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Mein (altes) Haus, meine (wunderbaren) Nachbarn

Von Hasnain Kazim - Göttingen / Nachbarschaft / Minkmar / Levit / Federmacher

Liebe Leserin, lieber Leser,

wenn Sie diese Zeilen am Sonntagvormittag lesen, sitze ich im Zug von Wien nach Göttingen. Dort darf ich heute Abend im Literaturhaus aus meinem Buch “Deutschlandtour” lesen.

Da über die Deutsche Bahn oft geschimpft wird, möchte ich an dieser Stelle auch mal sagen: Ich fahre sehr gerne mit der Bahn. Im Zug kann ich lesen, schreiben, nachdenken, schlafen. Und wenn man nicht allzu oft - am besten: gar nicht! - umsteigen muss und zwischen Termin, zu dem man da sein muss, und Ankunft einen ordentlichen Puffer einplant, ist es sogar sehr entspannt. Gut, mit den Platzreservierungen klappt es nicht immer, manchmal fallen Waggons weg, dann wieder ist eine Weiche kaputt oder es gibt irgendeine Signalstörung, im Zug ist die Temperatur mal gefühlt fünf, dann wieder fünfunddreißig Grad Celsius, und von Verspätungen und Zugausfällen will ich gar nicht erst anfangen, aber alles in allem ist es, finde ich, trotz allem eine äußerst angenehme Art zu reisen.

Sollten Sie heute Abend zufälligerweise auch in Göttingen sein und Lust haben, ins Literaturhaus zu kommen (Abre numa nova janela), freue ich mich, Sie zu sehen!

Auf gute Nachbarschaft!

In meinem bisherigen Leben habe ich an vielen Orten gelebt und hatte daher schon sehr viele unterschiedliche Nachbarn. Es gab welche, die genau beobachteten, wer bei mir ein- und ausging, andere, die penibel registrierten, dass ich sonntags Wäsche wusch (und das bei Gelegenheit auch kritisch anmerkten). Meistens hatte ich aber Nachbarn, die sehr nett waren und auch mal aushalfen, wenn Milch fehlte oder Mehl. Oder denen man selbst aushalf.

In Islamabad, Pakistan, wusste ich vom - mit Stacheldraht umzäunten - Nachbarshaus nur, dass dort US-Geheimdienstleute wohnten. Man sah sie kaum, und wenn, fuhren sie mit einem SUV mit getönten Scheiben auf ihr Grundstück oder wieder weg. Mit den pakistanischen Sicherheitsleuten vor ihrem Haus freundete ich mich an, und von ihnen erfuhr ich gelegentlich, was drinnen los war.

In Istanbul hatte ich zu meinen direkten Nachbarn gar keinen Kontakt, wusste nicht einmal, wer in den Wohnungen lebte. Nur einmal klopfte der Nachbar unter mir energisch an unsere Tür - wir hatten einen Wasserrohrbruch, und es tropfte in seine Wohnung. Der Mann war italienischer Diplomat, und von da an grüßten wir einander immerhin, wenn wir uns im Treppenhaus begegneten, was selten vorkam.

Ich mag weder allzu neugierige Nachbarn noch komplette Anonymität. In Wien ist es ein wirklich schönes Mittelding: Man kennt sich, man grüßt, hält mal ein Schwätzchen, hilft einander auch mal aus, und hier und da ist man auch miteinander befreundet. Wien ist mehr eine Ansammlung von Dörfern als Großstadt.

Kürzlich war ich bei Nachbarn aus unserer Wohnanlage zum Kaffee eingeladen. Bislang kannte ich sie, ein älteres Paar, nur vom Sehen und von kurzen Gesprächen im Stiegenhaus. Weil sie von meinem Beruf wussten und danach fragten, steckte ich ihnen vor ein paar Wochen ein Buch von mir ins Briefkasterl. Daraufhin luden sie mich jetzt zum Kaffee ein.

Die beiden sind über neunzig Jahre alt, sie sind bald siebzig Jahre miteinander verheiratet und sie leben seit neunundsechzig Jahren in unserem Haus. In ihrem Flur hängt ein Gemälde aus dem Jahr 1927, das exakt jenen Gebäudeteil zeigt, in dem ich lebe.

Gemälde unseres Hauses aus dem Jahr 1927.

Die beiden erzählten mir, dass dort anfangs eine Hutfabrik beheimatet war, dann eine Papierfabrik, in der vor allem Papiertüten, die man hier in Wien Papiersackerl nennt, hergestellt wurden, bis die Plastiksackerl die Papiertüten verdrängten. (Heute ist es ja zum Glück wieder andersrum.) Dann war hier ein Wohnheim für Menschen mit geistiger Behinderung, von anderen Leuten hatte ich schon mal das Wort “Irrenanstalt” gehört, später waren hier Zimmer zur Vermietung für Arbeiter. Schließlich entstand daraus, was meine heutige Wohnung ist. Auf dem Bild von 1927 kann man sie schon noch erkennen. Ich mag sie sehr, aber seit ich nun einiges mehr über die Geschichte kenne, mag ich sie noch mehr.

An diesem Nachmittag bei den Nachbarn habe ich viel über unser Viertel, über Wien, über Österreich erfahren - und außerdem ein tolles Paar kennengelernt, über das ich nun mehr weiß als nur, dass sie meine Nachbarn sind. Ich schätze sie. Und bewundere sie, wie sie mit Mitte neunzig ihr Leben meistern, wie zufrieden und glücklich sie sind und welch wohlwollenden, humorvollen Blick sie trotz aller dunklen Seiten auf die Welt haben.

Ich habe mir nun vorgenommen, noch mehr Nachbarn besser kennenzulernen. Für Gemeinschaft muss man etwas tun, ich finde, es lohnt sich, jedenfalls oft.

Der siebte Tag!

Seit Anfang Dezember 2024 gibt es nun diese “Erbaulichen Unterredungen”, und ich freue mich, dass Sie sie lesen, abonnieren, Mitglied werden, weiterempfehlen. Einer, der mich animiert und inspiriert hat, sie zu schreiben, ist der Kollege Nils Minkmar, der mal, wie ich, beim “Spiegel” gearbeitet hat. Wir sind uns aber tatsächlich bisher nicht begegnet außer einmal im Vorbeigehen vor Jahren auf der Frankfurter Buchmesse.

Nun war ich vergangene Woche in Wiesbaden und habe dort in der Kulturstätte Monta gelesen, ein Ort, der mich überrascht hat (Abre numa nova janela): Es ist eine schöne Kapelle in einem Wohn- und Geschäftshaus. Nils Minkmar lebt in Wiesbaden, und dies war endlich die Gelegenheit, sich mal zu treffen und zu reden.

Nils Minkmar und ich in Wiesbaden.

Abgesehen davon, dass ich mit (zweitem) Vornamen auch Niels heiße, allerdings mit “E”, verbindet uns nun die Newsletter-Autorenschaft. Lesen Sie unbedingt auch den “Siebten Tag”, (Abre numa nova janela) den Nils Minkmar schon seit einigen Jahren verfasst. Lesen Sie auch seine Bücher. Man merkt ihm seine Affinität zu Frankreich an, er ist ja halber Franzose, wenn ich das mal so sagen darf. Ich lerne einiges von ihm, erfahre viel Neues aus seinen Texten, und was uns noch mehr als das Ni(e)ls verbindet: Wir haben beide eine Leidenschaft für Schreibwaren und insbesondere für Füllfederhalter. Vielleicht sollten wir, ganz deutsch, einen Verein gründen?

Klavierunterricht

Diese Woche war Igor Levit in Wien, und ich habe ihm Klavierunterricht gegeben. Falls Sie ihn nicht kennen: Er ist seit einigen Jahren mein Schüler, und ich bemühe mich, ihm das Klavierspiel beizubringen, aber mühsam ernährt sich das Eichhörnchen. Manchmal verzweifle ich, aber ich lasse es ihn natürlich nicht spüren, das wäre pädagogisch kontraproduktiv. Man muss Geduld haben.

Klavierschüler Levit und ich in Wien.

Hier finden Sie, unter “Kalender”, die Ergebnisse meiner Unterrichtsbemühungen. (Abre numa nova janela) Gehen Sie hin, hören Sie selbst!

Was ich gern wäre…

Man sitzt in einer Gruppe beisammen, plötzlich fragt einer: “Was wärest du eigentlich gerne, wenn du nicht den Beruf ausüben würdest, den du machst?”

Also, ich bin sehr, sehr gerne Autor.

Aber zwei Berufe fallen mir ein, die ich, in einem anderen Leben, gerne ausüben würde: Ich wäre, erstens, gerne Hundetrainer. Mit Hunden zu arbeiten, sie vielleicht auch zu züchten (man möge mir jetzt bitte Kommentare und Zuschriften ersparen, es gebe schon genügend Hunde und niemand brauche Hundezüchter), sie aufwachsen zu sehen, ihre Fortschritte zu erleben - fantastisch! Wenn ich’s mir aussuchen könnte, würde ich sowieso nur noch mit Hunden zusammenarbeiten.

Und zweitens: Füllfedermacher, ach, das wäre was für mich! Gerade Deutschland hat eine Tradition in der Herstellung von Schreibfedern, in Deutschland gibt es nach wie vor weltweit führende Federmacher, und am liebsten wäre mir eine kleine Werkstatt, in der ich Federn herstellen, aber auch reparieren könnte. Wahrscheinlich kann man heutzutage von solch einer Arbeit nicht mehr leben, aber darum geht es bei der Frage ja nicht. Und wenn die Menschen endlich wieder mehr von Hand schreiben, von mir aus auch mit Bleistift, Tintenroller oder, nun ja, Kugelschreiber, am besten aber mit Füller, dann wäre dieser Beruf auch wieder wirtschaftlich attraktiv.

Aber Autor passt schon.

Was wären Sie gerne, wenn Sie nicht das wären, was Sie jetzt tatsächlich sind? Es macht Spaß, darüber mal nachzudenken.

Eigentlich hätte ich noch einiges Politisches zu sagen, zur “Schuldenbremse”, zu einem “öffentlichen Gebet” in Berlin, das “pro-palästinensisch” sein sollte, oder zum Thema Erbschaftssteuer, über das diese Woche diskutiert wurde, und dann zeigten mir mein Sohn und sein Freund noch einen “Streamer”, der mit absurden Videos im Netz Zigtausende Euro bekommt, „Warum machst du nicht sowas?!“, aber ach…

Wissen Sie was? Ich wünsche Ihnen eine schöne Woche, hoffentlich ein bisschen Frühling, und freue mich, wenn Sie die “Erbaulichen Unterredungen” abonnieren, weiterempfehlen oder als Mitglied die Arbeit daran ermöglichen.

Herzliche Grüße noch aus Wien, bald unterwegs nach Göttingen,

Ihr Hasnain Kazim

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