood gesprochen habe, sagt Sereda, sie habe ihn persönlich zuletzt vor der Coronapandemie interviewt. Wann genau das letzte (virtuelle) Gespräch stattfand, bleibt unklar. Eine Kobuk-Anfrage bleibt bis Freitagnachmittag unbeantwortet.
Sereda meint auch, der Kurier habe genau gewusst, dass es sich um kein aktuelles Interview handelt. Dieser dementiert und sieht sich getäuscht.
Nun ist es aber so, dass die redaktionelle Verantwortung beim publizierenden Medienhaus liegt. Der Kurier mag sich zwar getäuscht fühlen, er haftet aber medienrechtlich für etwaige Fehler.
Donnerstag, 5. Juni: Die Aufarbeitung

Diese Verantwortung will man augenscheinlich nicht ganz so wahrnehmen. Gebhart sitzt im Kurier-Podcast-Studio, (Abre numa nova janela) um den Fall in einem 18-minütigen Gespräch aufzuarbeiten. Die Autorinnen-Seite Seredas wurde mittlerweile von der Website entfernt, das Eastwood-Interview sowieso. Gebhart beteuert, dass es bis zu den Vorwürfen am Montag keinen Grund für die Redaktion gegeben habe, die Authentizität des Gesprächs zu bezweifeln. Man werde dennoch prüfen, ob man etwas an den Abläufen ändern müsse. „Ich weiß momentan noch nicht genau, wo, aber wir werden es überprüfen.“ Die Schuld liegt für ihn trotzdem ganz klar bei der Autorin.
Das Eastwood-Interview dürfte kein Einzelfall sein: Laut eigenen Angaben lieferte Sereda bereits zu Eastwoods 90. Geburtstag ein ähnliches „Best-Of-Interview“ ab. Der Kurier prüft derzeit ihre weiteren Arbeiten. Ob auch andere Filmjournalist:innen mit dieser fragwürdigen Methode arbeiten, lässt sich aktuell nicht sagen – üblich ist sie jedenfalls nicht.
Empfehlungen für die weitere Lektüre (mit Paywall):
https://www.nytimes.com/2025/06/03/arts/clint-eastwood-interview.html?unlocked_article_code=1.M08.pHe_.f6YEHE_dyQcL&smid=url-share (Abre numa nova janela)https://uebermedien.de/106241/oesterreich-clint-eastwood-der-kurier-und-die-alte-methode-uralte-interviews-zu-kopieren/ (Abre numa nova janela)Wir haben ungefähr sechsmal so viele Newsletter-Abonnent:innen wie Kobuk-Unterstützer:innen 🥺 Wer uns helfen möchte, das zu ändern, kann dies jederzeit und schon ab 4 Euro monatlich hier tun: www.kobuk.at/support
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Andrea Gutschi