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14:05

Musti tritt vor die Tür und streckt sich ein bisschen Richtung Sonne. "Moin", schallt es die Wand herab, ah der Ralf, der ist heute aber schon früh dran. Ralf ist sein Nachbar von oben, seit 15 Jahren schon, der wohnt da in drei Zimmern im ersten mit seiner Frau. Musti mag die beiden, obwohl er sie kaum kennt, sie setzen sich nur ganz selten mal auf einen Wein auf seine Terrasse. Im Grunde genommen mag er sie, weil er die kaum kennt: in 15 Jahren gab es nicht eine Beschwerde, selbst dann nicht, als mal Johnny Bottrop mal überraschenderweise seinen Geburtstag im Laden feierte und Herrmann von Hinten bei jedem Song mit zwei Billardqueues auf alle möglichen Tische eindrosch, auch durch kein Argument davon abzuhalten gewesen ist, selbst dann nicht, wenn dem Argument sanft aber entschieden körperlich Nachdruck verliehen wurde, und Musti sich irgendwann gezwungen sah, ihn mit Gaffa auf einem Lehnstuhl festzukleben. Dabei muss das ein Radau gewesen sein, den man auch unterm Dach noch hätte hören müssen. Aber die beiden haben keinen Ton gesagt.

Gut, bisschen was weiß Musti schon. Ralf war Busfahrer bis vor ein paar Monaten, jetzt ist er in Rente. Er hat drei Kästen Geranien auf dem Balkon, um die kümmert er sich jeden Tag eine Stunde, an manchen Tagen sogar zweimal. Er lockert die Erde, er wischt jedes Blatt mit einem feuchten Tuch, erst oben, dann unten, und vermutlich hat er sogar jeder einzelnen Blüte einen Namen gegeben. Musti weiß auch, warum: das liegt an Ralfs Frau. Die ist völlig harmlos, nachgerade nett, ein zartes, kleines Wesen, das wirkt, als wären wesentliche Teile aus Porzellan.

Der Mund allerdings nicht, der ist ein leiernder Keilriemen. Und das ist durchaus ein Ereignis, denn diese Frau ist ein Quell der Nichtigkeit, eine Wortblasenmaschine, ein riesiger Plaudersack. Musti hört sie nur ganz selten einmal länger als fünf Minuten am Stück, aber es kam durchaus vor in den Jahren, dass er ihr lauschen durfte - etwa wenn die beiden oben auf dem Balkon ihr Weinchen tranken und er unten saß, weil gerade nicht viel los war; obendrein hat diese Frau genau diese Stimmfrequenz, die Musti nicht ausgeblendet bekommt, normalerweise ist er sehr gut in sowas, aber es gibt diese eine Tonlage, die schießt ihm immer direkt ins Unterbewusstsein, um von dort dann blasenartig in sein Erkenntniszentrum aufzusteigen, da kann er gar nichts machen, diese Frau hat schlicht den Schlüssel zu seiner Seele und sie geht äußerst unachtsam damit um.

Musti hat in all den Jahren Kneipe, und das will etwas heißen, noch nie jemanden kennengelernt, der mit derartiger Penetranz und Ausdauer ununterbrochen, ohne Punkt und Komma, fortwährend und pausenlos in einem Fluss und Tonfall vor sich hin salbadert, blubbert und blablat. In den summa summarum einigen Dutzend Stunden, die Musti sie hat reden hören, kam nie irgendetwas von Relevanz aus ihrem Mund. Es ging immerzu um Kartoffeln, die diese Woche bei Lidl drei Cent billiger sind als bei Aldi, dass sie gestern ihren Schlüssel auf die Kommode gelegt zu haben glaubte, ihn dann aber doch auf dem Küchentisch fand, und dass des Bäckers Telefon den gleichen Klingelton abspielt wie ihres. Ob denn das zu glauben sei!

Das ist überhaupt ihre Catchphrase: Ob denn das zu glauben sei! Allein in diesem Monat hat Musti sie diese Frage siebzehn Mal aus ihrem Mund gehört, und er hat auch siebzehnmal gehört, was Ralf ihr darauf antwortete. “No jo”, sagte er siebzehn Mal. Und dann ging es weiter mit dieser Art Klangteppich, die die Frau über die Wirklichkeit legt.

Ja, und Ralf, der das ja jetzt den ganzen Tag hat, der nimmt sich am Tag halt die eine oder andere Stunde, seine Geranien derart zu pflegen, dass sie ihm zuverlässig eingehen, um mal eine kurze Pause zu haben. In dem Fall stimmt es unbedingt, dass Blumen Ausdruck der Liebe sind, wenn auch auf eine sehr getwistete Art.

“Moin, Ralf”, sagt Musti und hebt den Arm und kann sich nicht des Eindrucks nicht erwehren, dass in seinem ganzen Ressentiment gegen diese Frau und seiner Verehrung für die Geduld, die der Ralf an den Tag legt, etwas schief ist. Einen Hinweis könnten wir ihm geben: von Ralf weiß er den Namen. Von der Frau nicht. Aber wir lassen es, schließlich hat Musti eine Bestellung aufzunehmen.

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