Saltar para o conteúdo principal

14:04


Erwin war schon immer so, auf eine Art. Er hat seiner Mutter schon in den Bauch getreten, da hatte er noch fast keine Beine. Diese alles durchdringende Nervosität, diese Anspannung, dieser Drang, etwas zu tun: irgendetwas; das hat ihm ein irrlichternder Gott mitgegeben. Das kam nicht durch den Unfall, und es kommt auch nicht durch den Alkohol. Es ist, denkt er, das Leben, das aus ihm herauswill; aus jeder Pore will es ihm entwischen.

Und er weiß ja, dass es kostbar ist, dieses Leben, auch wenn der Körper zu nichts mehr zu gebrauchen ist. Er spürt es dampfen auf seiner Haut, jeden Tag, schon wenn er aufwacht. Vieles daran – das meiste vielleicht – versteht er nicht; er versteht nicht, wie Menschen miteinander reden können, es ist ihm ein Rätsel, die Worte sind doch immer zu wenig, man müsste sich die Haut des anderen anziehen, man müsste Larve sein und in den Bauchnabel des anderen hineinschlüpfen, dort dann all das Blut und die Organe aufsaugen in sich und in den anderen hineinwachsen, bis man ganz verschwunden ist, ganz vorsichtig zum Schluss sein Gesicht ausfüllen, und dann acht bis zwölf Tage durch die Gegend laufen in dieser Haut, die nicht die eigene ist, dann könnte man doch so tun, als wüsste man etwas; ein kleines bisschen wüsste man dann. Es wäre natürlich nie genug. Es ist ihm ja in der eigenen Haut schon nie genug, und in der wohnt er schon seit 53 Jahren.

Dieser drahtige, größtenteils unbehaarte Körper ist ihm aber nicht seiner. Auf dem Platz ging es ihm manchmal so, dass er dachte, er sei mit sich einverstanden; da kam es vor, dass die Vorsehung ihn überkam. Wenn er wusste, besser als die anderen, wohin ein Ball wie geflogen kommen würde, und er schnell genug war oder hoch genug sprang, um das auch zu beweisen, dass er es wusste, wenn er also dann – er, der nun weder besonders groß noch besonders breit noch besonders schnell war – einfach körperschlauer gewesen war als alle anderen, überkam ihn im Jubel manchmal eine Ruhe, die die Zeit gerinnen ließ.

Manchmal überkommt ihn die Erinnerung daran, und dann könnte er weinen, weil er plötzlich wieder so leicht wird, als hätte er Hühnerknochen. Sein Leben ist inzwischen vor allem ein Warten auf diese Momente. Ihm ist, als säße er auf einem Bahnhof, an dem kein Zug für ihn mehr halten wird; trotzdem wartet er, weil es ja doch noch einmal sein könnte.

Jetzt kuckt er Fußball, aber kuckt nicht richtig hin. Er merkt sich die Ergebnisse und auch wer die Tore geschossen hat; er merkt sich auch, was der Kommentator so sagt, gerade jetzt, in der Halbzeitpause. Das wird er später brauchen können, wenn die anderen kommen, die Bundesliga kucken wollen, und die sich dann erkundigen, wie es zuvor in der zweiten Liga lief. Dann wird er etwas sagen, was sie tatsächlich interessiert, und es wird niemanden stören, dass er es drei oder viermal am Stück sagen muss, wie er alle Dinge drei oder viermal am Stück sagen muss mindestens. Das ist eigentlich das einzige, was sich seit dem Unfall wirklich geändert hat: dass er nicht mehr gut kontrollieren kann, wann er die Klappe zumacht.

Ah, Kiel führt. Unglaublich, dass sie dieses Jahr aufsteigen könnten. Die waren noch nie in der ersten Liga, auch das wird er nachher sagen können, und im Fernsehen haben sie es jetzt auch schon viermal gesagt, warum sollte er es denn dann nicht auch viermal sagen können.

Er dreht an seinem Bier: für drei weitere reicht sein Geld heute, mal sehen, vielleicht gibt ihm noch wer eins aus.

0 comentários

Gostaria de ser o primeiro a escrever um comentário?
Torne-se membro de Am Brett e comece a conversa.
Torne-se membro