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Mehr Meer geht nicht

Roadtrip Teil 3: Wie ich endlich wieder zu mir finde

„Das Meer, das Meer! Habt ihr es gesehen?“ Als es endlich tief und gewaltig vor uns auftaucht, steuere ich gerade das Auto und muss mich sehr beherrschen auf dieser verrückten Autobahn die Kontrolle zu behalten.

Beinahe unwirklich

Fast ein bisschen emotional war unser Abschied vom Gardasee. Der See hatte mich gelehrt Vorurteile über Board (Abre numa nova janela) zu werfen und lieber einmal mehr nachzufragen. Ich bin dankbar um diese Lektion. Weiter geht unsere Reise jetzt ans Meer. Endlich. Erst Richtung Brescia und Milano, dann links rum Richtung Cremona und Parma. Mitten durch die trockene weite Ebene des Pos führt uns unser Weg. Als Bologna dran steht, fahren wir rechts ab nach La Spezia. Ich habe das Gefühl, ich kann das Meer schon riechen. Hier tauschen wir, denn der Gatte möchte die Berge der Appennin betrachten. Ich schwinge mich hinter das Steuer und fühle mich wie bei einer Berg-Rellae. Es geht immer links, rechts, Tunnel, Sonnenbrille auf, Sonnenbrille ab, Tunnel, links, rechts — total verrückt. Wo ist es? Wann kommt das Meer, ich bin aufgeregt und nervös, kann es kaum abwarten. Hinter jeder Kurve erwarte ich das blaue Blau.

Und dann taucht es beinahe unwirklich vor mir auf und ich frage mich kurz, ob es wohl echt ist. Ob ich endlich, nach über einem Jahr Sehnsucht, zurück bin an dem Ort, an dem ich mich am stärksten fühle. Eine ganze Zeit lang geht es noch an der Küste entlang Richtung Genua, bis wir auf die verwinkelten Sträßchen zum Meer abbiegen. Einige kleine Ortschaften und scharfe Kurven später stehen wir vor dem Tunnel, der nach Moneglia führen soll. Diese Orte hier, an der ligurischen Steilküste, waren einst nur mit der Bahn zu erreichen. Später wurden die ehemaligen Bahntunnel für Autos umgebaut. Allerdings sind sie so schmal, dass immer nur ein Auto in eine Richtung fährt. So stehen wir erst mal 15 Minuten an einer Ampel. Neben uns das Meer und ich muss ein bisschen weinen.

Tor der Erleuchtung

Der Tunnel ist finster und sehr eng. Ich tuckere etwas ängstlich hindurch und wir suchen gebannt nach einem Abzweig zum Campingplatz, der wohl mitten im Tunnel sein soll. „Da, da, da vorne leuchtet es“, ruft das Kind aufgeregt von hinten und ich hau den Blinker raus. Rechts rum, harte Ecke, helles Tor, die Sonne blendet und das Rauschen des Meeres dringt laut an unsere Ohren. Ich lache wie eine Irre, als mich eine Art Platzwart zu einem Parkplatz lotst, hinter dessen Zaun nur blau ist. Ich kann es kaum fassen, zerre übertrieben doll an der Handbremse, unser Schiff ruckt einmal kurz und steht.

Aufgeregt springe ich aus dem Auto und schaue mich um. Hinter mir Felswand mit dem „Tor“, das uns aus dem Tunnel spuckte, rechts und links schmale Sträßchen entlang der Berge. Wir werden eine Treppe hinunter geführt und auf einer Terrasse, die direkt im Meer endet, können wir unser Zelt aufschlagen. Ich komme aus dem Grinsen gar nicht mehr heraus. Stehe nur da und staune, wie die Wellen unter mir an die Steine preschen, sich zurückziehen um mit neuer Wucht zuzuschlagen.

Und ich habe direkt das dringende Bedürfnis genau NICHTS zu tun. Endlich spüre ich es. Es ist noch da. Ich will nur sitzen, dem Rauschen lauschen und beobachten, wie die grünen Hänge der Berge in das Türkis des Wassers und am Horizont ins Blau des Himmels fließen. Dieses endlose Farbspiel von Grün und Blau, lese ich später nach, wird Tigullien genannt. Wir sind also nicht nur in Ligurien, sondern im Golfo des Tigullio. Ein kleines Paradies hat sich hinter diesem Tor aufgetan, bekannt für große Geschichten, große Charaktere und große Emotionen. Dann bin ich hier richtig. Die Emotionen habe ich sofort, Charaktere sind wir auch und die Geschichten fügen sich von alleine.

Inmitten von Einheimischen

Ich atme tief durch und weiß sofort, hier werde ich Luft sammeln für den Rest des Jahres. Das warme Mittelmeer ist schon immer mein Kraftort (Abre numa nova janela). Hier bin ich gesund, hier bin ich frei und hier kann ich alles schaffen. Nachdem wir unser Zelt aufgebaut haben, stürzen wir uns ins Meer und finden uns inmitten von Einheimischen wieder. Ich höre kein Deutsch und tauche zufrieden ab. Die Wellen umspülen mich, ich halte die Luft an, komme japsend wieder hoch und bin gesalzen, als ich den Kopf gen Himmel recke. Sonne, Salz und Wind durchspülen mich, dringen in meine Adern, in meinen Kopf und ich werde angenehm hohl. Naja, ein bisschen was bilde ich mir auch immer ein. Aber das gehört dazu.

Am nächsten Morgen beobachte ich einen italienischen Papa, der mit seinen zwei Söhnen angereist ist und ein Haus aufbaut, zumindest macht das Zelt auf mich genau diesen Eindruck. Wie ein Haus aus Stoff, mit Gasherd und Kühlschrank, Sitzbank und Sonnenschirm. Um 10 Uhr morgens riecht es schon nach gebratenem Knoblauch und Pasta. Er gibt es uns zu verstehen, dass seine zwei Jungs ständig Hunger haben und wir freuen uns, dass hier offensichtlich ein italienischer Papa alleine mit seinen Söhnen verreist. Ganz anders als wir das so pauschal dachten. Während die drei Herren also ihren Tisch decken, natürlich mit Tischdecke und Wein, trinken wir erst unseren zweiten Kaffee. Und trotzdem sind wir irgendwie zusammen, verbunden durch die Liebe zum Meer an diesem magischen Ort.

Monilia bedeutet Juwel

Abends sitzen wir lange da, schauen aufs Meer direkt vor uns, beobachten, wie es dunkel wird und können nicht ins Bett gehen, weil wir so sehr genießen. Mehr Meer geht wirklich nicht. Wir gucken so lange, bis die Sterne uns scheinbar zurufen, wir sollen doch endlich ins Bett gehen. Der kleine Ort Moneglia, auf den wir direkt schauen, soll vom lateinischen Wort Monilia abstammen. Das heißt Juwel. Und ja, das passt gut, selten und kostbar von der Natur eingefasst wie ein Juwel liegt er zwischen den Hängen der Berge und dem Meer.

Wie einen Juwel werde ich auch die Erinnerung an einen ganz besonderen Moment in mir tragen: Der Vormittag, an dem Delfine in unsere Bucht kommen. Plötzlich entdecken wir sie, vielleicht sind sie schon länger da, wir wissen es nicht. Aber sie springen, nicht weit von unserer Zelt-Terrasse entfernt, ihre filmreifen Bögen durch die Luft und mir kommen schon wieder die Tränen. Freude und Rührung fließen durch meine Seele und plötzlich weiß ich ganz genau, wie hier die großen Geschichten entstehen. Ich muss einfach nur aufs Meer schauen.

In diesem Sinne bleibt aufmerksam, aber vor allem leicht&lebendig,

Eure Heli

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