Ein Jahr 7. Oktober
In der Nacht zum 7. Oktober sitzen wir vor einem Dönerladen am Rosenthaler Platz in Berlin. Es ist drei Uhr morgens, und wir kommen direkt von einer Party. Am nächsten Tag soll meine Lesereise in Brandenburg beginnen. Amit ist mitgekommen, weil ich mich auf Lesereisen immer so einsam fühle. Meine Eltern sind extra nach Tel Aviv geflogen, um auf die Kinder aufzupassen.
Gegenüber von uns im Dönerladen sitzt ein arabischer Muskelprotz, um den Hals trägt er eine Kette mit den Umrissen Israels, allerdings komplett in Palästina-Farben. Ich mache Amit unauffällig auf die Kette aufmerksam. Auf dem Heimweg diskutieren wir darüber, wie Frieden jemals möglich sein soll, wenn es Menschen gibt, die Israel vollständig von der Landkarte tilgen wollen. Amit ist ein klassischer israelischer Linker, er glaubt nicht an Gott, aber an das Gute und an den Frieden. Ich bin eher pessimistisch, was das Gute im Menschen angeht. Dafür glaube ich an Gott (war schließlich schwer genug, das mit dem Übertritt zum Judentum). Vielleicht passen wir deshalb so gut zueinander.
Am nächsten Morgen wachen wir spät auf. Erst so gegen 10. Amit ruft mir von der Toilette zu, ich soll tief durchatmen und keine Angst haben. Dann sagt er: „So und jetzt schau auf dein Telefon.“ In Israel ist es bereits 11 Uhr. Schon seit viereinhalb Stunden ist dort nichts mehr wie je zuvor. Und nun rollt das Unheil auch in unser Leben. „Hi Nina“, steht in der Nachricht meines Ex-Mannes, „Wir sind am schlimmsten Morgen aller Zeiten aufgewacht. Ich bin bei dir in der Wohnung, mit den Kindern und deinen Eltern. Also mach dir keine Sorgen.“ In den ersten Sekunden denke ich, es geht um Raketenangriffe. Ich sehe ein Selfie meiner Eltern und der Kinder im Bunker. Aber schnell begreifen wir, es geht um viel mehr.
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