„Don’t Look Up!“ – Wenn Wohlfühlen-Kapitalismuskritik auf Empathie trifft
Achtung: Der folgende Text enthält im späteren Verlauf Spoiler zur Handlung des Netflix-Films „Don’t Look Up!“.
In der vergangenen Woche feierte Der Spiegel seinen 75. Geburtstag. Ich weiß nicht, ob ich das mitbekommen hätte, wenn in sozialen Netzwerken nicht lauter Spiegel-Cover aus der Vergangenheit geteilt worden wären. Wie sich herausstellte, steckte dahinter eine schlaue Reichweitenstrategie des Nachrichtenmagazins: Auf Spiegel Online konnten Besucher*innen ihr Geburtsdatum eingeben, um sich das Cover aus ihrer Geburtswoche (Abre numa nova janela) anzeigen zu lassen. Solche Versuche, Nähe zu Konsument*innen herzustellen, funktionieren bei mir zuverlässig, also probierte ich es gleich und musste beim Ergebnis lachen:
Die Vorstellung, die Welt oder auch nur Deutschland könnte im Juli 1979 um Mainz gebangt haben wegen des bevorstehenden Absturzes der US-Weltraumstation Skylab, bewegte sich für mich zwischen skurril und größenwahnsinnig. Beim Lesen des entsprechenden Artikels stellte sich heraus, dass Mainz bloß in jenem extrem breiten Erdgürtel gelegen hatte, den die NASA damals als möglichen Absturzbereich errechnet hatte (am Ende wurde es ein unbewohnter Teil Australiens).
Differenzierungen à la „theoretisch Mainz, praktisch woanders“ taugen nicht, um Emotionen und Sensationen zu erzeugen. Spannender ist da schon ein Objekt aus dem Weltraum, das Teile der Zivilisation auslöscht oder – noch besser – gleich die ganze Menschheit. Deshalb setzen nicht nur Nachrichtenmedien gerne auf solche Plots sondern auch Spielfilme wie „Don’t Look Up“: In dem jüngsten Netflix-Hit mit Stars wie Leonardo di Caprio, Jennifer Lawrence und Meryl Streep rast ein Asteroid von der Größe des Mount Everest auf die Erde zu, und der Menschheit bleiben nur sechs Monate Zeit, um die Auslöschung allen Lebens auf der Erde abzuwenden.
Filmkritiker*innen fanden die Katastrophen-Komödie, die am 9. Dezember online ging, eher so mittel. Bejubelt wurde „Don’t Look Up!“ dagegen von Naturwissenschaftler*innen, Umwelt-Aktivist*innen und Menschen, die sich beiden Gruppen nahe fühlen, denn im Film sind es Wissenschaftler*innen, die den Asteroiden entdecken und die daraufhin die Menschheit mehr als einmal warnen. Eine trumpeske US-Präsidentin, deren Entourage und ein großer US-Fernsehsender im Stil von Fox News glauben den Expert*innen erst kein Wort, dann doch, dann funkt jemand dazwischen, und dann war’s das mit der Menschheit.
Hier die Guten, dort die Bösen – in diesem Schema können es sich 138 Minuten lang Menschen gemütlich machen, die Populismus ablehnen, auf Wissenschaftler*innen hören und sich selbst eher als links und progressiv verstehen. Sie können vor allem Jennifer Lawrence dabei zusehen, wie sie in ihrer Rolle als Astronomie-Doktorandin Kate Dibiasky in einem Fort die Augen rollt, so wie man es selbst im Alltag tut bei Wissenschaftsleugner*innen und Verschwörungsideolog*innen. Auch das Schwanken zwischen Bestürzung, Zynismus und Verachtung kennt man. Dass Vertrauen in Wissenschaft einen Zugang zu Bildung voraussetzt, blendet man dabei aus. Dass nicht alle Menschen
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