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Die Stimme der Schwestern

Über die indigene Gruppe der Sami 

Anna-Marja Persson ist in Sápmi zu Hause. Das Land der indigenen Bevölkerungsgruppe der Sam*innen erstreckt sich über die Grenzen Schwedens, Norwegens, Finnlands und Russlands. Seit 2020 betreibt sie einen Podcast, der Frauen zu Wort kommen lässt und über Probleme in der Community aufklärt. Wir haben ihr einen Besuch abgestattet.

Von Regine Glaß, Östersund

Anna-Marja Persson hat eine Ledertasche bei sich, darauf aufgenäht ist eine silberne Platte mit Flechtmuster. Über ihre Jeansjacke ist ein Tuch über der Brust zusammengebunden. Auf den ersten Blick ist die Kleidung nicht auffällig, doch diese Accessoires trägt die 39-Jährige bewusst: Das Tuch ist auf traditionell samische Art gebunden, das Muster soll an die samische Handwerkskunst des Flechtens erinnern. Denn Persson kommt aus Hosjöbottnarna in Oviksfjällen, einem Dorf im schwedischen Teil von Sápmi. 

Obwohl sie heute mit ihrem Partner in einem Sami-Dorf in Norwegen lebt, besucht sie regelmäßig ihre Familie und deren Rentierherde in Schweden. Nach Norwegen ist Schweden mit etwa 20.000 Menschen das Land mit der größten Community der indigenen Bevölkerungsgruppe. Weltweit gibt es etwa 70.000 Sam*innen. Persson möchte in ihrem Podcast „Samesystrar“, was auf Deutsch übersetzt „Samischwestern“ heißt, vor allem den Frauen innerhalb der Gemeinschaft helfen, um die sogenannte „Schweigekultur“ zu durchbrechen.

Die betrifft zum Beispiel sensible Themen wie Vergewaltigung und sexuelle Übergriffe. Mit ihrem Podcast schlägt sie in jeder Folge eine Brücke zwischen moderner Gesellschaft und traditioneller Gemeinschaft, wenn sie mit ihren samischen Gesprächspartnerinnen spricht. In den drei Jahren seines Bestehens hatte er schon 36.000 Hörer*innen.

Mit den Schneescootern kam die Machokultur

In einer Folge tauscht sich Persson mit einer Betroffenen aus, die in einem Dokumentarfilm namens „Das Schweigen in Sápmi“ zusammen mit anderen Frauen ihre Version eines sexuellen Übergriffs erzählt. Im Podcast diskutieren die beiden über die Schwierigkeit, mit dem Erlebten innerhalb der Gemeinschaft Gehör zu finden und über die Hemmung, die Tat anzuzeigen. Persson kritisiert offen die „Macho-Kultur“ in ihrer Gemeinschaft. Sie habe diese vor allem bei den Rentierzüchter*innen wahrgenommen, bei denen selbst aufgewachsen ist und immer noch lebt.

In Schweden gibt es 1.000 aktive Rentierzüchter*innen, nur 18 Prozent von ihnen sind Frauen. Die patriarchale Ausrichtung, die es laut Persson früher nicht gegeben habe, sei eine direkte Folge davon, dass seit den 1960er Jahren oft Motorfahrzeuge zur Rentierzucht verwendet werden. Diese wird in Sápmi mittlerweile fast ausschließlich mit Schneescootern betrieben. Mit der Einführung der schweren Geräte entstand eine neue Zweiteilung: Männer sollten maskulin und eher gefühllos auftreten, während Frauen sich um Haushalt und Kinder kümmerten. 

„Diese Ideen finden sich in der ganzen Welt, und wir als Samen sind nicht davon verschont, dass auch wir ein Teil dieser westlichen, modernen Welt sind. Ein solches schlechtes Frauenbild kann an vielen Stellen auftauchen“, betont Persson. Dennoch gäbe es in der Welt der Rentierzüchter*innen besondere Umstände, die es begünstigten, dass Täter geschützt würden.

Sami jahrhundertelang ausgegrenzt

Die Sami-Gemeinschaft ist klein und wurde seit Jahrhunderten von der schwedischen Mehrheitsgesellschaft diskriminiert. Im 17. Jahrhundert wurden die Menschen zwangsweise zum Christentum bekehrt. Anfang des 19. Jahrhunderts wurden die Sami in Schweden als minderwertige Rasse eingestuft und mussten in eigene „Nomadenschulen“ gehen. Als sie schließlich reguläre schwedische Schulen besuchen durften, wurden sie unter Androhung körperlicher Gewalt gezwungen, Schwedisch zu sprechen. Das Ergebnis: Anna-Marja-Perssons Erstsprache ist nun Schwedisch, Samisch lernte sie erst als Erwachsene. 

Dieses Machtgefälle zwischen schwedischer Mehrheitsgesellschaft und Sam*innen mache es bis heute für Frauen schwer, die Übergriffe, aus den eigenen Reihen erlebt haben, den Behörden zu melden – und damit vielleicht ein schlechtes Licht auf die Community zu werfen. Der andere Grund sei besonders schwerwiegend für Frauen, die in der Rentierzuchtgemeinde lebten. „Für mich bedeuten meine Tiere alles“, sagt Persson. Ihre Beziehung zu verlassen hieße für eine samische Frau in der Rentierzucht auch das Dorf und ihre Tiere zu verlassen. Die Gemeinschaft sei so klein, dass es schwer sei, dort nach einer Trennung zu bleiben.

Trotz dieser Herausforderungen ist es Persson wichtig, die Geschichten der Sami-Frauen hörbar zu machen – und ihnen somit das Selbstvertrauen zu geben, auch über Probleme zu sprechen. Sie selbst findet den Mut dazu in ihrer eigenen Biografie: „Mein ganzes Aufwachsen wurde von der Geschichte meiner weiblichen Vorfahrinnen geprägt, zum Beispiel meiner Urgroßmutter väterlicherseits, die eine sehr starke Frau gewesen sein soll.“ Selbst ist Persson als Kind einer alleinerziehenden Mutter großgeworden.

„Meine Mama hat mir immer gesagt, dass Frauen auch Rentiertreiber sein können, Mädchen auch jagen können, dass alles, was ein Mann kann, auch eine Frau kann.“ Studiert hat Persson im Master das Management von Fisch- und Wildtierbevölkerung, im Bachelor Tierwohlfahrt und Ethnologie. Diese Qualifikationen halfen ihr unter anderem bei ihrem Job als Projektmanagerin für das Bewahren von Sumpfgebieten und den Schutz von Rentierherden. Das Podcasten hat sie sich autodidaktisch beigebracht. Und in der Zukunft möchte sie ihren Lebensunterhalt als selbstständige Medien- und Kulturschaffende verdienen. 

Feedback meistens positiv

Zu ihren Ideen dafür zählen, ihre Netzwerke in der samischen Community noch weiter auszubauen und noch mehr Räume zum Austausch für samische Frauen zu bieten. Im Podcast findet sich bisher der Erfahrungsschatz von Sami-Frauen aus Norwegen, Schweden und Finnland. Die 39-Jährige hätte sehr gern auch einmal eine Gesprächspartnerin aus Russland, doch schätzt sie das momentan als besonders schwierig ein. Aufgrund des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine sind Zusammenarbeiten mit samischen Aktivist*innen in Russland eingestellt worden. 

Dass die Gespräche auf Schwedisch stattfinden, sei nicht ideal, so Persson, aber der Großteil ihres Publikums sei nun mal schwedischsprachig. So ist „Samesystrar“ ist Podcast für die „Samischwestern“. Von diesen bekommt sie in allen Altersgruppen positives Feedback. Sie freut sich außerdem besonders darüber, dass auch 16 bis 17-jährige Jungen aus der Rentiertreiber*innen-Community zuhören, wie sie von einer ihrer Gesprächspartnerinnen erfahren habe. Gleichzeitig soll die schwedische Mehrheitsgesellschaft die Möglichkeit bekommen, mehr über die indigene Minderheit in ihrem Land zu lernen.

Ein anonymer Zuhörer hat sich auf ihrer Webseite mit diesem Kommentar verewigt: „Ich bin eine derjenigen, die deinen Podcast erst neulich entdeckt haben und liebte ihn von Anfang an. Die Episoden sind wie kleine Juwelen, die ich mit mir in meinem Handy trage und ich sehne mich danach, sie zu hören, aber gleichzeitig will ich nicht, dass sie aufhören. Unglaublich lehrreich und inspirierend, nicht zuletzt für eine nicht-samische Person. Ich freue mich sehr auf die nächsten Folgen.“

Wissen über Sami soll wachsen

Wissenslücken kennt auch die samische Kuratorin Emma Olofsson vom neuen Museum für samische Kultur in der nordschwedischen Stadt Östersund in Jämtland. Das Museum besteht erst seit 2022 und ist das einzige in Schweden, das von Sam*innen und aus einer Sami-Perspektive heraus geleitet wird. Die Einrichtung und die dahinterstehende Stiftung „Gaaltije“, zu Deutsch „Wissensquelle“, wollen mit Stereotypen aufräumen.

Der Zeitpunkt der Eröffnung war nicht zufällig gewählt: 2021 wurde beschlossen, dass das Sami-Parlament in der Stadt Östersund ein eigenes Gebäude bekommt. Olofsson geht davon aus, dass damit auch das Interesse der Bevölkerung an der Kultur und Geschichte der Sami steigen wird. Neben Unkenntnis seien es auch rassistische Vorurteile, die Olofsson und anderen begegneten: „Wir werden in Schweden gerne vorgeführt, ein bisschen schön und exotisch, aber sobald wir Einspruch erheben und etwas wollen, kommen rassistische Tendenzen ins Spiel.“ Demnach seien Sami weniger intelligent und zivilisiert wie Schwed*innen. 

Inzwischen hat sich einiges in der schwedischen Gesellschaft getan: Seit 2000 sind die Sam*innen in Schweden eine anerkannte Minderheit und haben das Recht auf Unterricht in ihrer Muttersprache. Sie haben ein eigenes Parlament, das 2024 von Jokkmokk nach Östersund ziehen wird. Doch viele fühlen sich noch immer nicht ausreichend in ihren Interessen unterstützt.

Hinzu kommt, dass der Großteil der Schwed*innen in den Großstädten Stockholm, Göteborg und Malmö im Süden Schwedens lebt, Sápmi aber im Norden des Landes liegt. Diese Kluft, die nicht nur geografisch, sondern auch kulturell und gesellschaftlich zwischen den Menschen liegt, soll sich mit den Anstrengungen von Persson, Olofsson und dem neuen Museum weiter verkleinern.  

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