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"Kann ich sterben, wenn ich zu lange niemanden berühre?"

Jeden Freitag erzähle ich dir von Erkenntnissen aus Neurowissenschaft und Psychologie, die du kennen solltest. Heute: Was im Gehirn passiert, wenn wir jemanden berühren.

Hallo ihr alle nah einer längeren, ungeplanten Pause. In den vergangenen Wochen musste ich diesen Newsletter leider ausfallen lassen, weil ich erstens länger krank war (auch Covid) und zweitens anschließend alle Energie (auch die meines Gehirns) für ein Recherche-Projekt brauchte. Dass ihr deshalb drei Wochen nichts von mir gehört habt, tut mir Leid. Jetzt bin ich aber wieder zurück und wir steigen auch direkt ein mit einer schlechten Erinnerung (juhu!).

Es war Januar 2021 im keine Ahnung wie vielten Lockdown. Ich lebte zwar schon zwei Jahre in Berlin, aber der erste Lockdown kam, als ich gerade so richtig ankommen wollte in der viel zu großen Stadt. Nach einem Jahr Volontariat und vielen Abenden, die in der Redaktion endeten, fehlte mir noch das soziale Netz, das man haben sollte an dem Ort, an dem man lebt. 

Ich hatte nicht sonderlich viele Freund:innen in Berlin, war Single. Kurzum: einsam. Zu diesem Zeitpunkt meldete sich eine Leserin bei mir, Karla. Zehn Monate lang folgte sie strikt den Corona-Regeln, hielt Abstand, verzichtete darauf, ihre Freundinnen zu umarmen, und hob den Ellenbogen, wenn sie jemanden begrüßte. An Silvester 2020/21 übernachtete Karla das erste Mal in der Pandemie bei Freund:innen. Am Abend streckte ihr ihre Freundin die Hand hin. Karla nahm sie und begann zu weinen. Sie weinte fast zwei Stunden lang. Denn: Es war ihr erster richtiger Körperkontakt seit neun Monaten. Drei Tage nach Silvester googelt sie: Kann man sterben, wenn man zu lange niemanden berührt?

Weniger Stresshormone, langsamere Atmung 

Das klingt jetzt, fast zwei Jahre später vielleicht etwas übertrieben. Aber Anfang 2021 stellte Karla, eine gesunde Frau, sich genau diese Frage. Es waren besondere Zeiten. Also nahm ich sie ernst: Was passiert im Gehirn, wenn man jemanden berührt? Und vor allem: was, wenn nicht?

Wir können uns die Augen verbinden, die Ohren verstopfen, die Nasenlöcher zuklemmen, aber eines der größten menschlichen Sinnesorgane, die Haut, können wir nicht einfach ausschalten, denn sie ist über den ganzen Körper verteilt. Sie enthält Millionen von Berührungsrezeptoren. Durch sie spüren wir Wärme, Kälte, Strukturen, Druck, die feste Umarmung der Freundin und den zarten Windhauch am Sommerstrand.

Bei angenehmen Berührungen werden diese Informationen über die sogenannten CT-Nervenbahnen ins Gehirn geschickt, zusammen mit einer emotionalen Bewertung der Berührung. Diese Nervenbahnen sind besonders aktiv, wenn wir gestreichelt werden, bei ruppiger Berührung eher nicht. Im Gehirn wird dank ihnen das Glückshormon Oxytocin ausgeschüttet, die Stresshormone werden vermindert, die Herzfrequenz und Atmung werden langsamer, die Muskeln entspannen sich. Kurz: Wir fühlen uns wohl. Und damit wir psychisch gesund bleiben, müssen wir uns immer wieder wohlfühlen. Deshalb sorgen wir dafür, dass wir immer wieder andere Menschen berühren und von ihnen berührt werden.

„Körperliche Nähe bedeutet beim Menschen auch oft psychische Nähe“

Damals rief ich bei Martin Grunewald an. Er ist einer der Wenigen in Deutschland, die zu Berührungen forschen. „Wir sind soziale Lebewesen“, sagt er. „Wir sind nicht dafür gemacht, über einen längeren Zeitraum alleine zu leben.“ Das fange schon bei der Geburt an: Menschen müssen getragen werden. Wenn sie auf die Welt kommen, können sie, verglichen mit anderen Tieren, so gut wie gar nichts. Deshalb müssen wir es gut finden, berührt zu werden. Das zieht sich bis ins Erwachsenenalter, sagt Grunwald.

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Nach langer Pause kann die erste intimere Berührung sehr emotional sein, so wie bei Karla an Silvester: „Körperliche Nähe bedeutet beim Menschen auch oft psychische Nähe. In dem Moment, in dem wir berührt werden, geht auch metaphorisch das Herz auf. Das öffnet auch psychische Kanäle. Und wenn wir belastet sind, kommt das alles raus und wir fangen an zu weinen. Das ist ein trauriger Prozess, aber auch ein heilsamer. Und vor allem ein ganz klares Warnsignal, dass man etwas tun muss.“

Ohne Berührungen fühlen wir uns nicht als Mensch

Und es wird noch grundsätzlicher: Um sich als Mensch zu fühlen, so die These der sogenannten Embodied Cognition, braucht es einen Körper. Und der muss benutzt werden. Aber: Joggen gehen und sich Kratzen reicht nicht. Er muss auch mit anderen Körpern interagieren, damit man sich lebendig fühlt. Ein Körper ist die natürliche Grenze zu allem, das nicht zu uns gehört. Durch ihn verschwimmen wir nicht mit der Umwelt. Andere Lebewesen zu berühren ist entscheidend, um nicht das Gefühl für uns selbst zu verlieren. 

Wir entspannen uns trotzdem am besten, wenn uns eine vertraute Person berührt. Wenn uns jemand nah ist, nicht nur körperlich, sondern auch psychisch. Sich selbst umarmen kann deshalb zwar angenehm sein, der Effekt ist aber deutlich schwächer: Wir schütten weniger Oxytocin aus, die Herzfrequenz verlangsamt sich nicht ganz so stark, die Stresshormone werden nicht ganz so stark reduziert.

Karla und ihre Freundinnen fingen damals an, sich mit dem Po zu begrüßen. Das und längere Umarmungen (nicht nur zur Begrüßung) halfen. 

Seitdem achte ich sehr darauf, andere Menschen zu berühren. Das klingt zwar weird, ist aber sehr wichtig für uns. 

Fühlt euch umarmt! Euer Bent 🧠✌️

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