Was in deinem Gehirn passiert, wenn du ein Déjà-vu hast
Jeden Freitag erzähle ich dir von Erkenntnissen aus Neurowissenschaft und Psychologie, die du kennen solltest. Heute: über einen Glitch in der Matrix und wie er entstehen könnte.
Neulich stand ich in meiner WG-Küche, um mich herum wirbelten drei meiner Mitbewohner herum. Der eine schnibbelte Karotten für das Abendessen, der andere goss gerade Rotwein in ein Glas und der dritte saß an der Seite und daddelte auf seinem Handy. Dann lachte er auf einmal auf und zeigte uns ein Video, in dem mehrere Wrestler aufeinander losgingen. Ich erspare die Details. Jedenfalls: Wir mussten alle lachen.
Aber nicht nur das. Ich stand da und dachte: Moment mal, genau diese Situation hier, mit den anderen in der Küche, dem Kochen, dem Rotwein, dem Video und dem Lachen – das habe ich doch schon mal erlebt! Und ich hatte auch das Gefühl, genau zu wissen, wie es weitergeht. Nämlich dass mein einer Mitbewohner sich vor Lachen verschluckt und wir ihm auf den Rücken hauen müssen.
Das kenne ich doch!
Wenn du dieses Phänomen kennst, dann geht es dir wie ungefähr zwei Drittel aller Menschen. Und dann hast du statistisch gesehen rund ein bis zweimal im Jahr so ein Déjà-Vu.
Natürlich geht es heute darum, was bei einem Déjà-vu im Gehirn passiert. Das zu erforschen, ist aber gar nicht so leicht. Erstens wird seriöse Deja-vu-Forschung erst seit rund 20 Jahren betrieben. Vorher dachte man, Déjà-vus seien eher was für Leute, die an Magie und Übersinnliches glauben. Nun: Das stimmt natürlich nicht. Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt: Wenn man herausfindet, was bei Fehlern wie dem Déjà-vu im Gehirn passiert, verrät uns das auch viel darüber, was im Gehirn passiert, wenn alles gut läuft. Also fing man an, das Phänomen ernst zu nehmen.
Und zweitens ist es nicht so leicht, Déjà-vus zu erforschen, wenn Menschen so selten eins haben. Wie gesagt: ein- bis zweimal im Jahr. Man kann ja nicht einfach warten, bis mal wieder zufällig ein Studienteilnehmer aufschreit und ruft: „Ha! Jetzt hab ich eins! Schnell, hol den Gehirn-Scanner!“
Die Wissenschaftler:innen mussten sich also anders aushelfen, und sind auf einem ganz guten Weg. Was sie bisher herausgefunden haben, erkläre ich heute. Spoiler: Nein, wenn wir ein Déjà-vu haben, erleben wir kein Glitch in der Matrix. Aber was dabei im Gehirn passiert, ist eigentlich noch viel spannender. Ein Déjà-vu ist ein faszinierender Fehler in den Netzwerken des Gehirns, bei dem Vertrautheit, Gedächtnis und Realitätserkennung durcheinandergeraten.
Wie erforscht man etwas, das so selten vorkommt?
Woher das Wort kommt, weißt du wahrscheinlich. Falls du in der Schule Latein statt Französisch hattest, aber eine kurze Erinnerung: Déjà-vu ist französisch und heißt „schon mal gesehen“. Es beschreibt das Gefühl, eine neue Situation als seltsam vertraut wahrzunehmen. Das ist auch deshalb interessant, weil schon das Wort irreführend ist. Denn selbst Blinde können Déjà-vus haben. Das Erlebnis scheint also eigentlich gar nichts mit dem Sehen per se zu tun zu haben.
Wie gesagt: Man kann schlecht darauf warten, bis jemand ein Déjà-vu hat. Man kann Personen aber zu ihren Déjà-vu-Erfahrungen befragen und sie aufschreiben lassen, wenn sie eins hatten. Und all diese Schilderungen haben Gemeinsamkeiten, meine von oben reiht sich dort ein.
Déjà-vus …
passieren unerwartet
dauern meistens nur ein paar Sekunden
und fühlen sich irgendwie … komisch an.
Man hat das Gefühl, dass hier etwas passiert, das nicht so richtig gut zu unserer eigentlichen Erfahrung mit Zeit und Raum zusammenpasst. Reisen in die Vergangenheit oder Zukunft gehören schließlich nicht zu unserem Alltag dazu.
Ein wichtiger Teil der Déjà-vu-Forschung arbeitet deshalb mit Situationen, die Déjà-vus zwar ähneln, genau genommen aber gar keine sind. Dabei erzeugen Wissenschaftler:innen Situationen, in denen die Teilnehmer:innen etwas wiedererkennen (z.B. ein Objekt), aber nicht wissen, wo sie es schon mal gesehen haben oder was genau ein Gegenstand ist oder kann.
Das macht man zum Beispiel so (Abre numa nova janela): Man setzt Versuchspersonen eine VR-Brille auf, mit der sie sich in virtuellen Räumen bewegen können. Diese Räume sind teils komplett unterschiedlich, teils verbindet sie auch aber auch etwas. So zeigt man zum Beispiel einen Schrottplatz und einen Garten, deren Aufbau genau gleich ist. Sprich: An der Stelle, an der beim Schrottplatz Müllhaufen liegen, sind beim virtuellen Garten Büsche gepflanzt. Und tatsächlich geben bei diesen sich ähnelnden Räumen mehr Teilnehmer:innen an, dass sie das Gefühl haben, schon mal in diesem Raum gewesen zu sein, dass er ihnen bekannt vorkommt – sie wissen aber nicht, woher.
Und die Studie (Abre numa nova janela) wurde noch weiter geführt. In einer Fortsetzung ließ man die Teilnehmer:innen – wieder mit einer VR-Brille – durch mehrere virtuelle Räume hintereinander laufen. Manchmal ließen die Forscher:innen die Probant:innen zwar durch die gleichen virtuellen Räume laufen, sie tauschten aber die Möbel aus, die in diesen Räumen standen. Wenn dann die Teilnehmer:innen berichteten, dass sie das Gefühl haben, die Route durch die Räume zu kennen, fragte man sie: Wissen Sie denn auch, wie die Route weitergeht? Muss man dahinten links oder rechts abbiegen? Die Teilnehmer:innen antworteten selbstsicher, sie dachte, sie könnten voraussagen, wo lang es geht – sie lagen aber genauso oft falsch, als würden sie einfach den Zufall entscheiden lassen, ob links oder rechts.
Das heißt: Das Gefühl des Vertrauten hängt nicht mit einer tatsächlichen Erinnerung zusammen. Die wird dabei nicht abgerufen.
Was passiert beim Déjà-vu im Gehirn?
Genau das könnte also eine Erklärung für Déjà-vus sein: Wir erleben eine Situation, die wir so ähnlich schon mal erlebt haben, und schließen daraus fälschlicherweise, dass das die gleiche Situation ist. Aber warum eigentlich?
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