Unser strategisches Problem heißt Letzte Generation
Die Klimagerechtigkeitsbewegung hat ein strategisches Problem, das über die Frage nach Aktionsformen hinausgeht. Das größte Problem der Bewegung, die aktuell versucht, sich neu zu organisieren, Allianzen zu schmieden und wieder schlagkräftiger zu werden, lauert in den eigenen Reihen und ist deshalb besonders lähmend und gefährlich: die Letzte Generation.
Es geht nicht um die Aktionsform des Zivilen Ungehorsams, dieser ist unbedingt nötig und sollte sogar verstärkt werden. Auch an der bewegungsweiten Solidarisierung mit der Letzten Generation an sich ist nichts auszusetzen angesichts der massiven Repressionswellen, die auf die Aktivist*innen einschlagen.
Der Letzten Generation ist Respekt zu zollen für das Durchhaltevermögen, das sie an den Tag legt und die Beharrlichkeit ihrer Aktionen. Es kann ebenfalls nicht geleugnet werden, dass es aktuell nur die Letzte Generation ist, die medial wahrgenommen wird, die für Reaktionen und Emotionen sorgt und die diverse Aspekte im großen Themenfeld von Klimakatastrophe und Klimaschutz in der Diskussion hält.
Trotzdem ist die Letzte Generation ein Problem für die Bewegung mit massivem Einfluss auf Strategien und darüber muss geredet werden. Die Letzte Generation wird nur mit einer Aktionsform wahrgenommen - der Blockade von Autofahrer*innen. Vielen ist nicht bewusst, dass es ebenso Aktionen gegen Superreiche und einzelne Firmen gab und das Pipelines abgedreht wurden. Während solche Aktionen wichtig und richtig sind, aber auch aufgrund fehlender oder mangelhafter Pressearbeit kaum sichtbar werden, fokussiert sich alles auf die Straßenblockaden und die negativen Auswirkungen sind für die Bewegung als Ganzes ein wachsendes Problem.
Innerhalb der Bewegung haben alle Akteur*innen ähnliche Probleme im Bereich Mobilisierung und eigener Wirkmacht. Der Aufwand, der notwendig ist, um ähnliche Aktionen zu wiederholen, ist riesig, es werden kaum neue Menschen erreicht, Aktivist*innen ziehen sich aufgrund von Repressionen, Enttäuschungen, burn-out und Ermüdungserscheinungen zurück, Aktionen werden von Konzernen wie RWE inzwischen eingepreist und erzielen somit kaum Wirkung. Das alles frustriert, lähmt und wirft mehr und mehr die Frage auf: „was jetzt?“. Klar ist, dass es mehr zivilen Ungehorsam braucht, dass wir mehr stören müssen und unsere Aktionen Kosten verursachen müssen bei denen, die für das Eskalieren der Klimakatastrophe verantwortlich sind. Während sich also Bewegungsakteur*innen ungeachtet ihrer Unterschiede in Bezug auf einzelne Fragen (Systemfrage?, Aktionsform usw.) zusammensetzen, diskutieren, Allianzen schmieden, um gemeinsam stärker zu werden, wird in Gesprächen, Analysen und Diskussionen immer klarer, dass die Letzte Generation ein großes Problem darstellt, was wir bei all unseren Strategieüberlegungen einbeziehen müssen.
Es ist nicht zu leugnen, dass aufgrund der Aktionen der Letzten Generation die Repressionsspirale dramatisch an Fahrt aufgenommen hat, es gibt inzwischen unzählige Verfahren, Verurteilungen, Gesetzesverschärfungen und Angriffe auf Klimaaktivist*innen, die eindeutig auf die Letzte Generation zurückzuführen sind. Gerade erst hat NRW eine neue Gebührenordnung erlassen, die eine Strafe bis zu 50.000 € vorsieht, wenn Klimaaktivist*innen durch die Polizei von der Straße getragen werden müssen, geregelt in einem Paragraphen, der extra für sogenannte „Klima-Kleber“ neu aufgenommen wurde (vgl.: https://ga.de/news/nrw/gebuehren-fuer-einsaetze-wegen-klima-klebern-oder-influencern_aid-95490385 (Abre numa nova janela)). Bereits die Formulierung „Klima-Kleber“ verdeutlicht das Problem: es wird nicht mehr unterschieden zwischen einzelnen Akteur*innen und deren Aktionen, wir sind jetzt alle „Klima-Kleber“ und schon allein deshalb auf der Straße quasi für Angriffe frei gegeben und seitens des Repressionsapparates vorverurteilt. Durch viele Jahre Arbeit seitens der Besetzung im Hambacher Wald, durch Ende Gelände und andere Waldbesetzungen gab es eine gewisse Legitimität für zivilen Ungehorsam. Aktivist*innen von Ende Gelände sahen sich bisher kaum mit Gerichtsverhandlungen, geschweige denn mit Verurteilungen konfrontiert, Waldbesetzer*innen wurden nicht körperlich attackiert. Es gelang, zu vermitteln, warum wir tun, was wir tun. Durch diese Arbeit, sowie durch das kluge Auswählen von Zielen und Orten des Widerstandes schufen wir gemeinsam einen gewissen Spielraum, ein Stück weit Akzeptanz und machten es nachvollziehbar, warum wir blockierten und andere Formen des zivilen Ungehorsams wählten. Das war ein langer, mühevoller und arbeitsintensiver Prozess, der für Legitimation zivilen Ungehorsams sorgte. Die Letzte Generation hat innerhalb eines Jahres dafür gesorgt, dass die Klimagerechtigkeitsbewegung ein massives Problem damit hat, die Legitimität ihrer Aktionen nach außen sichtbar zu machen, weil niemand mehr zuhört und differenziert. In kürzester Zeit wurden die Ergebnisse jahrelanger Arbeit zunichte gemacht und das während die Klimakatastrophe eskaliert, es einen fossilen roll-back und lock-in unfassbaren Ausmaßes gibt und rechte, faschistische Ideologien und Narrative auf dem Vormarsch sind.
Unsere Analyse der aktuellen Situation lässt eigentlich für alle Gruppen und Organisationen der Klimagerechtigkeitsbewegung nur einen Schluss zu: es braucht einen radikalen Flügel der Bewegung, es braucht die Einbindung dieses Flügels in die Bewegung als Ganzes, es braucht massiven zivilen Ungehorsam und ja, es braucht auch friedliche Sabotage. Doch während wir darüber diskutieren, Strategien und Narrative ausarbeiten und Wege finden wollen, sorgt die Letzte Generation weiterhin ungeachtet jeder Kritik auch aus der eigenen Bewegung dafür, dass es uns nicht mehr gelingen kann, legitim zu handeln in den Augen der Öffentlichkeit, dass wir dadurch jeglichen „Schutz“ verlieren und im Brennpunkt gravierender Repressionen stehen (werden). Die Letzte Generation schwächt die Bewegung, denn statt Tausenden von Aktivist*innen an ganz unterschiedlichen Orten der Klimakatastrophe mit entsprechenden Auswirkungen auf das „weiter so“ der Verdrängungsgesellschaft, Politik und Konzerne sind es z.B. eben nur „100 für Bayern“, die in Aktionen des zivilen Ungehorsams gehen, ohne dass es ihnen gelingt, ihre Argumente und Ziele zu vermitteln. Die Letzte Generation lähmt die Bewegung, denn obwohl wir eigentlich erkannt haben, wohin die Reise gehen muss, können wir nicht oder nur sehr eingeschränkt agieren, denn natürlich müssen wir verantwortungsvoll handeln und die drohenden Repressionen für die Menschen, die wir in Aktionen schicken, berücksichtigen. Die Letzte Generation schwächt die Bewegung. Nicht, weil vermeintlich die Zustimmung für Klimaschutz sinkt, das hat durchaus andere klar zu benennende Ursachen. Sie schwächt die Bewegung, weil sie uns die Handlungsfähigkeit nimmt und uns den Weg verbaut oder zumindest erschwert, der sich aus unseren Analysen zwingend ergibt.
Es ist weiterhin problematisch, dass es kaum zu wirklichen Diskussionen und argumentativem Austausch mit der Letzten Generation kommt. Auf Klimacamps, in Austausch- und Vernetzungsforen trifft man zwar immer wieder auf Mitglieder*innen und Aktive der Letzten Generation, die einander beinahe wortwörtlich spiegeln und die Agenda der Letzten Generation vermitteln wollen. Aber der Austausch endet immer wieder am gleichen Punkt: „Schade, dass niemand aus unserem Strategie- und Orgateam hier ist.“ Ja, das finden wir auch! Kritik wird nicht verarbeitet und in eigene Prozesse eingebunden, die eigene Strategie nicht aufgrund dieser Kritik überdacht und angepasst. Das ist schon allein aufgrund der Organisierung der Letzten Generation kaum möglich. Diejenigen, die die Entscheidungen treffen, sind kaum greifbar für uns. Wir, als Aktivist*innen anderen Gruppen und Organisationen stehen immer wieder denen gegenüber, die für die Letzte Generation in Aktion gehen, aber kaum denen, die im Hintergrund die strategischen Entscheidungen treffen. Es bleibt für uns völlig unklar, ob es innerhalb der Letzten Generation eine feedback-Schleife gibt, einen Ort, an dem alle, die in dieser Gruppe organisiert sind, zusammenkommen und in den Austausch gehen, um eigene Aktionen und Strategien zu überdenken und anzupassen. In der Außenwirkung sieht es für uns als Bewegung nicht so aus.
Natürlich sind wir ausnahmslos solidarisch, wenn es darum geht zusammenzustehen, wenn Repressionen treffen, aber unsere Kritik wird in dem Maße lauter, wie unsere Probleme durch die Letzte Generation verstärkt werden und ihrerseits jegliche Solidarität verweigert wird.