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Habe Haus und Birne entrümpelt

Unsere Autorin verbannt jeden Schnörkel und Ballast aus ihrem Leben. Und erinnert sich daran, wer sie wirklich ist.

Bin spät dran heute mit meiner Notiz, aber ich kann das erklären: Ich stelle gerade meine Bude auf den Kopf und habe alle Hände voll zu tun. Letzte Woche überkam mich nämlich das dringende Bedürfnis nach Veränderung. Nicht gleich mein ganzes Leben, nein, aber wenigstens Nuancen meines Seins. Erst plante ich, unser Haus vom Dach bis in den Keller in der Farbe Salt neu zu streichen. Das ist ein zarter Ton aus der Kelly-Wearstler-Kollektion „California“ von Farrow & Ball, der aussieht wie salzige Meeresluft in Los Angeles und monatelang hoch im Kurs bei mir stand. Dabei weiß ich gar nicht, wie Meeresluft wirklich aussieht, aber als ich im letzten Jahr die Renovierung einer Influencerin auf Instagram verfolgte, konnte ich nicht mehr ruhig schlafen. Ich spazierte in die Farbboutique in München, einfach so, nur um mal zu gucken, weil mich allein bei dem Klang „Salt“ sofort die Sehnsucht packte: Ich schmeckte Salz auf meinen Lippen, sah mich mit Haaren wie Weizen durch Malibu tanzen, roch das Meer und hörte mich schließlich zu meiner persönlichen Farbberaterin sagen: „Das will ich haben!“ Als ich nun, ein Jahr später, endlich bereit war für mein Projekt L.A.-Strandhaus, war die Nuance ausverkauft. Ich weinte drei Tage und drei Nächte lang und wählte am vierten Tag ein schnödes Weiß, mehr so alpin als Malibu.

So oder so, Malerarbeiten haben ja stets einen interessanten Nebeneffekt: Man entschlackt ganzheitlich. Bevor ich mich mit Pinsel und Spachtel in meinen Blaumann warf, hatte ich bereits begonnen, sämtlichen Ballast im Haus über Bord zu werfen. Alles flog im hohen Bogen raus, Kleider, Geschirr, Krempel. Es fühlte sich an wie eine Ayurveda-Kur. Als würde ich mich selbst, die Familie und unser Zuhause einmal kräftig auswringen. Nicht, dass die Bude verstopft gewesen wäre. Im Gegenteil, bei der Einrichtung folge ich seit ein paar Jahren einer einzigen Regel: Umgib dich nur mit Dingen, die unverzichtbar sind. Heißt: Sie müssen a) nützlich sein, b) eine Geschichte erzählen oder c) Charakter haben. Alles, was Unruhe stiftet, hat hingegen in meinem Energiefeld nichts verloren und wird hochkant aus dem Leben gekegelt, damit ich nicht eines Tages untergehe im Überfluss. Das ist mein simples Rezept für Wohligkeit, Erfüllung und vorbildlich sparsamen Konsum. Und obwohl ich in den vergangenen zehn Jahren nur ein einziges Einrichtungsstück anschaffte, fand ich dennoch plötzlich alles zu viel. Ich streifte durch die Räume und entfernte jeden Krimskrams. Ich entsorgte Kissen, räumte die eisblauen Vasen und kleinen Hocker weg, tauschte das Vintage-Buffet gegen ein schlichtes Stahlregal aus meinem Office aus, verstaute Bücher, Porzellan und Kerzenleuchter in Kartons, zerriss alte Fotos, mistete Handtücher aus, nahm Bilder von der Wand und stopfte sechs Romane in den städtischen Bücherschrank. Selbst meine Vintage-Lampe aus Italien und den Tante-Käthe-Sessel verfrachtete ich vorübergehend ins Büro. Dort steht nun alles wie in einem Archiv. In den anderen Räumen herrscht Ruhe. Jetzt warte ich nur noch auf den Tag, an dem wir die Kumquat-Bäumchen endlich wieder auf die Terrasse wuchten können und kein Farbtupfer meinen Blick stört. Sonst nur unbehandeltes Holz um mich herum, Metall, klare Linien, natürliche Materialien, kein Plastik, kein Stück zu viel. Nichts, was im Auge wehtut. Wenn das Überflüssige wegfällt, wird das Wesentliche sichtbar. Das Weglassen von Farbe, Schnörkeln und Chichi wirkt wie eine tiefe Meditation auf Körper, Geist und Seele. Jedenfalls geht mir das so. Ich werde klar in der Birne. Und neutral, als sei alles noch möglich auf der kargen Leinwand. Eine Therapeutin sagte mal zu mir: Wenn im Inneren viel Chaos herrscht, braucht der Geist Ordnung im Außen. Vielleicht ist es aber auch einfach nur die Sehnsucht nach leichtem Gepäck. Als ich ein Kind war, stellte ich mir kurz vor dem Einschlafen immer vor, was ich in Eile mitnehmen würde, wenn plötzlich unser Ausreiseantrag in den Westen genehmigt würde. Ich wollte vorbereitet sein für den Fall, dass ich überstürzt aufbrechen und meine sieben Sachen in ein Laken werfen, die vier Ecken zusammenbinden und über meine Schulter werfen müsste. Wäre ich heute gezwungen, sieben Dinge in ein Laken zu werfen, welche wären das? Mal scharf nachdenken. Die Espresso-Tasse aus dem Café Marly im Louvre vielleicht? Meinen Poncho von Isabel Marant, den ich mir an einem kalten Tag im Januar kaufte und nie wieder auszog. Auf jeden Fall meine Playlist „Kleine Hausmusik“, die ich während eines Corona-Lockdowns anfing zu speichern und die mittlerweile auf eine stolze Sammlung angewachsen ist. Vielleicht sollte man sich wirklich hin und wieder mal fragen, ohne was man nicht leben könnte. Nie findet man schneller heraus, wie satt man eigentlich ist. Man reibt sich erstaunt die Augen, wenn man herausfindet, wie wenig bleibt, woran man wirklich, wirklich hängt. Ich komme nicht mal auf sieben Sachen. Was ich aber brauche, sind einige wenige Menschen. Ich muss sie nicht einpacken und verfrachten. Ich weiß, wo ich sie finde. Meinen italienischen Schwaben direkt neben mir, wenn ich morgens die Augen aufklappe. Wenn unsere Kinder nach uns rufen, bräuchten wir zwischen drei Sekunden und einer dreiviertel Stunde, um bei jedem Einzelnen von ihnen zu sein. Wenn ich einmal mit meinem Fischerboot quer über den See tuckere, bin ich bei meiner Freundin J. Und ich müsste nur meinen Yeti anschmeißen und wäre in einer Stunde bei meiner Familie, in zwei Stunden bei E. und F., mit dem Zug in sieben Stunden bei meinen Freundinnen I. und D. in Hamburg und mit dem Flugzeug in einer Stunde bei meiner Familie in Münster. Sie können mich jederzeit anrufen, wenn sie meine Stimme hören wollen. Und wenn sie Hilfe brauchen, bin ich mit wehenden Fahnen zur Stelle und andersherum. Niemals würde ich sie ausmisten aus meinem kleinen Leben, komme, was wolle. Im Gegensatz zu dem ein oder anderen Möbelstück, für das ich momentan leider keine Verwendung mehr habe. Weswegen ich schon an einen Garagen-Flomarkt dachte. Ich könnte mich ein Wochenende lang an den Straßenrand setzen und für zwei Euro fünfzig all meine Vintage-Stücke verscherbeln und jedem Käufer noch eine Notiz mit ins Warenkörbchen legen. Wovon ich darin erzählen würde? Vielleicht von meiner ersten Wohnung, in München, an deren Wand ein einziges Kellerregal aus Metall stand, davor zwei Klappstühle. Es war ein einfaches Zuhause, aber es war mein Zuhause. Und eigentlich hätte es mir noch lange genügen müssen, aber ich fing an, nach links und rechts zu gucken. Einmal besuchte ich meine Freundin Ruth in ihrem modernen Haus. Damals gab es kein Instagram, kein Pinterest, aber es gab eine Garderobe namens Hang it all von Ray Eames in ihrem Entree. Ich fuhr aufgelöst nach Hause, schloss meine Wohnungstür auf und sagte: Ich brauche auch so eine Garderobe! Da fing es vermutlich an, die Sache mit der Inspiration. Oder, nunja, mit dem Vergleich. Ja, man kann immer noch ganz viel brauchen. Man kann sich aber auch einfach daran erinnern, wie glücklich man war ohne Ray Eames im Flur. In letzter Zeit ertappe ich mich oft dabei, dass mir schwindelig wird, wenn ich mich durch meinen Instagram-Speicher klicke, in dem ich hunderte von schönen Menschen archiviere, die sich in ihren Traumküchen, Traumlofts und Traumgärten bewegen. Manchmal bin ich so erschöpft von all der Perfektion, dass ich mir am liebsten wie das kleine Äffchen-Emoji Augen und Ohren zuhalten und mich daran erinnern möchte, wer ich selbst bin. Und daran, dass man auch mit schnödem Weiß aus dem Baumarkt eine Menge machen kann.

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