Ursache oftmals unklar
Blick auf Brustkrebs bei Frauen
Jede achte Frau erkrankt in ihrem Leben einmal an Brustkrebs. Das deutsche Gesundheitssystem bietet einiges an Vorsorge, vieles läuft bereits gut – bei der Nachsorge hapert es jedoch. Ein persönlicher Blick auf die Situation.
Jede achte Frau erkrankt an Brustkrebs, oft ohne klare Ursache. Anne Klesse schildert ihre eigene Angst und Erfahrung. Vorsorge und Früherkennung sind in Deutschland gut, doch Nachsorge fehlt oft. Lebensstil und genetische Faktoren beeinflussen das Risiko, doch die Krankheit bleibt schwer vorhersehbar. Initiativen wie „Herzkissen Hamburg“ und die App „PINK! Coach bei Brustkrebs“ unterstützen Betroffene. Der persönliche Umgang mit Brustkrebs zeigt, wie wichtig Mut, Aufklärung und Unterstützung sind.
Von Anne Klesse, Hamburg
Vor einiger Zeit ertastete ich einen Knoten in meiner rechten Brust. Ich rief meine Gynäkologin an und bekam gleich für den darauffolgenden Tag einen Termin. Sie tastete ebenfalls zuerst mit ihren Händen und schaute dann per Ultraschall nach auffälligen Veränderungen im Brustgewebe. Ihr besorgtes Gesicht beunruhigte mich. Es folgte die Überweisung ins Uniklinikum.
Dort machte ein paar Wochen später ein junger Arzt eine Biopsie: „Stanzprobe“ heißt die Gewebeuntersuchung, bei der mit einer Art dicken Nadel ein winziges Stückchen vom Tumor herausgeholt wird. Die Untersuchung war weder schlimm noch angenehm. Denn die Angst vor dem Fünf-Buchstaben-Befund in der onkologischen Abteilung stand mitten im Raum: Krebs.
Ich habe diese Erfahrung in meinem Buch „Du Wunder“ (Abre numa nova janela) aufgeschrieben: „In den Wochen danach konnte ich kaum an etwas anderes denken. Als ich einmal auf dem Fahrrad einer Gruppe junger Menschen ausweichen musste, war ich kurz davor zu rufen: ‚Lasst mich durch, ich habe vielleicht Brustkrebs!‘ Ich malte mir schon aus, was ich unbedingt noch erleben wollte, begann, eine Art Bucket-List zu schreiben.“
Für ein paar Wochen dachte ich, die Eine zu sein: eine von acht Frauen.
Eine von acht Frauen erkrankt laut Deutscher Krebsgesellschaft (Abre numa nova janela) im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs. Brustkrebs ist demnach mit rund 30 Prozent die häufigste Krebsart bei Frauen hierzulande. Seit den 1980er Jahren ist die Zahl dieser Fälle um das Doppelte gestiegen. Das Risiko steigt mit zunehmendem Alter: „Jüngere Frauen sind nur selten betroffen, erst ab dem 40. und besonders ab dem 50. Lebensjahr erhöht sich das Risiko, um ab dem ca. 70. Lebensjahr wieder abzusinken“, heißt es bei der Deutschen Krebsgesellschaft.
Mehr als 17.000 Frauen sterben jährlich an Brustkrebs
Ich musste zeitnah operiert werden, weil der Tumor schnell gewachsen war. Nach der Operation reichte mir eine Pflegekraft ein rosa gestreiftes Kissen in Herzform: „Zum unter den Arm klemmen“, sagte sie und erklärte, dass der Station diese Kissen von dem Verein „Herzkissen Hamburg (Abre numa nova janela)“ gespendet wurden.
Für den Verein nähen vor allem Frauen, die selbst einmal betroffen waren oder jemanden in ihrem nahen Umfeld haben oder hatten diese Kissen ehrenamtlich nach einem bestimmten Schnittmuster. Sie sollen Narbenschmerzen und Lymphschwellungen oder Druck unter dem Arm lindern und Trost spenden. Deutschlandweit gibt es diverse Herzkissen-Nähgruppen, die in ihren Regionen die Herzkissen an Kliniken verschenken. Ich drückte das Kissen an mich. Es war tröstlich zu wissen, nicht die Einzige zu sein.
Mehr als 70.000 Mal im Jahr stellen Ärzt*innen in Deutschland die Diagnose „Mammakarzinom“. Die flächendeckende Mammographie von heute bringt vermutlich mehr Diagnosen hervor. Tatsächlich werden Frauen zwischen ihrem 50. und 70. Lebensjahr seit 2005 nach Straßenzügen und Postleitzahlengebieten – alle zwei Jahre – zur Mammographie zu einem nahegelegenen Screening-Standort oder auf dem Land in Mammografie-Screening-Busse eingeladen.
„Früher sind mehr Erkrankungen unentdeckt geblieben“, sagt Professor Pia Wülfing. Sie ist Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe und leitete zehn Jahre lang die onkologische Praxis und die onkologische Tagesklinik am größten deutschen Brustzentrum, dem Mammazentrum Hamburg. 2020 gründete Wülfing die Online-Plattform „PINK! Aktiv gegen Brustkrebs (Abre numa nova janela)“, um über die Krankheit, Prävention und Behandlungsmöglichkeiten zu informieren.
Mehr als 17.000 Frauen sterben in Deutschland jedes Jahr an Brustkrebs – sehr viel weniger als in früheren Jahren. „Der Krebs wird heute früher erkannt, und je früher er behandelt werden kann, desto besser sind die Heilungschancen“, so Wülfing. Denn je früher ein kleiner Tumor entdeckt wird, desto weniger Gewebe muss entfernt werden – und möglicherweise ist dann auch noch keine Chemotherapie erforderlich. Vorstufen von Krebs können in der Mammographie zudem besser erkannt werden als bei anderen Untersuchungen.
Vermeidbare Risikofaktoren, die Brustkrebs begünstigen
Doch warum ist ausgerechnet die weibliche Brust so anfällig für Krebs? Nicht einmal die Größe der Brust spielt eine entscheidende Rolle, hatte ich gelesen. Trotz aller Forschung ist das bis heute nicht abschließend geklärt. Möglicherweise spielen Hormone eine entscheidende Rolle. Interessanter Fakt: Bei Männern ist das Prostatakarzinom die häufigste Krebsart – also ebenfalls ein Organ betreffend, das hormonellen Einflüssen unterliegt.
Empfängnisverhütung mit der Pille oder Hormonersatztherapien in den Wechseljahren seien aber nicht schädlich, beruhigt Expertin Wülfing. „Die Hormonersatztherapie ist in den letzten beiden Jahrzehnten sehr in Verruf geraten. Man müsste aber relativ lange Hormone in einer bestimmten Kombination einnehmen, um das Brustkrebsrisiko tatsächlich zu erhöhen – und auch dann wäre das nur relativ geringfügig.“
Fünf Prozent der betroffenen Frauen haben laut Studien eine genetische Vorbelastung. Hollywood-Schauspielerin Angelina Jolie hatte vor ein paar Jahren bekannt gemacht, dass sie sich nach einem eindeutig ausgefallenen Gentest die Brust präventiv hatte entfernen lassen. „Wenn in der Familie mehrere Frauen – also die Mutter, Schwester oder Großmutter – oder auch enge Verwandte in jüngerem Alter erkrankt sind, ist eine humangenetische Beratung und gegebenenfalls anschließende Testung sehr sinnvoll“, sagt Wülfing.
Diabetes Mellitus soll ebenfalls ein Risikofaktor sein, an Brustkrebs zu erkranken. Doch: „Bei den meisten Betroffenen bleibt die Ursache der Brustkrebserkrankung unklar“, sagt Expertin Wülfing. „Aber der Lebensstil und vor allem das eigene Ess- und Bewegungsverhalten spielen eine wichtige Rolle.“ Rauchen und Alkohol, zu viel Zucker und Fett, zu wenig Bewegung und Übergewicht erhöhten das Risiko. „Im Fettgewebe spielen sich Prozesse ab, die als krebserregend oder -fördernd bekannt sind. Das Fettgewebe schüttet zum Beispiel Hormone aus, die „Adipokine“, die das Wachstum von Krebszellen fördern“, so Wülfing.
Je länger die Zeit der Regelblutung, desto höher das Krebsrisiko
Bei Frauen, die Kinder entbunden und gestillt haben, soll das Brustkrebsrisiko insgesamt geringer sein. Das sei ein bekannter Zusammenhang, der vermutlich auf hormonelle Prozesse zurückzuführen sei. Und weiter: „Fest steht, dass der Zeitraum zwischen der ersten bis zur letzten Regelblutung eine Rolle spielt. Je früher die erste Regelblutung war und je später die letzte, desto höher ist das Risiko, im Laufe des Lebens an Brustkrebs zu erkranken. Denn dann ist der Zeitraum, in dem Hormone einen Einfluss auf die Gesundheit haben, länger.“
Ein Zusammenhang zwischen Krebs und aluminiumhaltigen Deos, wie er jahrelang durch Social Media geisterte, sei hingegen nicht belegt. Was also tun? Expert*innen empfehlen, regelmäßig die eigene Brust abzutasten und jeden Verdacht eines Knotens von Gynäkolog*innen überprüfen zu lassen. Für Frauen ab 30 Jahren übernimmt außerdem die Krankenkasse einen Vorsorgetermin pro Jahr.
Seit meiner OP versuche ich regelmäßig meine Brust abzutasten.
Mit dem Kissen unter meinem Arm dachte ich damals: Wenn es nun die Diagnose mit den fünf Buchstaben ist, dann ist es so. Ich werde schon damit zurechtkommen. Ich versuchte, mir selbst Mut zu machen. Gleichzeitig hatte ich wahnsinnige Angst: Davor, dass ich zu den 17.000 Frauen gehören könnte, bei denen die Behandlungen nicht reichten. Davor, mein Kind nicht weiter aufwachsen zu sehen.
20 Prozent der Patient*innen erkranken erneut
Ich hatte Glück: Ich war damals nicht die Eine unter den acht. Die operierende Ärztin kam ein paar Stunden nach der Operation in mein Patient:innenzimmer und erklärte mir, dass sie den Tumor vollständig entfernt und keine weiteren Krebszellen gefunden hatten. Diejenigen, die eine andere Nachricht bekommen und den Krebs überstehen, haben oft ein Leben lang damit zu kämpfen. „Bei den meisten ist die Angst vor einem Rückfall groß – obwohl das zum Glück nur bei 20 Prozent der Patientinnen passiert“, weiß Wülfing.
Die Frage, wie es nach der Operation weitergeht, gehe im Klinikalltag oft unter, da es dort keine umfassende psychosoziale Nachbetreuung gibt. Auch die niedergelassenen Gynäkolog*innen könnten die Begleitung und Betreuung nach Ende der akuten Therapie zeitlich kaum leisten. Dabei habe die Nachsorge großen Einfluss auf die Lebensqualität und diese wiederum sehr wahrscheinlich auf den Gesundungsverlauf.
Ihre kostenlose App „PINK! Coach bei Brustkrebs“ sei daher als Ergänzung für diese Lücke gedacht. „Es kursiert vieles im Internet, das verunsichert. Was da alles verkauft wird, ist ein Geschäft mit der Angst“, sagt Wülfing. Mein Herzkissen liegt seither bei mir im Schlafzimmerregal. Immer wenn ich es sehe, bin ich dankbar und demütig. Für mein Leben, das ich weiterleben kann. Dafür, mein Kind weiter aufwachsen sehen zu dürfen. Für meinen Körper und jeden Tag, an dem ich gesund bin.