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Wenn Nein sagen (ein) Luxus ist

Als ich mich damals, mit viel Geduld und Unterstützung daran gewagt habe, öffentlich über meine Armut zu schreiben, über Backerbsensuppen-Tage, oder auch über die neue Brille fürs Kind, die akut nicht leistbar, aber dringend nötig war, war ich ziemlich nervös und habe mit dem Schlimmsten gerechnet. 

Es war definitiv kein leichter Schritt über (meine) Armut zu sprechen, an der Puls 4 Doku teilzunehmen, oder öffentlich darüber zu sprechen und zu schreiben, dass es Tage gab, manchmal Wochen, wo ich entscheiden muss(te), ob ich das bisschen Geld, das noch da ist, für Essen oder die Rezeptgebühr oder die Medizin verwende. 

Oder auch anzusprechen, dass es durchaus auch immer wieder knapp war und ist, weil ich auch anderen Armutsbetroffenen geholfen habe. Wie mein Papa sagt, mit ein Grund, warum ich kein Geld habe.

Die größte Angst hatte ich vor beschämenden Kommentaren, vor Troll und Hate Accounts und ihren übergriffigen Kommentaren, dass ich eine schlechte Mutter bin, selbst Schuld, doch im Großen und Ganzen blieben diese, bis auf ein paar wenige - die mir den schlauen Tipp gaben, doch arbeiten zu gehen, oder meinten, wir würden eh alles gratis bekommen, erspart. Stattdessen wurde ich von einer unerwarteten, berührenden Welle von Mitgefühl und Solidarität, von Hilfsbereitschaft überrascht.

Das Geld für die Brille war rasch zusammen,  sogar so viel, dass ich anderen helfen konnte, damit die zwei Jungs der alleinerziehenden Nachbarin im prekären Job den Roboter-Bau Workshop mitmachen konnten. 

Ich bin ja gar nicht alleine, da sind andere auch betroffen.

Es war jedoch auch - und das war mindestens genauso wichtig - Austausch da, das Erkennen, ich bin ja gar nicht alleine, da sind andere auch betroffen. Plötzlich waren da wieder Kontakte zu anderen Menschen, Menschen die mir keine Vorwürfe machten, sondern verstanden, weil sie das aus eigener Erfahrung kannten, genauso wie jene Menschen, die auf Augenhöhe mit mir waren, ohne in der Situation zu sein, oder diese zu kennen, sondern die einfach etwas ändern und helfen wollen. 

Das, wovor ich am meisten Angst hatte, nämlich eine Meldung ans Jugendamt, weil wir arm sind und manchmal das Geld knapp war, war interessanterweise damals kein Thema. Erst als es um das Thema Armut und gegen Rechts ging, kamen solche Meldungen bzw. Aussagen vonwegen Paulanergarten. Erst Susanne Raab und August Wöginger haben das im Rahmen des unsäglichen, untragbaren “Burger Sagers” von Karl Nehammer aufgegriffen, als unterschwellige Drohung gegen verantwortungslose Eltern, die nicht mit Geld umgehen können.

Diese Drohung mit dem Jugendamt, oder die Angst, dass einem die Kinder deshalb weggenommen werden könnten, kennen im Übrigen viele Armutsbetroffene.  Weil es im Rahmen der Beschämung teilweise von der Gesellschaft, Schulen, Medien, Politik wie eine Waffe verwendet wird. Weil diejenigen, die mit dem Jugendamt drohen, genau wissen, dass Betroffene dann eher schweigen, eher lenkbar sind und leider auch so auf dringend benötigte Hilfe verzichten. 

Mitarbeiter*Innen des Jugendamts sind mit dieser Benutzung als Waffe im Übrigen nicht glücklich, aus mehreren Gründen. Kindesabnahmen sind im heute generell, schon alleine aus finanziellen Mitteln heraus, erst die letzte Option in einer Reihe von unterstützenden Maßnahmen. Zudem möchten die Mitarbeiter*Innen der Kinder- und Jugendhilfe auch nicht als Feinde der armutsbetroffenen/gefährdeten Familien gesehen werden, sondern als Hilfe und Unterstützung. Auch Jugendamtsmitarbeiter*Innen haben gerne Erfolg in ihrem Beruf und freuen sich über jede Familie, die wieder auf die Beine kommt, der es besser geht, wo Stabilität und Entwicklung zum Besseren passiert.

Heute kann ich über solche Drohungen lachen oder antworten, dann mach doch bitte. Weil ich weiß, wie das Jugendamt arbeitet, weil ich weiß, dass mir geholfen wird, oder wohin ich mich wenden kann, wenn ich Hilfe brauche und weil ich gelernt habe, für mich einzutreten. Weil mir viel Zuspruch und Gutes widerfahren ist, Unterstützung in emotionaler, finanzieller und sozialer Form. 

Nein sagen ist Luxus

Was mir jedoch am meisten hilft, ist, dass ich erfahren habe, was Bestärkung bewirkt und das Wissen, dass ich mir den Luxus leisten kann, auch Nein zu angebotener, übergriffiger Hilfe sagen zu können. Weil ich weiß, wenn es hart auf hart kommt, dass es Menschen gibt, denen ich am Herzen liege, die mir und dem Kind helfen, für uns da sind. 

Dass ich nie wieder die Angst haben muss, nicht zu wissen, was wir die nächsten Tage essen werden, wenn ich die Rezepte in der Apotheke einlöse, oder spontan etwas für mein Kind bezahlen muss.

Dass, wenn etwas Kleines kaputt geht, wie ein Ladekabel, es keine Katastrophe mehr bedeutet, oder wenn das Kind neue Schuhe braucht, weil die alten kaputt geworden sind, und diese 20 Euro, die das kosten wird, nicht bedeuten, dass ich fünf, sechs Tage nur Backerbsensuppen werde oder ich anstehende Zahlungen aufschieben oder ins Minus gehen muss und dann fehlt es im nächsten Monat wieder.

Diese Personen, an die ich mich dann wenden kann, sind meine emotionale, erweiterte Familie, mein Fels in der Brandung, meine Hoffnungsträger*Innen, die mich in mehr als einer Hinsicht gerettet haben. Ohne große Worte, ohne sich etwas dafür zu erwarten, ohne Vorwürfe oder die Auflage, du darfst aber nur das oder das damit kaufen. Menschen, die mir sagen, schreiben, ich bin es wert, verdiene ein gutes Leben, ohne Wenn und Aber. Die mir sagen,  gönn dir etwas, kaufe dir was Schönes, was Gutes, lasst es euch gut gehen. Menschen, die verstehen, dass auch Armutsbetroffene ein Recht auf Menschenwürde oder auch Wünsche haben. 

Oder ohne eine Gegenleistung der anderen Art dafür zu erwarten. Etwas, das besonders armutsbetroffene Frauen, bestimmt auch Männer, oft kennen. Nicht nur, dass erwartet wird, dass man dankbar für die alte Couch ist und diese anzunehmen, weil man ja arm ist und keine Wünsche zu haben hat, sondern da geht es noch einmal auf eine andere Ebene, Schiene. 

Eine, bei der man sich schmutzig fühlt, beschmutzt, eklig, hilflos, ausgeliefert. Nämlich die Ebene des persönlichen Gefallens, der vermeintliche Anspruch  dadurch, dass finanziell geholfen wird, Zeit und Aufmerksamkeit  - im harmlosesten Fall - beanspruchen zu dürfen, das wiederholte Nachbohren. 

“Komplimente” in Kombination mit sexuellen Anspielungen, sexistische Witze, wenn zum Beispiel beim Vermieter für einen Nachlass der Miete geputzt wird. Oder das unangenehme Gefühl, das einen befällt, wenn einem unaufgefordert ein Foto zugeschickt wird.

Der pelzige, widerliche Geschmack, der sich auf Zunge und Rachen legt, wenn man dann liest, stell dich doch nicht so an. Ich bin eh ein ganz Lieber und mach nichts, was du nicht willst. Oder du bist so eine Liebe, zeig mal ein bisschen mehr von dir. Du kannst mir wirklich vertrauen, mir deine Nummer geben, ich mag ja nur ein wenig plaudern, gemeinsam träumen, dir Kosenamen geben, du bist ja meine Süße, mein Liebes, jemand ganz besonderes. Es bleibt auch unter uns…

Der nächste Schritt kann dann im Übrigen gerade, wenn es Hilfe in der realen Welt ist, wo der gewisse Schutz durch “nur” digitale Welt wegfällt, sein, dass es zu mehr kommt, als “nur” zu übergriffigen Worten, schmutzigen Witzen, ekelhaften Anspielungen. 

Eine “zufällige” Berührung hier, ein Anstreifen im Vorbeigehen, dafür, dass vielleicht ein Teil der Miete nachgelassen wird, dass ein Einkauf übernommen wird, ein Zuschuss gegeben wird, der so dringend benötigt wird für den Rest des Monats.  Ein “Stell dich doch nicht so an", "Ich hab dir doch geholfen… Ich will doch nur, dass du ein bisschen nett zu mir bist”

An dieser Stelle kommen von Menschen, die sich noch nie in der Situation befunden haben, dass Nein sagen ein Luxus ist, oft die gut gemeinten Rat-Schläge, einfach Nein zu sagen, ihm zu sagen, oder ihr, dass die Person ein “Oaschloch” ist und sich verpissen soll, diese Person zu outen. Oder hau ihm einfach eine zwischen die Beine und schrei ihn laut an, dann lässt er/sie das.
Dinge, die vielleicht logisch und leicht klingen, es aber nicht sind. 

Nicht wenn man als betroffene Person in der Situation steckt, dass noch viel Monat und kaum oder kein Geld da ist, wenn man Kinder oder Haustiere hat, die ernährt werden wollen/müssen. Wenn da plötzlich eine Rechnung auftaucht, die man unbedingt bezahlen muss, wenn man das Geld für das Ticket zur Arbeit oder ein Bewerbungsgespräch benötigt. Oder für Medizin, Therapie - gerade bei chronisch kranken Menschen, oder Menschen mit zusätzlichen psychischen Problemen, die keinen Kassenplatz haben und die Medizin oder die Therapie aber gerade existenziell wichtig ist.

Wenn du jedoch davon abhängig bist, zu überleben, oder dass die Miete nachgelassen wird, weil du einen Teil durch Putzen abarbeiten kannst, weil sonst vielleicht nur 100 Euro im Monat übrig bleiben, nach dem Zahlen aller Fixkosten, wirst du es dir dreimal überlegen, ob du den Luxus Nein zu sagen wirklich hast. Oder ob du nicht einfach die Zähne zusammen beißt, solange es nicht schlimmer wird, und diese Grauslichkeiten aushältst.


Diesen Menschen geht es im Übrigen nicht wirklich um dich, deine Bedürfnisse oder dir zu helfen, sondern nur um ihre eigenen Bedürfnisse und diese zu stillen. Das was sie von dir wollen, und du ihnen dann ihrer Meinung nach schuldest. Worauf sie ihrer Meinung nach Anspruch haben, durch finanzielle Hilfe, inklusive sexueller Übergriffe. Denn  - ob virtuell oder in der realen Welt - genau das ist diese Form der übergriffigen Hilfe. 

Armut ist wie ein Überlebenskampf

Armut ist wie ein Überlebenskampf, traumatisierend, und macht auf unterschiedliche Art und Weise zum Opfer. Vor allem dann, wenn man sich den Luxus des Nein Sagens nicht erlauben kann, weil man sonst komplett vor dem Nichts steht.

Anmerkung:
Ich weiß natürlich, dass dieses Nein Sagen und das Akzeptieren von diesem kein Luxus, kein Privileg sein sollte, sondern ein Menschenrecht. Doch leider sieht die Realität bei Armutsbetroffenen oft anders aus, fühlt sich anders an. Daher habe ich dieses Wort hier bewusst gewählt - weil diese Selbstverständlichkeit durchaus ein Privileg, Luxus ist, für Viele!

Team ar-Mut, Eure Lia

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