Von der Mindestsicherung zur Sozialhilfe
Seit März 2019 gilt in Österreich das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz, begleitet von verschiedenen Ausführungsgesetzen in den Bundesländern (in Wien, Tirol und dem Burgenland gelten noch die jeweiligen Landesgesetze der Mindestsicherung). Bereits die Pläne dazu wurden scharf kritisiert und diese Kritik reißt seither auch nicht ab. Doch worin bestehen denn die Unterschiede zwischen Mindestsicherung und Sozialhilfe? Und sind diese wirklich so gravierend?
Subsidiarität
Vorweg sei ein wichtiger Aspekt genannt, der sich zwischen Mindestsicherung und Sozialhilfe rein rechtlich nicht (in der Ausführung leider schon) unterscheidet: der Grundsatz der Subsidiarität (Nachrangigkeit).
Dieser Grundsatz besagt, dass die Sozialhilfe erst zur Anwendung kommt, wenn alle anderen Ansprüche geltend gemacht wurden. Nur wenn keine anderen Möglichkeiten zur Bestreitung des Lebensunterhalts existieren, besteht der Anspruch auf Sozialhilfe.
Existenzsicherung vs. Almosen
Der erste Unterschied fällt natürlich sofort im Namen auf. Doch da steckt mehr dahinter als einfach nur ein anderer Name. Die Mindestsicherung wurde als System zur Existenzsicherung beschlossen – also als Abdeckung des Mindestbedarfs eines Menschen, um seine Existenz zu sichern. Die Intention dahinter war auch, das System armutsfester zu machen. Ein wichtiger und lange überfälliger Schritt im Kampf gegen die Armut.
Mit der Umgestaltung der Mindestsicherung zur Sozialhilfe wird dieser wichtige Schritt zurückgenommen. Die Bezeichnung „Sozialhilfe“ suggeriert, dass es sich dabei um eine soziale Hilfeleistung handelt – Almosen des Staates bezahlt aus Steuergeld. Menschen, die auf diese Sozialhilfe aus unterschiedlichen Gründen angewiesen sind, wird damit gesagt: „Du schaffst es nicht alleine, aber wir sind so nett und helfen dir ausnahmsweise.“
Was dabei vergessen wird: Almosen werden quasi als good will gegeben. Auf Sozialhilfe gibt es allerdings einen Rechtsanspruch – denn Österreich hat sich vor langer Zeit für die Solidargesellschaft entschieden. Die Änderung der Bezeichnung ist leider ein großer Schritt weg von der Solidarität und hin zu Beschämung einzelner Individuen, die meist aufgrund struktureller Probleme in finanziell schwierige Situationen geraten.
Armutsbekämpfung vs. Integrationsmaßnahme
Während die Mindestsicherung wie erwähnt die Bekämpfung von Armut und Vermeidung von Ausgrenzung zum Ziel hatte, stellt sich die Sozialhilfe immer mehr als Integrationsmaßnahme dar. Das ursprüngliche Sozialhilfegesetz umfasste auch Regelungen, die eine Schlechterstellung von Menschen mit schlechten Deutschkenntnissen oder kinderreichen Familien hatte. Einige dieser Regelungen wurden mittlerweile vom Verfassungsgerichtshof teilweise oder zur Gänze aufgehoben (siehe Tabelle weiter unten).
Minimalbeträge vs. Höchstbeträge
In der Mindestsicherung galten – wie der Name schon sagt – Mindestbeträge, die zur Auszahlung gelangten. Je nach Anspruchsberechtigung der Bedarfsgemeinschaft gab es demnach Minimalbeträge, die dieser Bedarfsgemeinschaft (abzüglich Einkommen) zustanden. Mit der Sozialhilfe hat sich auch das geändert. Nun kommen Maximal- bzw. Höchstbeträge zur Auszahlung. Miteinher geht eine Kann-Bestimmung. Es kann also quasi bis zu einer gewissen Höchstgrenze „geholfen“ werden. Zusätzlich wurde mit der Sozialhilfe auch eine Deckelung für Wohngemeinschaften eingeführt, die diese möglichen Höchstbeträge nochmal einschränken.
Willkür erlaubt?
All diese Veränderungen im grundlegenden System der sozialen Absicherung können zur Folge haben, dass Menschen in schwierigen finanziellen Situationen, in denen die Belastung so schon unglaublich groß ist, vom „good will“ einer Behörde bzw. der dort tätigen Menschen abhängig sind. Da die Vereinbarung mit den Ländern auch großzügige Freiräume in der Gestaltung der landesspezifischen Ausführungsgesetzen erlaubt, kommt es zudem darauf an in welchem Bundesland man von Armut betroffen ist. Und es lässt die Frage offen, ob genau diese Willkür etwa gewollt ist?
Denn wer ein zu geringes Einkommen und Erfahrung mit Abwertung, Unsicherheiten und Beschämung erlebt hat, wer immer wieder dem “good will” von Bearbeiter:innen ausgesetzt ist, überlegt sich 10x, ob er:sie mit Sozialhilfe aufstockt oder nicht. Nicht ohne Grund gibt es eine sehr hohe Zahl an sogenannten “Nontakern” - also Menschen, die Anspruch auf Sozialhilfe hätten, diesen aber z.B. aus Scham oder wegen immer größer werdender Barrieren nicht nutzen.
Quellen:
https://www.sozialleistungen.at/b/Sozialhilfe (Abre numa nova janela)https://www.oesterreich.gv.at/themen/hilfe_und_finanzielle_unterstuetzung_erhalten/4/Seite.1693914.html (Abre numa nova janela)