„Freital, die Stadt meiner schlaflosen Nächte“
Zwei Freitaler Rapper und ein DJ über das, was sie an ihrer Stadt vermissen – und warum sie Freital trotzdem lieben
DJ Chris, Danjo Noyze und Lil` Reen in ihrer Stadt.
Vor gut zwölf Jahren schrieben Danjo Noyze und Lil` Reen als „Dee Zwy“ (sprich: Die Zwei) einen Song über ihre Stadt (Abre numa nova janela). Aufgewachsen sind sie in den Blöcken von Zauckerode. Die Zeilen ihres Songs sind so gerade wie die Plattenbauten hier. Und so ehrlich.
„Läufst du durch meine Stadt, willst du wieder gehen. / Kommst du in meine Stadt: hier gibt`s nix zu sehen.“
Danjo Noyze und Lil` Reen wohnen noch immer in Zauckerode. Oder wieder. Ganz bürgerlich, als Daniel Spörke und René Geißler. Väter, 41 und 44 Jahre alt mittlerweile. Rapper sind sie noch immer. Ob ihr Freital-Song zu hart mit der Stadt ins Gericht ging? „Die gleiche Meinung vertreten wir heute noch“, sagt Lil` Reen. „Heute vielleicht noch ein Stück krasser.“
„Keine Party, okay, die Windberg-Arena war nicht immer voll. / Aber das ist kein Grund, dass sie jetzt geschlossen werden soll.“
Seit 2015 ist sie abgerissen. Die ehemalige Halle des Plastmaschinenwerkes mit ihren Ziegelwänden und Eisenträgern: Nur noch ein Ort der Erinnerungen. Großer Erinnerungen. „Wenn dort Konzerte waren, war Freital voll. Bis hoch nach Weißig haben die Autos geparkt“, erzählt der DJ Christian Piening, der dort einst zur Video-Disco auflegte.
Lil` Reen war Resident-DJ. „Die Stahlträger und die Kräne an der Decke und dazu die elektronische Musik – das passte“, sagt Danjo Noyze. Außerdem spielten die Puhdys auf, Helene Fischer in jungen Jahren, oder Knorkator.
Am Ende war die Halle zu marode, und der Stadt fehlte das Geld. „Man hätte wenigstens die Lounge der Windberg-Arena in einem Flachbau nebenan erhalten sollen, das war eine wunderschöne Location und für Partys absolut ausreichend“, meint Lil` Reen. „Der Abriss war falsch. Weil die Arena für die Stadt auch viel Werbung eingebracht hat.“
„Hast du`s einmal mitgemacht, weißt du, was ich mein. / Die allergrößten Partys steigen hier im Altersheim.“
Lil`Reen schaut die Dresdner Straße hinunter Richtung Capitol. Das war mal Kino, dann Disco. „Und jetzt gehen die, die damals hier feiern waren, da drin zur Physiotherapie.“ Die ist jetzt drin im Capitol, alles sehr weiß.
Lil` Reen, Danjo Noyze und DJ Chris sehen das Freital ihrer Jugend vor sich: Freitagabend im „Mellys“, das „Klimbim“ im Sächsischen Wolf, Partys im „Eisenhammer“, Kohlenstaub rieselte von der Decke bei den Bässen. Alles Vergangenheit.
„Die Leute sind irgendwie eingeschlafen“, sagt Lil` Reen. „Die meisten haben sich wahrscheinlich damit abgefunden, dass hier nichts mehr geht. Dann gehen sie vielleicht lieber in den Garten.“
Früher Kino, dann Disco - jetzt Physio: Das Capitol.
„Freital, die Stadt meiner schlaflosen Nächte. / Ich denke nicht oft drüber nach, nein, Mann, ich kämpfe / meist mit mir selbst. Und frag mich, was mich hier hält.“
Auf Arbeit, im Lärm und mit Ohrenstöpseln hat Danjo Noyze sich das Beatboxing beigebracht. Elektronische Musik ohne Elektronik, nur mit dem Mund. In der Windberg-Arena ist er damit aufgetreten, in Clubs. Im Freitaler Mehrgenerationenhaus „Regenbogen“ hat er einen Workshop für Jugendliche angeboten. „Schon beim zweiten Mal kam keiner mehr.“
„Wenn du in Freital was ausprobierst, sind nach dem dritten Mal nur noch drei Leute da“, sagt auch DJ Chris. Er legt mit seiner Flashlight-Disco in der Stadt fast nur noch auf privaten Feiern auf, hat tausend Ideen, sogar eigene Räucherkerzen entwickel (Abre numa nova janela)t (Motto: „Musik an – Duft raus“), für die er mit Danjo Noyze, Lil` Reen und der Freitaler Sängerin Sunny jetzt ein Rap-Video produziert.
„Es ist schwer, in Freital was ins Leben zu rufen“, sagt DJ Chris.
„Eine Stadt, erbaut unter Schweiß und Qual, eine Stadt, erbaut in einem Tal. / Eine Stadt, in der Freunde und Familie wohnen. Eine Stadt, in der es sich für mich zu leben lohnt.“
Lil` Reen hat einen Teil seiner Kindheit in der Nähe des Stahlwerks gewohnt. „Da musstest du die Wäsche reinholen, wenn sie die braune Wolke abgelassen haben.“ Rußig und braun war manches in Freital. Zu recht, zu unrecht. Nach den Protesten gegen die Unterbringung von Asylbewerbern 2015 wurde die Stadt zur Chiffre.
„Als Freital als braunste Stadt Deutschlands in den großen Medien war, da habe ich gedacht: Ihr müsst mal herkommen und sehen, was für freundliche Leute hier auch wohnen“, sagt Danjo Noyze, der Rapper aus Zauckerode. Einst gab es viele Konflikte mit Russlanddeutschen in seinem Viertel. Einen der gefürchtetsten Jungen traf er später beim Breakdance wieder. Sie maßen sich bei einem Battle, dann war die Sache entspannt. Auch das ist Freital.
„Eine Stadt, auf die ich all meine Hoffnung bau. / Eine Stadt, in der ich vorwärts in die Zukunft schau`.“
„Ich habe nie drüber nachgedacht wegzugehen“, sagt Lil` Reen. Hier sind die Freunde, hier ist die Familie. „Auch wenn ich manchmal denke: Wenn meine Tochter mal eine Jugendliche ist, soll sie hier was erleben können und dafür nicht extra nach Dresden fahren müssen.“
Die Hoffnung? Die wieder eröffneten Ballsäle in Coßmannsdorf könnten was werden, sagt Lil` Reen. Die KuTa-Lounge der der Kultur- und Tanzwerkstatt bietet mitunter Feines, nicht nur zum Stadtfest. Und noch gibt es Macher wie Uwe Jonas und Künstler wie Whysker in Freital. „Ja, und man hat immernoch die Hoffnung, dass für das neue Stadtzentrum etwas Schönes entsteht“, sagt Lil` Reen. „Dass vielleicht auch für die Jugend etwas integriert wird.“ Er späht hinüber Richtung Bauzäune. Dahinter blüht seit Jahren die Brache.
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Aber klar: Auch Rapper und DJs werden älter. Werden Väter. Und dann ändert sich auch der Blick auf die eigene Stadt. Spielplätze findet man dann zum Beispiel interessant. „Die Stadt altert mit uns mit“, sagt Lil` Reen. Aber sie altert offenbar ganz gut.
Danjo Noyze denkt an das dunkle Industrietal seiner Kindheit. Und dann blickt er in das Grün des Windbergparks. „Das ist schon krass, wie sich das alles entwickelt hat – eigentlich auch zum Schönen.“
Dann können auch alte Bierflaschen, Glassplitter und Kippen Rapper empören. Weil es schön bleiben soll in ihrer Stadt, auch wenn sie für Clubs und Party-Locations weiter fahren müssen. Eine Fortsetzung ihres Freital-Raps ist in Arbeit, sagt Lil` Reen. Der wird ehrlich bleiben. „Aber erwachsener.“
Andreas Roth
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