Algorithmische “Führung”: Wenn Maschinen über Menschen entscheiden
Künstliche “Intelligenz” prägt zunehmend die Entscheidungsfindung in Firmen. Was dabei oft übersehen wird: Wir Menschen führen bereits seit Langem unsere eigenen “Algorithmen” in sozialen und kulturellen Kontexten aus. Nun findet diese Logik auch im digitalen Management immer stärkeren Einsatz – und das hat weitreichende Folgen.
Neue Machtasymmetrien im Management
Algorithmen schaffen neue Machtasymmetrien, die unsere Vorstellungen von Autorität und Führung herausfordern. Während KI-Systeme Entscheidungen schnell und oft präzise treffen, bleiben die dahinterliegenden Mechanismen in einer “Black Box”. So wird häufig verwehrt zu verstehen, nach welchen Prinzipien und Interessen diese Systeme operieren. ADM-Systeme (Automated Decision Making) übernehmen zunehmend die Überwachung, Bewertung und Steuerung von Mitarbeiter:innen. Vielfach bedeutet dies: die algorithmische “Objektivität” ersetzt Maßstäbe der Führung, oft ohne dass Entscheider:innen selbst kritisch hinterfragen, was dabei auf der Strecke bleibt, z. B. diskriminierende Bias entmachten.
Zwischen Kontrolle und Entmenschlichung
ADM erhöht das Risiko, die Beziehungen im Arbeitsumfeld zu entmenschlichen. Konflikte, die früher in einem direkten Austausch bearbeitet wurden, könnten ADM-Systeme nun entweder übersehen oder rein funktionalisieren. Das könnte Mitarbeiter:innen dazu zwingen, innere Konflikte – zwischen ihren eigenen Bedürfnissen und den Unternehmensanforderungen – allein zu bewältigen. Das erinnert an die autoritäre Führung im frühen Industriezeitalter, in der die Anpassung an “normales”, funktionales Verhalten den Vorrang hatte, während kreatives Potenzial und verschiedene Perspektiven kaum Platz fanden. Der Unterschied heute: Eine “Digitale Autorität” kommt in Form eines Algorithmus, ohne die menschliche Vermittlung von Empathie und Intuition, die für die Konfliktarbeit wesentlich sind.
Konflikte werden unsichtbar
Es zeigt sich ein Muster: Algorithmen übernehmen zunehmend die Steuerung, und mit jeder Messung und Bewertung formen sie das Verhalten sowie das Selbstverständnis von Mitarbeiter:innen. Je mehr Unternehmen diese neuen Ordnungsstrukturen in den Arbeitsalltag integrieren, desto wahrscheinlicher ist es, dass Menschen sich selbst auf “optimierte” Mitarbeiter:innen reduzieren – auf Personen, die den Firmeninteressen blind folgen, ohne Raum für persönliche Entwicklung und eigene Ideen.
Selbstüberwachung als neue Normalität
Das Zusammenwirken von KI und Management verlangt, grundlegend über die Rolle von Autorität in einer digitalisierten Welt nachzudenken. Wenn wir die Entscheidungsmacht über Führungsfragen und Konfliktbearbeitung immer stärker an ADM-Systeme delegieren, verpassen wir die Chance, das kreative Potenzial von Konflikten zu nutzen. Menschliche Führung bedeutet nicht nur, Entscheidungen zu treffen, sondern auch, die vielschichtigen Interessen möglichst aller zu verhandeln.
Dieser Beitrag basiert auf meinem Fachbuchkapitel im Tagungsband der ChangeTagung 2022 https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-658-34497-9_17 (Abre numa nova janela)
Crowdfunder:innen meiner Forschung können, als Dank für ihre Unterstüztung, auf das komplette Fachbuchkapitel mit ausführlichen Erläuterungen und allen Quellenangaben zugreifen.
Foto: The Building Envelope, stocksnap.io