Absolut romantische Gefühle
Ein Rausch über alte Zeiten und neue Erkenntnisse
Eigentlich war der Abend schon vorbei, als ich Felix kennenlernte. Ich steckte mitten im Studium, war Single und so frei wie selten. Die Gefühle „Mir gehört die Welt“ und „Ich kann alles schaffen, wenn ich es nur will“ standen hoch im Kurs – und genau so hielt ich es auch mit Männern.
Wir standen in einem Club in der Bonner Innenstadt, die Musik war schlecht, ich war angetrunken und nichts lief, wie ich es mir vorgestellt hatte. (M)Ein Typ des Abends knutschte gerade mit einer anderen und ich war bockig. Da entdeckte ich Felix – und er mich. Alles ging sehr schnell, wir tanzten, wir redeten, wir knutschten. So ist es in meiner Erinnerung. Wir teilten ziemlich bald auch das Bett, aber es war nie wirklich ernst, obwohl wir von Anfang sehr vertraut miteinander waren. Tatsächlich hatte ich darüber oft nachgedacht und nachdem ich das Buch von Katja Lewina in den Händen hielt und darüber sinnierte, mit welchem Ex ich gerne noch einmal sprechen würde, dachte ich an Felix.
Ein zweiter Grund, warum er es sein sollte, war der Text von Iris Radisch über die Briefe von Max Frisch und Ingeborg Bachmann. Sie zitiert kurze Auszüge, so auch diesen: „Sexuelle Untreue ist erlaubt, emotionale meldepflichtig.“ Und auch das erinnerte mich an Felix. Wir erzählten uns alles, gefühlt haben wir nächtelang gequatscht und dann auch andere Sachen zusammen gemacht, aber nie nur das eine. Wir konnten miteinander reden, lachen, kochen, lieben – und dennoch waren wir nie ein Paar. Ich kann gar nicht so genau sagen, warum es nie dazu kam. Aber nach der Lektüre von Katja Lewinas „EX“ war mit schnell klar, mit ihm nehme ich Kontakt auf. Mit ihm könnte ich mir vorstellen, über „Früher“ zu sprechen.
Mit den großen Beziehungen meines Lebens habe ich keinen Kontakt. Die zwei Lieben vor meinem Mann endeten so groß und dramatisch, wie sie waren. Zu viel Schmerz, zu viel Missverständnisse. Und obwohl Katja Lewina mehrfach empfiehlt, sich anzuhören, wie die andere Seite der Geschichte ist und das immer zwei dazugehören, will ich es irgendwie nicht. Aber die Gedanken, die bei der Lektüre von Lewinas EX mein Gehirn belagern, sind interessant. Sie schreibt:
„Ich misstraue mir. Wenn ich eines kann, dann mich wie bekloppt für Menschen begeistern. Nur das der Wahn bisher immer nachgelassen hat nach einer Weile.“
Ich führe eine gute Beziehung, das kann ich sicher sagen. Ich stehe auf meinen Mann, ich möchte mit ihm alt werden und wir haben uns richtig viel zu erzählen. Unsere Vorstellungen von Zusammenleben ist gleich: Wir brauchen beide unsere Freiräume, geben sie uns und wissen dennoch, wo wir hingehören. Eigentlich weiß ich daher gar nicht, warum ich mit einem Ex Kontakt aufnehmen sollte. Aber Frau Lewina bringt bei mir einige Synapsen in Wallung, die mich an Felix denken lassen. Und ich bin neugierig. Denn er ist einer, der vielleicht auch mehr hätte sein können, es aber nie war. Oder vielleicht war genau das, das Besondere bei uns. Ich weiß es nicht, also melde ich mich bei ihm.
Er ist auch der einzige, mit dem ich noch einmal alles aufdröseln möchte. Ganz selten haben wir sogar sporadisch Kontakt. Felix hat auch Familie, ist verheiratet, aber seine Beziehung ist nicht ganz auf der Höhe. Warum, das will ich wissen. Und warum wir nie ein richtiges Paar waren will ich auch fragen. Dann schreibe ich ihm, ob er Lust hat, mit mir über uns zu reden – nach Katjas Vorbild. Und so kommt dieser RauschVonBuch zustande, als eine Art Rezension und Tipp, über alte Beziehungen nachzudenken. Denn eines kann ich sagen, es war spannend.
Felix schob mich zwischen zwei Meetings. Mein Zeit-Slot war winzig für so ein großes Thema und schnell zum Punkt kommen fand ich auch schwierig. Dennoch schluckte ich meine Skepsis runter und legte sofort los:
H: Erinnerst du dich noch, wie wir uns kennengelernt haben?
F: Ja klar erinnere ich mich, ganz genau sogar. Du hattest etwas Gestreiftes an.
H: Das du das noch weißt, ich kann mich nur erinnern, was du anhattest.
F: Ich weiß noch, dass ich voll süß fand, wie du getanzt hast und dann hatten wir Blickkontakt. Dann habe ich dich, glaube ich, angequatscht oder angetanzt, irgendwie so.
H: Du hattest auf jeden Fall ein Karohemd an.
F: Nein.
H: Doch. Das weiß ich aber genau, weil ich dich gefragt habe, was du studierst und du hast auf dein Karohemd gezeigt. Und ich habe es nicht gecheckt.
Felix grinst süffisant in die Handykamera und ich erkenne den Felix von damals wieder, der immer ironisch war, bei dem ich nie genau wusste, woran ich bin. Auch jetzt habe ich direkt wieder das Gefühl, dass er mich ein bisschen auslacht. Ich nehme mir vor, ihn nachher danach zu fragen. Ich kann jetzt schon sagen, dass ich es vergessen werde, weil er, wie auch damals oft, in Eile ist. Er hat das Meeting und ich fühle mich sehr unwichtig. Er hatte Vorlesungen und ließ mich zurück. Er war eigentlich verabredet und schob mich schnell dazwischen. Alles andere ging immer vor, ich hatte nie das Gefühl, seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu haben. Auch heute bricht er zwischendurch immer wieder ab, weil er sich ins Meeting einschalten muss. Nächste Frage. Oh, aber er kommt mir zuvor.
F: Unsere Beziehung war anders Helen. (Sein Name in meinen Ohren klingt komisch, warum weiß ich nicht, fremd vielleicht. Die Tonlage ist so anders als unser Berlinern.) Weil in den meisten Fällen … (er bricht ab und überlegt, runzelt die Stirn, seine Augen wandern zu mir, er schaut mich direkt an, eigenartiges Gefühl). Meistens beginnt irgendetwas zwischen zwei Menschen und dann kommt unweigerlich die Frage, wie es weiter geht und dann ist es entweder zu Ende oder es wird etwas Festes. Das war bei uns anders. Wir hatten eine andere Ebene, irgendwie vertraut, aber ohne dass es auf „Wie geht es jetzt weiter?“ hinaus läuft. Ziel war eher: „Lass uns das, was wir haben, so genießen, wie es ist.” Und dann der Gedanke, lass es uns noch schöner machen, indem wir miteinander schlafen. Wir hatten eben eine andere Ebene und das war sehr besonders. Die hat sich aber erst später entwickelt.
H: Wie ging es nach dem Kennenlernen weiter?
F: Na wir haben erst mal gequatscht, geflirtet und ziemlich heiß getanzt. Ich weiß, dass ich da schon daran dachte, mit dir zu schlafen. Wenn wir so gut tanzen können, dann wird es auch an anderer Stelle gut.
Jetzt muss ich mal unterbrechen, denn er führte das noch weiter aus. Aber hier merke ich, ist meine Grenze. Denn das hier ist mir unangenehm. Immerhin spricht er von mir, während Felix selber anonym bleibt. Das kann Katja Lewina besser, sie führt genau aus, was wann wie geschah.
„Nachdem wir gestrichen hatten, liefen wir raus in die Nacht, kletterten über eine Mauer und landeten in einem Park. Da machten wir es dann gleich noch mal, in einer Art Springbrunnen. … und du trugst ein weißes Trägerkleidchen, sonst nichts. Vanja schließt die Augen, lächelt selig, und ich muss lachen.“
F: Und dann haben wir uns noch mal auf einer anderen Party getroffen, auf der du dann aber schnell wieder weg warst. Aber dort haben wir auch ein bisschen rumgeknutscht, das weiß ich noch ganz sicher. (Komischerweise kann ich mich daran überhaupt nicht erinnern, ob er mich verwechselt?). Später habe ich dich dann zu mir eingeladen und für dich gekocht und du bist über Nacht geblieben.
Jetzt grinst Felix wieder so. Dieses unanständige Lächeln, was alles und nichts sagt und es läuft mir kalt den Rücken hinunter, schnell Thema wechseln. Er bringt mich aus der Fassung, immer noch.
H: Wir haben Kill Bill geschaut. Als ich den Film viele Jahre später noch einmal angeguckt habe, hatte ich das Gefühl, ihn zum ersten Mal zu sehen.
F: Sage ich doch, es war besonders. (Er zwinkert)
Nagut aus dem Themenwechsel ist wohl nichts geworden, neuer Versuch.
H: Hast du damals schon gewusst, dass aus uns nichts Ernstes wird?
F: Ich habe mir über uns zu diesem Zeitpunkt gar keine Gedanken gemacht. Alles war frisch und neu. Ich habe nicht darüber nachgedacht, ob das was Ernstes wird oder nicht. Aber andererseits finde ich auch, es ist sehr viel aus uns geworden. Klar, ganz am Anfang hatten wir definitiv nicht diese freundschaftliche Ebene. Im Laufe der Zeit hat sich das dann geändert. Als wir immer mehr miteinander gesprochen haben und du warst ja auch sehr neugierig und hast immer wieder Themen angesprochen, über die ich noch nie nachgedacht hatte. Du wolltest einfach alles wissen. Und so wurden wir immer vertrauter miteinander.
H: Und warum sind wir dann kein „richtiges“ Paar geworden?
F: Uns beiden war irgendwie klar, dass das nicht hundertprozentig passt. Ich glaube schon, dass wir uns kennengelernt haben und das wir eine enorme Anziehungskraft hatten. Dass wir gut sprechen konnten, wir hatten diese Verbindung, aber es reichte nicht. Du hast mir auch mal gesagt, dass du dir das mit mir nicht vorstellen konntest.
Komisch, ich dachte immer, er wollte nicht so richtig. Als ich diese Frage gerade stellen will, würgt er mich ab, er müsse sich wieder kurz in sein Meeting einschalten. Er hört mir nur mit halbem Ohr zu und ist nicht ganz bei mir. Wahrscheinlich sind wir deswegen kein Paar geworden. Als er wieder da ist, ist die Frage verpufft.
F: Ich weiß nicht, was fehlte, vielleicht die absoluten romantischen Gefühle.
Was sind schon absolute romantische Gefühle? Blöde Antwort. Ich will ihn danach fragen, aber die Verbindung bricht ab. Kurz sitze ich alleine in meinem Wohnzimmer, es ist sehr still und ich bin froh, dass mein Mann und ich absolut sichere romantische Gefühle haben. Ich wusste immer, was er will und was er nicht will – und das ich ihn will. Vor allem wollte er mich von Anfang an mit Haut und Haar. Auch heute noch wissen wir genau, was wir brauchen. Wir sind uns sicher mit unseren romantischen Gefühlen.
F: Bin wieder da. Keine Ahnung, was da mit der Verbindung los ist.
Im Hintergrund höre ich Stimmen. Sie sprechen über Zahlen, ach ja, wir sind nicht alleine. Ich schweife mit meinen Gedanken ab, bin nicht mehr richtig bei der Sache und verliere den Faden. Da dringt Felix’ Stimme doch wieder an mein Ohr.
F: Jetzt will ich mal die Moderation übernehmen und Fragen stellen. Deine Autorin (Katja Lewina) schreibt, dass ihre Beziehungen oft nicht halten. Deswegen hat sie einige ihrer Ex-Männer getroffen, um zu verstehen, warum das so ist, richtig?
H: Ja.
F: Ok, jetzt meine Frage: Willst du diese Frage auch auf dich transferieren? Warum deine Beziehungen gescheitert sind?
H: Nein, das will ich nicht. Denn ich glaube, ich weiß ziemlich genau, warum meine gescheiterten Beziehungen geendet sind. Ich suchte bei Männern oft nach Anerkennung und habe mir welche gesucht, die mich eigentlich nicht wollten. Manchen war ich zu aufgeregt, zu neugierig, zu gut gelaunt, irgendwie zu viel – oder zu wenig eben. Sie hatten immer etwas an mir auszusetzen oder fanden mich nicht geeignet, für was „Festes“, mehr nur zum „Spielen“. Mein Mann war der erste, der mich genau so wollte, wie ich bin. Und mich auch so sein lässt, wie ich bin. Wir geben uns ganz viel Raum und schätzen den anderen so, wie er ist. Katja Lewina schreibt:
„Hassen wir an anderen, was wir selbst in uns tragen? Es fällt mir schwer, konsistent zu sein, bei einmal getroffenen Entscheidungen zu bleiben. Vor allem aber will ich immer weiter, immer mehr, niemals aufhören.“
Als ich das noch einmal lese, diese Stelle hatte ich mir im Buch unterstrichen, fällt mir etwas auf. Bin ich vielleicht diejenige, die sich immer alle Türen offen gehalten hat? Bin ich diejenige, die die Männer nicht einschätzen konnten? Bin ich es, die immer zweideutig grinst und nicht klar Stellung bezieht? Die Gedanken sind neu für mich und ich danke Frau Lewina für diesen Austausch in meinem Gehirn. Felix sagt auch noch etwas:
F: Wenn ich mir die Frage stelle, warum meine Beziehungen immer scheitern und warum ich jetzt so unglücklich bin, wird mir die Antwort nicht gefallen. Denn es liegt viel an mir. (Obwohl immer zwei dazugehören, erinnere ich ihn.) Aber mein aktuelles Unglück kann ich nur definieren, weil ich Partnerschaft und Familie ausprobiert habe. Aber so, wie es jetzt ist, geht es gerade nicht. Wie macht ihr das denn?
H: Ich kann es dir nicht genau sagen, wir hatten wahrscheinlich Glück und waren mutig genug, viel zu riskieren. Wir bewundern uns gegenseitig und geben uns Freiraum und wir können nebeneinander auf dem Sofa liegen und lesen und quatschen. Das ist zum Zusammenleben wichtig.
Lewina schreibt über ihren Ehemann und Vater ihrer Kinder:
„Dafür, dass wir da beide so reingeschlittert sind, ist alles erstaunlich gut gegangen. Wenn man bedenkt, was hätte alles schiefgehen können! Wir kannten uns ja gerade mal ein halbes Jahr, als ich schwanger wurde. Erzählt mir so eine Story von irgendjemand anderem und ich schlage die Hände über meinem Kopf zusammen.“
Ich erzähle dir meine Geschichte, kannst die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, Katja!
Liebe RauschVonWorten Gemeinde: Gutes Buch, es macht Spaß, erschüttert, berührt, ist ehrlich bis zum Rot werden und offen bis in jede Ritze. Kauft es im Buchladen eures Vertrauens.
Bleibt leicht&lebendig,
Helen
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