Digital Tutorial Nr. 5 – Der Bluesky-Guide
Ein Eule-Newsletter von Philipp Greifenstein
Jetzt ist die Zeit!
Vor einem Jahr hat Die Eule X verlassen, die Mikroblogging-Plattform formerly known as Twitter. Das ist uns damals nicht leicht gefallen, denn im Vergleich zu sehr viel größeren (konfessionellen) Medien haben wir mit unserem Magazin auf Twitter seit 2017 doch immer wieder große Reichweiten erzielt. Doch zu welchem Preis? Vor einem Jahr schrieben wir (Abre numa nova janela):
Gegen Hass und Hetze Gegenrede zu üben, bleibt auf Social-Media-Plattformen wichtig. Auf X aber erscheint uns dieses ehrenwerte Anliegen aussichtslos. Die Reichweiten für kritischen Journalismus werden eingeschränkt, Sicherheitsmechanismen sind außer Kraft gesetzt, Schwache und Minderheiten geraten unter die Räder. All das wird sich nicht ändern, trotz einiger Atempausen zwischen den skandalösen Äußerungen Elon Musks. Eine Plattform, die von einem antisemitischen Verschwörungsideologen geführt wird, wollen wir nicht weiter durch unsere Anwesenheit beehren.
Seitdem ist auf X viel mehr noch Schlechtes passiert und nichts hat sich zum Besseren gekehrt. Elon Musks Hetze hat die Riots in Großbritannien befeuert und den Wahlkampf in den USA negativ beeinflusst. LGBTQI+ und People of Color sind alltäglicher Hetze ausgesetzt, die Content-Moderation wurde gänzlich aufgegeben. Doch in diesem Newsletter soll es gar nicht darum gehen, warum ein Abschied von X dringend geboten ist. Das setze ich einmal voraus.
Nicht zuletzt haben viele, viele Menschen X schon längst den Rücken gekehrt. Ihre Accounts liegen schlummernd da. Die App wird nur gelegentlich mal angetippt, um zu schauen, was sich nun schon wieder Schreckliches ereignet hat. Doch zu den Alternativen Bluesky, Mastodon und Threads haben längst nicht alle ehemaligen Twitter-Bewohner:innen gefunden. Eine Zeit lang sah es so aus, als ob es für das alte Twitter keinen adäquaten Ersatz geben wird. Darüber habe ich in der Eule bereits im vergangenen Herbst hier (Abre numa nova janela) & hier (Abre numa nova janela) geschrieben.
Das sieht jetzt anders aus! Sowohl auf Mastodon als auch auf Threads kann man unter Umständen ganz gut digital leben. In den letzten Wochen ist allerdings deutlich geworden, dass unter den Twitter-Nachfolgern Bluesky diejenige Plattform ist, die vom Funktionsumfang, Handling und Feeling am stärksten dem entspricht, was in den 2010er Jahren und noch während der Corona-Pandemie viele Menschen an Twitter begeistert hat.
Darum hier ein kurzer Bluesky-Guide mit 5 Schlagwörtern für alle, die jetzt rübermachen wollen:
1. Dein Bluesky-Account
Sich bei der App anzumelden ist kostenlos, easy und anders als bei Threads, das an Instagram angedockt ist, mit keinen weiteren Verpflichtungen oder Mitgliedschaften verbunden. Das Onboarding wurde in den vergangenen Monaten erheblich vereinfacht und ist demjenigen von Twitter nachempfunden. Nach dem Einloggen muss man schon ganz ordentlich blinzeln, denn die App sieht im Grunde so aus, wie Twitter noch vor kurzem ausgeschaut hat.
Bevor Du nun vielen Accounts folgst, fülle am besten dein Profil aus und poste schon ein, zwei öffentliche Nachrichten. Die nennt man auf Bluesky übrigens Posts oder Skeets. Wenn auf deinem Account schon ein bisschen was los ist, folgen dir andere Nutzer:innen lieber zurück. Du kannst auf Bluesky anonym unterwegs sein, was gerade für vulnerable Gruppen wichtig ist. Aber es ist auch möglich, deinen Account mit deiner Domain zu verifizieren, was wichtig für Institutionen und öffentlich wirksame Personen ist.
In den Einstellungen kannst Du die Inhalte, die dir angezeigt werden, ganz gut steuern (z.B. explizite Darstellungen vermeiden, wenn gewünscht). Außerdem kannst Du dort einstellen, dass Du beim Posten eines Bildes automatisch daran erinnert wirst, eine Bildbeschreibung zu hinterlegen. Sehr praktisch! Auf Bluesky gehören Bildbeschreibungen zum guten Ton.
Man kann Bluesky ganz gut am Desktop nutzen und die App ist schlank und elegant. Manchmal hakt es wegen der enorm steigenden Serverzugriffe ein bisschen beim Aktualisieren der Feeds, dann ist ein wenig Geduld angesagt. Trotz der massiven Nutzer:innenzuwächse läuft die Plattform aber erstaunlich stabil.
(Kleiner Tipp: Ersetze doch den Slot auf deinem Smartphone, der bisher X vorbehalten war, einfach mit der Bluesky-App. Dann verirrst Du dich nicht wieder in Elons Hölle.)
2. Institutionen-Accounts
Wie das alte Twitter eignet sich Bluesky zunehmend auch für Accounts von Organisationen, Unternehmen, Kirchen und Vereinen! Eine Menge von Influencer:innen, Meinungsmacher:innen, Journalist:innen und Multiplikator:innen ist inzwischen an Bord. Ich würde meinen: die critical mass ist überschritten. Jetzt ist wirklich der beste Zeitpunkt für die Öffentlichkeitsarbeit von Kirchen und Institutionen sowie Medien und Medienschaffende den Sprung auf Bluesky zu wagen.
Das Posten neuer Inhalte kann leicht automatisiert werden, aber natürlich ist es – wie schon #damals auf Twitter – essenziell, in den direkten, persönlichen Austausch mit Leser:innen und Follower:innen zu treten. Auch Bluesky ist keine Halde, auf die man Inhalte einfach so abkippen kann (Abre numa nova janela)!
Good News: Anders als auf den Plattformen des Meta-Konzerns und bei X werden Posts mit Links nicht vom Algorithmus abgewertet oder Nutzer:innen von der Plattform-Architektur aktiv daran gehindert, Inhalte auf externen Websites zu konsumieren. Wer auf spannende Blogs, Magazine, Videos etc. verlinken will, hat in Bluesky einen Partner. Laut den Entwickler:innen soll das auch bis in alle Ewigkeit so bleiben. Bluesky ist also gut für Nachrichten!
Neben der Eule sind auch katholisch.de und viele nicht-konfessionelle deutschsprachige und internationale Medien inzwischen an Bord. Mir persönlich dient mein Feed schon wieder ganz gut als Nachrichtenaggregator.
3. Algorithmus nur wenn Du es willst
Die Standardtimeline (TL) der Bluesky-App ist ein reiner social graph (Abre numa nova janela), d.h. die TL wird nicht algorithmisch bespielt, sondern enthält chronologisch die Beiträge jener Accounts, denen Du folgst. Herrlich!
Bluesky ist damit unter den Twitter-Nachfolgern auch das einzige wirkliche Echtzeit-Netzwerk, auf dem man an aktuellen Nachrichtenlagen und Debatten dranbleiben kann.
Sollte es Dir im chronologischen Feed doch zu langweilig werden, stehen aber mehrere Feeds zur Verfügung, die mit einem Tippser zu erreichen sind (u.a. Discover, Popular with Friends). Anders als auf Threads und X muss man aber nicht immer wieder umständlich zum chronologischen Feed zurückkehren. Außerdem kann man selbst Feeds anlegen oder sich bei hunderten gut kuratierter Feeds bedienen. Für die Kirchenbubble hat @haecksesarah.de zum Beispiel einen Theobubble-Feed (Abre numa nova janela) angelegt.
Für das Weiterverbreiten von Inhalten ist dank der Betonung des social graph auf Bluesky die Repost-Funktion zentral („Erneut veröffentlichen“, vulg. Reskeet). Nur weil ein Skeet geliked wird, bekommen ihn nicht automatisch viel mehr Menschen zu Gesicht. Auch Engagement-Bait wie auf Threads (Abre numa nova janela), durch den Missbrauch der Antwort-Funktion, ist eher eine Ausnahme. Die user experience entspricht sehr dem Twitter der Mitte der 2010er Jahre, als noch deutlich weniger algorithmisch gesteuert wurde und User:innen sich Reichweite noch nicht kaufen konnten.
Achso, und Werbung gibt’s auf der Plattform auch (noch) nicht. Langfristig werden die Entwickler:innen der Plattform dafür aber bestimmt Möglichkeiten schaffen, denn irgendwie muss sich Bluesky ja refinanzieren. Einen Werbe-Wust an Falschmeldungen und KI-Schrott (Abre numa nova janela) wie auf Facebook und X gibt’s jedenfalls jetzt und in absehbarer Zeit auf Bluesky nicht.
4. Community-Building
Auch hierzu gibt’s wieder gute Nachrichten: Viele Leute aus den alten Twitter-Bubbles sind bereits auf Bluesky bzw. haben in den vergangenen Monaten schon mal die Zehen ins frische Wasser gehalten und sich einen Account angelegt. Zuletzt gab es vor allem Wellen von Neuanmeldungen aus Großbritannien, den USA und Österreich. Die deutschsprachige Nutzer:innenschaft ist vielfältig und aktiv (anders als auf X und Mastodon) und klug und nicht vom Influencer-Virus infiziert (wie auf Threads).
In drei Starter Packs – das sind Listen von Accounts, denen man auf einen Schlag folgen kann – habe ich Kirchenbubble / Churchies (Abre numa nova janela), Theologie (Abre numa nova janela) und Kirchen- und Religionsjournalismus (Abre numa nova janela) zusammengefasst. Wenn Du auf Bluesky anfängst, findest Du mit den Starter Packs gut in die Kirchen- und Religionslandschaft hinein. Gerne nehme ich auch neue Accounts in die Starter Packs auf!
Weil Bluesky über viele Monate hinweg nur mit Einladungen funktioniert hat, gibt es auf der Plattform nach wie vor eine Vorstellungskultur. Neulinge werden gerne willkommen geheißen und ein bisschen an die Hand genommen, aber in aller Regel nicht so intensiv über das vermeintlich richtige Verhalten auf der Plattform belehrt, wie das manchmal auf Mastodon der Fall war / ist.
5. Lohnt sich Bluesky?
Die aktuell wichtige Frage ist nicht mehr, ob ein Wechsel von X zu Bluesky angeraten ist. Diese Frage beantworten im Moment gut 1 Million Menschen täglich überall auf der Welt, indem sie zu Bluesky umziehen. Die wichtige Frage ist: Lohnt sich Bluesky für Akteur:innen von #digitaleKirche, aus Zivilgesellschaft, Politik, Kirchen und (Kirchen-)Medien?
Meine Antwort lautet: Ja.
Empfehlungen
Eule-Podcast (34): Kann KI predigen? (Abre numa nova janela)
Im „Eule-Podcast“ spricht Host Michael Greder mit Professor Alexander Deeg von der Universität Leipzig über den Einsatz von „KI“ (sog. Künstliche Intelligenz) beim Vorbereiten und Gestalten von Gottesdiensten und Predigten. Deeg hatte im vergangenen Jahr den „KI“-Gottesdienst auf dem Kirchentag in Nürnberg von Jonas Simmerlein kräftig kritisiert. Ein spannendes Gespräch über die bleibende Bedeutung des Menschen im Gottesdienst und die Schönheit von Sprache. Und in den Shownotes finden sich weitere interessante Beiträge.
Reform des DSG-EKD beschlossen (Artikel 91) (Abre numa nova janela)
Auf seinem Datenschutz-Blog Artikel 91 (s. letzte Ausgabe des „Digital Tutorial“ (Abre numa nova janela)) hat Felix Neumann vor ein paar Wochen schon das neue Datenschutzgesetz der Evangelischen Kirche geleaked und analysiert. Im verlinkten Beitrag fasst er die wichtigsten Neuerungen jetzt noch einmal zusammen, nachdem die EKD-Synode die Novelle des DSG-EKD Mitte letzter Woche beschlossen hat. Mein Eindruck: Gute Nachrichten für die Endverbraucher:innen!
Bluesky brings the fun, weird vibes of old Twitter back to life (VOX) (Abre numa nova janela)
Adam Clark Estes and Aja Romano schreiben auf Englisch bei VOX über den aktuellen Bluesky-Trend. In ihrem Artikel finden sich auch noch mal gute Gründe für den Wechsel von X weg ausführlich dargestellt.
Das war die zweite Ausgabe des „Digital Tutorial“ seit dem Neustart im Oktober 2024. Ich hoffe, ich sehe bald viele Newsletter-Leser:innen auf Bluesky! Ihr findet mich dort unter dem bekannten Handle @rockToamna (Abre numa nova janela) und natürlich freut sich auch Die Eule auf Bluesky (Abre numa nova janela) über neue Follower:innen!
Bis zur Dezember-Ausgabe!
Philipp Greifenstein
PS: Das „Digital Tutorial“ und die ganze Eule werden von den Leser:innen selbst ermöglicht! Die Eule ist ein unabhängiges Magazin und erhält keine Unterstützung von Kirchen oder Religionsgemeinschaften. Werde Eule-Abonnent:in! (Abre numa nova janela) Schon ab 3 € im Monat bist Du dabei.