Dopamin-Fasten? So bitte nicht
Jeden Freitag erzähle ich dir von Erkenntnissen aus Neurowissenschaft und Psychologie, die du kennen solltest. Heute: über einen Trend, der auf Missverständnissen beruht und sogar gefährlich sein kann.

Vielleicht kennst du das? Seit Monaten weichst du allen Erkältungen aus und kommst locker durch den Viren-Winter und dann, ein paar Tage vor deinem Urlaub auf Teneriffa, erwischt es dich und du liegst die Hälfte des Urlaubs im Bett und schnaubst und schnaubst. Nun, genau das ist mir in den letzten zwei Wochen passiert. Deshalb musste Das Leben des Brain zweimal pausieren. Sorry dafür! Jetzt sitze ich wieder gesund am Schreibtisch und es kann weitergehen. Mit einem Thema, das ich schon lange angehen wollte.
Bei mir beginnt nämlich jeder Urlaub gleich: Noch bevor ich los fahre (oder wie vor zwei Wochen los fliege), hole ich mein Handy raus und lösche alle Social-Media-Apps. X musste schon einige Wochen vorher dran glauben – da hält man es ja nicht mehr aus –, Instagram folgte, Bluesky und sogar LinkedIn. Im Urlaub will ich damit nichts zu tun haben. Im Alltag spielen diese Plattformen für mich eine viel zu große Rolle, zwangsläufig. Als Journalist bin ich darauf angewiesen, dass Leute über mich und meine Inhalte stolpern. Wahrscheinlich bist du selbst irgendwo auf Social Media mal über Das Leben des Brain gestolpert.
Wenn ich mit Freund:innen verreise, stifte ich sie stets dazu an, es mir gleich zu tun und alle Social-Media-Apps zu löschen. Und holy Shit, das fällt so Manchen wirklich schwer. Ist ja auch logisch. Soziale Medien gehören bei vielen von uns zum Alltag, wir verbringen erstaunlich viel Zeit mit ihnen. Oftmals mehr, als wir es eigentlich wollen. Da schaut man noch schnell bei Instagram vorbei, während man auf Toilette sitzt, oder schaut ein Youtube-Video (Abre numa nova janela) über leckeres Essen, während man isst.
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Also: App-Entwickler tun alles dafür, dass wir ihre Apps noch ein bisschen länger benutzen. Dabei bauen sie auf Dopamin. Wie ich in dieser Ausgabe (Abre numa nova janela) schon mal erklärt habe, ist Dopamin der Grund dafür, dass wir so oft nicht vom Handy loskommen. Wir ballern uns mit Reizen zu und unser Gehirn wird oftmals überstimuliert. Zu oft, sagen seit einigen Jahren vor allem Leute aus dem Sillicon Valley. Und sie haben eine Lösung parat: Dopamin-Detox. Eine Zeit lang komplett auf alles verzichten, was Dopamin auslöst. Das soll unser Gehirn entspannen und dafür sorgen, dass wir nicht mehr so anfällig sind für die kleinen Dopamin Spikes, die Instagram und Co. in unserem Gehirn auslösen.
Klingt genial? Nun, so genial ist es nicht. Denn viele Detox-Anleitungen unterliegen einem Missverständnis. Man kann einiges falsch machen und sich so eher schaden als helfen. Was genau, das schauen wir uns heute an. Und nächste Woche gehts dann darum, wie man es besser macht.
Worum geht es beim Dopamin-Fasten?
Die Idee ist simpel: Wir sollten uns nicht von den vielen kleinen Dopamin-Belohnungen beherrschen lassen. Viel zu oft greifen wir automatisch zum Handy, ohne groß darüber nachzudenken. Wir denken: Nur ein kurzes Video! Und scrollen weiter und weiter. Kaum ein Dopamin-Kick ist so schnell und einfach zu bekommen wie der, den unser Smartphone uns gibt. Denn die Algorithmen sorgen dafür, dass deine Erwartungen zufällig übertroffen werden, wie bei einem Glücksspielautomaten. Bücher können da nicht mithalten. Nichts kann da mithalten. Das ganze fühlt sich an wie eine Sucht.
Wer sich eine Zeit lang von reizüberflutenden Aktivitäten wie Social Media, Videospielen oder Junkfood fernhält, soll anschließend wieder mehr Freude an alltäglichen und produktiven Aufgaben empfinden. Das Konzept wurde durch Silicon-Valley-Experten populär gemacht, die argumentierten (Abre numa nova janela), dass ständige Dopaminschübe durch moderne Technologien die natürliche Motivation untergraben.
Die Umsetzung des Fastens variiert stark. Manche fasten für ein paar Stunden oder Tage von sämtlichen Dopamin-Triggern. Andere gehen weiter. Viel weiter. Sie verzichten komplett aus Social Media, spielen keine Videospiele mehr, schauen kein Fernsehen mehr. Sie essen keinen Zucker mehr, keine Burger, keine Pizza. Koffein? Bloß weg damit! Gute Filme? Viel zu aufregend. Masturbation? Sex? Um Gottes Willen! Es gibt Videos auf Youtube mit Millionen von Aufrufen, in denen dir meist gut aussehende und durchtrainierte Typen sagen: Du musst auf all das verzichten, wenn du dein Leben wieder im Griff haben willst! Und Millionen von Menschen folgen diesem Trend.
Das Problem mit Dopamin-Fasten
Der kalifornische Psychiater Cameron Sepah war einer der ersten, der Dopamin-Fasten entwickelt hat. Das Erstaunliche? In der New York Times erklärte (Abre numa nova janela) er mal: „Dopamin ist nur ein Mechanismus, der erklärt, wie sich Süchte verstärken können, und er ist ein einprägsamer Titel. Der Titel ist nicht wörtlich zu nehmen.“ Wie jetzt? Nicht zu wörtlich nehmen?
Tatsächlich beruhen viele Detox-Ideen auf einem falschen Verständnis davon, was Dopamin ist. Dopamin ist ein körpereigener Neurotransmitter, der am Belohnungs-, Motivations-, Lern- und Lustsystem unseres Körpers beteiligt ist. Die Menschen betrachten Dopamin wie Heroin oder Kokain und fasten, indem sie sich eine „Toleranzpause“ gönnen. Sie hoffen darauf, dass die Freude an gutem Essen und interessanten Gesprächen so wieder größer wird. Viele glauben, dass ein Dopamin-Detox den Dopaminspiegel „resetten“ kann – aber so funktioniert unser Gehirn nicht. Studien (Abre numa nova janela) zeigen, dass Dopamin nicht einfach „verbraucht“ wird oder durch ein Detox aufgefüllt werden kann – es wird kontinuierlich produziert und reguliert. Kurz gesagt: Man kann von einer natürlich vorkommenden Gehirnchemikalie nicht „fasten“.
Warum du so auf keinen Fall fasten solltest
Wenn jemand eine Woche lang auf Social Media verzichtet, steigt danach nicht automatisch die Freude an alltäglichen Aufgaben. Dopamin passt sich vielmehr an die Erwartungen an. Und das kann Effekte haben, die das komplette Gegenteil auslösen als ursprünglich erhofft.
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