Live aus Lützerath #5: Lützerath lives!
Und nach der Räumung ist vor der Wiederbesetzung
Das wichtigste zuerst: Lützerath lebt. Immer noch harren zwei Genoss*innen in einem Tunnel (Abre numa nova janela) aus (das Känguru wäre stolz, war es doch früher beim Vietcong), der die versuchte Räumung des Dorfes massiv verzögert, und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass morgen, wenn die 50.000 starke Demo (die Organisator*innen sprechen noch von 20.000, but I'm calling it: we'll be 50 thousand!) nach Lützerath kommt, die hier keine Trümmerhalde vorfinden wird, sondern weiterhin ins freie Lützerath gelangen kann.
Aber so weit sind wir noch nicht. Zurück zum heutigen morgen: heute, Freitag 13.1. gegen 11, wurde die Hausnummer 10 in Lützerath (Straßennamen braucht das kleine Dorf nicht) geräumt, die WG-Idylle abrupt beendet..
Die wunderschöne politische Gemeinschaft, die sich in der “Wohngemeinschaft” (so unser Name innerhalb der besetzten Lützerather Strukturen) so spontan gebildet hatte, wurde von der Polizei aufgelöst, unsere Doppelreihenhaushälfte (die 9 und die 10 :)) geräumt. Ihr wisst, wenn Ihr meine Texte oder Tweets verfolgt, dass ich mit posttraumatischen Probleme zu kämpfen habe, wenn es direkten Polizeikontakt gibt, aber heute konnten die Cops, konnte mir mein Trauma – Resultat, wie schon einmal geschrieben, einer Foltererfahrung in einer tschechischen Polizeistation nach einer anti-IWF/Weltbank-Demo in Prag vor 23 Jahren – nichts anhaben, weil ich gestärkt war von der Magie, vom kollektiven Zauber der Bewegung, der sich in einer WG kristallisierte, in der bürgerliche, habituell auf den ersten Blick fast spießig erscheinende Radikale mit autonomen Kommunist*innen, wo alte Ökos mit Anarchist*innen, wo Postautonome mit Menschen zusammenarbeiteten, die nicht die geringste Ahnung hatten, was dieser arkane Begriff eigentlich bedeutet.
Wir waren 3 politische Generationen, von 22 bis 56, wir kamen aus unendlich weit voneinander entfernten politischen Kulturen, und wir wuchsen zusammen, durch den Druck von Außen, vor allem aber durch die gemeinsame Aufgabe, die gemeinsame Mission. Wo zu Beginn Skepsis war, blieb am Ende nur tiefe Zuneigung, Solidarität und ein sich-umeinander-kümmern, das der harmonischsten Familie gut zu Gesicht stünde. Im Zusammenkommen dieser verschiedenen Menschen war der kommunitische Zauber soziale Bewegung sichtbar, der aus einzelnen Elementen mehr als die Summe ihrer Teile macht, der von “lass mal zusammen was machen” ein “von allen nach ihren Fähigkeiten, allen nach ihren Bedürfnissen” wurde. Kommunismus halt. Zumindest seine gute Version.
Allen war klar, was ihre Rolle in der Räumung sein würde, ich entschied mich zusammen mit meinem Buddy, mich nicht anzuketten oder festzukleben, sondern im Moment, in dem die Cops das Haus entern, mich zu ergeben, und auf freies Geleit zu hoffen. Der Großteil, vor allem mutige junge Genossinnen, würden sich oben auf dem Dachboden ankleben und in Lockons begeben (Rohr- und Kettenkonstruktionen, die es der Polizei sehr schwer machen, eine Gruppe Menschen zu bewegen). Wieder andere würden musizieren.
Gestern Abend fürchteten wir schon, geräumt zu werden, aber “die Paula” die größte verteidigte Struktur hielt die Polizei so lange auf, dass wir auf den Menüplan für den kommenden Tag gesetzt wurden. Heute morgen standen wir um 6 auf, um nicht von der Polizei überrascht zu werden. Dann begann das nervöse Warten, das wir mit ein paar laut und schlecht aus den Fenstern gesungenen Kampfliedern füllten: Bella Ciao. Den Rauchhaussong. El pueblo unido. Und den queeren Klassiker: I'm still standing :)
Gegen 11, wie gesagt, war es dann soweit. Eine überraschend gechillte Truppe Cops enterte das Haus, fand Antonio (Abre numa nova janela) und mich gechillt herumsitzend vor, und eine knappe Stunde später standen wir ohne ED-Behandlung, ohne Leibesvisite und Durchsuchung, ohne Strafanzeige auf der falsche Seite des Zauns. Uns geht es gut, mir geht es, i'm as happy an activist as I haven't been in years. Ein Journalist fragte mich, ob ich denn nun meinen Glauben wiedergefunden hätte. I don't know, ich muss noch verarbeiten, was hier passiert ist. Aber eines weiß ich: ich habe die Bewegung wiedergefunden, und ich glaube, sie hat mich wieder aufgenommen. So hat es sich zumindest angefühlt, und ich bin so unglaublich dankbar dafür. I'm home again (starts crying with relief and exhaustion).
Was mich zum Ende des Textes bringt: ich bin total durch, diese Räumung, darin stabil und ruhig zu bleiben, hat alle Kraft gebraucht, die mir die WG, meine Bezugsgruppe, die Bewegung gegeben haben. Ich muss für heute chillen. Weil morgen: morgen geht es darum, zu zeigen, dass die Klimabewegung mehr ist als “bloß” die 300 Lützerat Defenders. Dass wir zehntausende sind, und dass wir uns Lützerath auf keinen Fall wegnehmen lassen. Ich werde jetzt hier nicht öffentlich zu Straftaten aufrufen, vielmehr schlage ich ein Date vor: lass uns morgen auf der Wiese vor Eckhardts Hof im freien Lützerath treffen.
Bis morgen,
Euer Tadzio
(der gerade Greta Thunberg getroffen und gehugged hat :))))