Is jetz Klimakollaps – oder is nich Klimakollaps? Ein Vorschlag zur Güte
19.09.2024
Liebe Leute,
jetzt also doch hochoffizieller Klimakollaps, oder was? Heute morgen lese ich im Guardian folgendes: “'Überschwemmungen in Polen und Waldbrände in Portugal zeigen die Realität des Klimakollaps, sagt die EU'.” Und darum geht's heute: warum sagen manche, vor allem im politischen Feld, immer häufiger, dass der Klimakollaps (“climate breakdown” stand im Guardian) jetzt schon da ist (z.B. Guterres 2023: “climate breakdown has begun (Abre numa nova janela)”), während in der Klimawissenschaft die häufigste Position immer noch ist: “nein, wir können nicht mit Sicherheit sagen, dass der Klimakollaps hier ist”?
Zu lange Einleitung
Ich hatte diese Woche nicht so richtig viel Zeit, über nen Standalone-Text nachzudenken, weil ich immer aufgeregter bin über Das Buch (yes, mit groß geschriebenem bestimmten Artikel!), das irgendwann zwischen dem 7. und 11.10. in Eure Buchhandlungen kommen wird, und bis dahin wie gehabt u.a. hier (Abre numa nova janela) vorbestellt werden kann. Hier gibt es sogar schon gute Nachrichten: Eure Vorabnachfrage ist so groß, dass der Verlag schon die Erstauflage erhöht hat. Ein Riesendankeschön für Euer Interesse, keep 'em coming.
Ich weiß natürlich, dass Ihr es mir nicht übel genommen hättet, wenn heute kein Text gekommen wäre, aber erstens hätte ich es mir vielleicht übel genommen (Routinen sind für mich sehr wichtig, und die Routine, einmal pro Woche nen Text für Euch zu schreiben, hat mir in den letzten Jahren viel Halt gegeben), und zweitens ist es ja nicht so, dass ich nicht über Sachen nachdenke. Sie stehen halt nur alle in direkter Verbindung zum Buch, weil ich, ein Bisschen wie Frodo kurz vorm Schicksalsberg, vor meinen Augen nur noch Das Buch sehe (bei ihm war es Saurons Auge – one book to rule you all? ;)).
Und eine Frage, die mich in diesem Nachdenken über das Buch tatsächlich verunsichert hat, ist mein Verhältnis zur deutschen Klimawissenschaft. Dass ein Großteil der “klimapolitischen Debatte” sinnfreier Verdrängungsquatsch ist, das kann ich mit meinem Riesenego und tatsächlichem praktischen und akademischen Grounding in der Politik mit einigem Selbstbewusstsein genau so konstatieren. Ist ja auch einfach, angesichts all des Quatschs, der da erzählt wird. Dass aber ein Großteil der deutschen Klimawissenschaftler*innen Quatsch redet, wenn sie sagen – wie das eigentlich das gesamte PIK tut, die ich jetzt mal stellvertretend für die dt. Klimawissenschaft nehme – dass wir noch keinen Klimakollaps konstatieren können, dass wir “Doomer” in Wahrheit die neuen Klimaleugner*innen sein (diese peinliche Projektionsleistung kommt übrigens von Deutschlands Top-Klimawissenschaftler, Stefan Rahmstorf), das ist für einen Nichtnaturwissenschaftler natürlich etwas schwieriger gegen lauter Widerstände zu behaupten. Da werde dann sogar ich ein wenig verunsichert, wenn ich im Grunde sagen muss: “Hey, Ihr habt zwar diese ganzen Klimamodelle, auf die ich mich beziehe, selbst designed, jetzt bin ich aber der, der Euch sagt, dass Ihr die Klimasituation nicht mehr realistisch einschätzen könnt, weil Ihr halt verdrängt.”
Politische und naturwissenschaftliche Wahrheiten
Ok, Ihr seht, da ist nicht nur Verunsicherung, da ist auch Bitterkeit: von Rahmstorf als Leugner verleugnet zu werden, hat mich schon angefasst. Aber ich hab jetzt tatsächlich mal einen Vorschlag zur Güte, der von folgendem Gedanken ausgeht: politische Klimakollapsdiskurse unterscheiden sich von im engeren Sinne naturwissenschaftlichen nicht nur durch die geleistete emotionale, respektive Verdrängungsarbeit, wie ich bisher vorgeschlagen habe (dazu gleich mehr), sondern durch die interne Logik der Felder, in denen sie artikuliert werden.
Erstens müssen Naturwissenschaftler*innen intellektuell hypervorsichtig vorgehen, jedes Statement muss mehrfach abgesichert sein, die Datenreihen lang genug, um valide Schlussfolgerungen hergeben zu können. Wenn noch nicht genug Daten existieren, sind naturwissenschaftliche Aussagen notwendigerweise nicht absolut, weil ja immer noch Unsicherheit da ist, und wer diese Unsicherheit als Wissenschaftler*in nicht kommuniziert, bricht die Kommunikationsregeln des naturwissenschaftlichen Feldes.
“Political leaders” (die ich jetzt mal von Standardpolitiker*innen unterscheide – weil “leadership” ≠ management) dagegen müssen Unsicherheit akzeptieren und trotzdem entscheiden können, unter anderem, weil die empirische Bestätigung einer vorwärtsweisenden politischen Aussage oft nicht im Moment ihrer Artikulation möglich ist, sondern erst, wenn die Dinge passiert, oder nicht passiert sind, vor denen gewarnt, oder die versprochen wurden. Zum Beispiel war „wir schaffen das!“ keine zu dem Zeitpunkt überprüfbare Aussage, denn sie bezog sich ja auf zukünftiges, und sogar im Nachhinein ist unklar, verschiebt sich die wahre Antwort auf die Frage jeden Tag: haben wir es geschafft? Sieht im Moment eher nicht danach aus, aber ob Merkel damals Recht hatte, wird unter anderem auch am Sonntag bei den Landtagswahlen in Brandenburg entschieden. Aussagen über den „Klimakollaps“ wollen dringend zur Handlung anleiten, und das wird nicht gerade leichter, wenn ich ständig Caveats einbaue, sage „aber wir wissen nicht 100%ig, ob das so eintreten wird.“
Wir können also schonmal festhalten, dass es gar manchmal nicht so einfach ist, politische und naturwissenschaftliche Wahrheiten miteinander ins Verhältnis zu setzen, weil ihre Artikulation unterschiedlichen Regeln folgt. Stellt Euch ein Gespräch vor, in dem die beiden Gesprächspartner*innen zwar die selben Worte, aber völlig unterschiedliche Grammatik benutzen: „Komm, wir essen, Opa“, vs. „Komm, wir essen Opa“. Das kann schwierig werden.
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Ex post vs. ex ante
Zweitens kommt dazu, dass naturwissenschaftliche Aussagen sich sogar dann ausschließlich aus der Vergangenheit speisen, wenn sie sich auf die Zukunft beziehen: da naturwissenschaftliche Aussagen immer belegbar sein müssen, brauchen sie Belege. Woher kommen die Belege? Aus der Vergangenheit, im besten Fall der Gegenwart, aber nie aus der Zukunft, aus gegebenem Anlass: Zukünftiges ist noch nicht geschehen.
Politische Aussagen dagegen speisen sich sogar dann aus der Zukunft, wenn sie sich auf die Vergangenheit beziehen: wenn wir zum Beispiel die Geschichte des deutschen Faschismus kontrovers diskutieren, wenn Rechte einen „Schlussstrich“ fordern, wenn Gauland vom „Vogelschiss“ redet, geht es mehr um die Zukunft, als um die Vergangenheit: der geforderte „Schlussstrich“ unter die Vergangenheit ist eigentlich ein diskursiver Move, der den Faschos die Zukunft noch weiter eröffnen soll. Wenn der legendäre schwule Aktivist und Politiker Harvey Milk schwule Männer überall aufforderte, sich zu „outen“, weil dann ganz viele gute Dinge passieren würden, hatte er keine Daten, hätte er gar keine haben können, ob es wirklich stimmt, dass bei einem schwulen Massenouting in der 70er-Jahre-Gesellschaft der USA so vieles Gutes passieren würde. Er sprach einen politischen Satz, um dessen Wahrheit wir immer noch, jeden Tag ringen.
In diesem Sinne können, dürfen politische und „naturwissenschaftliche“ Aussagen über den Klimakollaps überhaupt nie völlig deckungsgleich sein, so gerne viele Klimabürgis und Sozialwissenschaftler*innen mit diesem häufigen Penisneid auf die Exaktheit der Naturwissenschaften das auch hätten (übrigens auch nur ne fetischistische Übersprungshoffnung in ner zunehmend unsicheren Welt ;)).
Bitchiger Schluss
Puuuh, das war jetzt aber viel gutes Wetter: let's be clear, das hier gedachte ändert nicht meine Position, derentsprechend fast die gesamte deutsche Klimawissenschaft vollkommen verdrängt, was die notwendigen Implikationen ihrer eigenen Erkenntnisse sind, jetzt habe ich aber ein etwas besseres Verständnis, warum: nicht nur, weil sie gutverdienende Zentrist*innen sind, die nur ungern ihren eigenen Status Quo in frage stellen, sondern auch, weil sie immer noch nicht zu verstanden haben scheinen, dass wir es in der Klimadebatte eben gerade nicht mehr mit einem naturwissenschaftlichen, sondern einem politischen, mittlerweile sogar einem „popularen“ (in der breiten Öffentlichkeit geführten) Diskursfeld aufhalten, in dem nicht absolute Beweisbarkeit zählt, sondern emotionale Resonanz. Und die emotionale Resonanz, die die immer wieder zu vorsichtigen, eben *naturwissenschaflichen“ Statements aus Potsdam produzieren, ist halt die mit dem „ist doch noch nicht so schlimm, also müssen wir immer noch nicht so viel ändern“-Affekt. Wenn sie ne andere Resonanz produzieren wollen, müssten sie anderes sagen. Wir es eben manche von uns im politischen Feld versuchen.
Um das zu verstehen, müsste die Naturwissenschaft aber ihre Sozialwissenschaftsferne aufgeben, und verstehen, dass sich die Welt schon geändert hat. Und genau darum, dass das nicht allzu sehr passiert, geht es in Verdrängungsdiskursen ja.
Also wieder fast alles beim Alten ;)
Euer Tadzio