Es sind drei!
Ein Rausch über die Gefährten meiner Tochter
Er ist legendär! In unserem Freundeskreis kennen ihn alle von Anfang an, die Familie achtet und schätzt ihn, alle lieben ihn: Hasi. Zum „inner circle“ gehören noch Igel und Wuffi. Mit ein bisschen Fantasie kann sich jede*r denken, um welche Art Tiere es sich handelt. Die Liebe zu Plüsch-bzw. Kuscheltieren spielte auch in meinem Leben schon immer eine sehr große Rolle. Es begann mit einer Maus, ich nannte sie Mimi. Im Laufe ihres Mause-Lebens bekam sie mehrfach neue Ohren, eine neue Haut, ein neues Gesicht. Sie wurde stets mit viel Liebe von meiner Mama rekonstruiert. Ich erinnere mich, wie ich neben ihr an der alten Singer-Nähmaschine saß, Mama drehte das Rad an, trat mit den Füßen die Pedale und die Nadel setzte sich in Bewegung. Ich litt und spürte jeden Nadelstich, als Mimi die Ohren gemacht bekam. Das Einzige, was nie erneuert wurde, war Mimis Schwanz. Einst lang und rosa ist er heute nur noch ein zerfranstes Fädchen. Ja genau, richtig gelesen, Mimi gibt es noch. Aber dazu später mehr.
Erst einmal möchte ich an dieser Stelle über die glorreichen drei schreiben, die unser Leben als Familie prägen. Alles begann mit Hasi, meine Mama (die damals frisch gebackene Oma) schenkte ihn unserem Mädchen zur Geburt. Riesengroß erschien er mir, wie er da am Kopfende des Babys lag. Genauso groß wie der Babykopf. Mit den kleinen grünen Füßchen an der einen und den langen Ohren an der anderen Seite schlingelte er sich ums Baby-Mädchen. Sein Bäuchlein berührte vorsichtig die noch nicht geschlossene Fontanelle. Und wenn ich daran zurückdenke, war eigentlich von Anfang an klar, dass diese beiden zusammengehören. Unser Mädchen wurde größer und Hasi kleiner. Ein Teil des Einschlafrituals war es, dass ich mit Hasis Ohren über das Kindergesicht wedelte. Mit einem Jahr kam mein Mädchen in die Kita. Hasi war dabei! Fest in ihrer kleinen Kinderhand erlebten sie allerhand Abenteuer. Hasi schluckte viel Sand, Hasi kostetet von allem Essen und Hasi bekam Gefährten. Die Patenten töpferte Hasi sogar einen Teller, der bis heute in Gebrauch ist.
Natürlich sind die Eltern die ersten Bezugspersonen eines Kindes, aber sie sind vom Kind nicht selbst gewählt. Psycholog*innen bezeichnen Kuscheltiere auch gerne als eine Art „Übergangsobjekt“. Die Beziehung zum Kuscheltier ist die erste selbst gewählte Verbindung, die ein Kind eingeht, heißt es von den Fachleuten. Das sei wohl der erste Schritt in eine Art Selbstständigkeit – wusste ich vorher so auch nicht. Um neben der Beziehung zu den Eltern den eigenen Horizont zu erweitern, dient besagtes Kuscheltier. In diesem Fall ist es auch nicht einfach nur ein Kuscheltier, sondern eine treue Begleitung in allen Lebenslagen, auch als Hafen und Anker, Spielgefährtin, Gesprächspartner und irgendwie auch eine echte Person mit Persönlichkeit. Und wenn ich meine Tochter mit Hasi, Igel und Wuffi so beobachte, dann stimmt das. Die sind eine richtig eingeschworene Gemeinschaft. Und nicht zuletzt seit den Büchern von Margit Auer um die „Schule der magischen Tiere“ haben wir den Beweis. Hier werden die liebsten Gefährten lebendig, sobald die Erwachsenen nicht hinschauen. Ich liebe die Bücher und auch die Filme und ertappe mich dabei, wie ich Hasi und seine Gäng lebendig werden lasse – in meiner Fantasie.
Eine gute Freundin riet mir, vorsichtshalber einen Ersatz-Hasi zu besorgen, „falls dieser Mal verloren gehen sollte, habt ihr dann einen zweiten“. Dieser Gedanke brach mir das Herz, auch ich hing mittlerweile sehr an Hasi. Aber ich befolgte ihren Rat und er war Gold wert. In einer Schublade zwischen T-Shirts und Unterhosen befanden sich nun zwei identische Hasis. Hasis Schwestern, wie wir sie heimlich nannten. Ein Problem gab es nur, sie sahen anders aus – obwohl sie dieselben waren. Die beiden „Neuen“ war nämlich frisch. Ihre Bäuchlein noch rund, das Fell plüschig und die Farben leuchtend. Unser Hasi hatte schon die ersten Liebespuren, der Hals dünn geworden, der Kopf wackelig (hier wurde er immer getragen), die Nase abgelutscht. Wir standen vor einem Problem: Wie machen wir dem Kind im Notfall klar, dass Hasi nun so frisch aussieht.
Und während wir über dieses Problem nachdachten, passierte das Drama: Das Mädchen kam ohne Hasi aus der Kita. Schon beim Abholen flog sie weinend in meine Arme, die Erzieherin war sichtlich besorgt „Wir haben überall gesucht, Hasi ist nicht da. Vielleicht schaut ihr zu Hause noch mal nach. Möglicherweise liegt er im Bett?“ Ich konnte es nicht fassen, Hasi lag garantiert nicht im Bett. Nie, wirklich nie verließen wir das Haus ohne Hasi. Ich nickte und dachte ‚bloß nicht heulen‘. Wir gingen los, das schluchzende Mädchen an meiner Hand und ich plapperte aufmunternd darüber, dass Hasi bestimmt noch kuschelig im Bett läge. Aber das Mädchen ließ sich nicht täuschen und sagte mit erstickter Stimme „Ich habe Hasi heute mitgenommen, vor dem Mittagsschlaf war er plötzlich weg.“
Das erinnerte mich an die Geschichten meiner Mama und an Mimi. Denn Mimi durfte nicht mit in den DDR-Kindergarten: „Mit spitzen Fingern hielt die Erzieherin Mimi am Ohr und sagte ‚das dreckige Vieh will ich hier nicht mehr sehen‘. Fortan entriss ich dir Mimi, sobald wir die Wohnung verlassen hatten, schmiss sie noch schnell in den Flur, schloss die Tür. Ich war so gemein“, erzählt meine Mama noch heute und schluckt. „Aber die hätten dich ohne Mimi nicht genommen, haben sie gesagt und ich musste doch arbeiten gehen.“
Bin ich froh, dass das heute anders ist. Nur wo Hasi abgeblieben ist, fragte ich mich und erfand eine kleine Notlüge für mein Mädchen.
„Hasi ist schon zu Hause und wollte sich mal waschen“, versuchte ich es.
„Warum?“ schluchzte das Kind zur Antwort.
„Naja er hat ein bisschen gemüffelt“, antwortete ich sehr wahrheitsgemäß, denn Hasi wurde in der Tat selten gewaschen.
„Gar nicht“ kam es kleinlaut von unten, aber ein winziger Anflug von Lächeln umspielte den Mund meiner Tochter.
Zu Hause stürmte sie sofort in ihr Zimmer, durchwühlte alles, suchte und rief „Hasi, Hasiiii, Haaaaasiiii, wo bist du?“ Ich schlich schuldbewusst ins Schlafzimmer, holte eine der beiden Schwestern heraus (wir kauften gleich zwei, damit nie eine alleine in der Schublade liegt) und versteckte sie in unserem Bett, dann rief ich: „Hast du schon bei uns im Bett gesucht?“ Mein Mädchen kam gerannt, sprang in unser Bett und wühlte sich durch Kissen und Decken. „Hasi!“ Sie drückte ihr Gesicht in Hasis weichen Bauch und ich musste bei dem Anblick fast weinen, so sehr ging mein Herz auf über diese Liebe. „Aber Mama, Hasi riecht anders und ist irgendwie so dick.“ Auweia, sie merkt es. Aber ich bin ja nicht umsonst, was ich bin, also erzählte ich, dass Hasi sich ein bisschen ausgeruht und gegessen hat, dann war er noch in der Waschmaschine und ist eine Runde Karussell gefahren. Die Kinderaugen wurden immer größer, durchschaute sie mich? Ich weiß es nicht, ich weiß bloß, dass der Tag gerettet war. Nur mein Herz weinte nach wie vor ein bisschen, denn wo ist Hasi, der Erste? Am nächsten Tag in der Kita rannte sie stolz ihrer Erzieherin entgegen und zeigte ihr den sauberen Hasi. Kati lächelte glücklich und zwinkerte in meine Richtung. Später steckte sie mir Hasi zu und flüsterte: „Plötzlich war er wieder da, wir fanden ihn abends beim Aufräumen. Es tut mir leid.“ Ich war so froh, am liebsten hätte ich Kati umarmt. Mit Hasi 1 im Rucksack fuhr ich zur Arbeit.
Fortan waren alle drei Häschen in regelmäßigem Einsatz. Ziel war es, alle drei gleich zu zerkuscheln. Meistens waren sie morgens scheinbar frisch gewaschen, weil wir sie nachts austauschten. Aber Hasi blieb nicht allein, wie schon erwähnt entwickelte sich nicht nur das Mädchen weiter, sondern auch Hasi bekam Freund*innen. Hinzu kamen Igel und Wuffi. Ein Igel und ein Hund. Drei sind eine Gäng. Ab jetzt wurde Hasi nicht mehr immer in der Hand getragen, sondern durfte mit seinen drei Kumpanen in meiner Tasche mitfahren.
Natürlich flog die Geschichte mit der nächtlichen Waschaktion irgendwann auf. Ich werde den Tag nie vergessen, mein Mädchen war ungefähr acht Jahre alt – ich weiß bis heute nicht genau, ob sie uns die Geschichte wirklich so lange abgekauft hat. Jedenfalls waren die beiden Schwestern wieder in der Waschmaschine. Mein Mann legte sie noch etwas feucht auf den Küchentisch, ich sollte sie nach oben in ihre Schublade mitnehmen. Das war abends. Ich vergaß die Tierchen auf dem Tisch. Morgens hörte ich es laut quieken, dann trampeln und dann meine Tochter vor mir stehen: „Mama, es sind drei!“ Wir waren ertappt. Nun standen wir da, lachten laut und unsere Tochter sagte: „Ihr seid schlau!“ Dann küsste sie alle drei Häschen und wir fanden eine Schublade in ihrem Zimmer.
„Die Banausen fehlen noch“, sagt mein Kind bestimmt, als wir vor den Herbstferien unsere Rucksäcke für den Insel-Herbst packen, „die müssen oben drauf, sonst sind sie so gequetscht.“ Gesagt, getan, die Gäng fliegt gerne und kommt natürlich mit. Noch, denn das Mädchen ist 10 Jahre alt. Ich hoffe, dass wir noch ein paar Jahre mit den Dreien haben.
In diesem Sinne: Genießt die Zeit und bleibt dabei leicht&lebendig,
Helen
PS: Mimi wohnt mit ihren Gefährten in einem alten Koffer, gemütlich gebettet zwischen meinen ersten Babysachen und Erinnerungen aus meiner Kindheit.
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Danke Sophie Sophie Schäfer für deine Illustration.