Newsletter 11 : Von Stoizismus, Therapiedecken und ADHS und Kreativität
Heute gibt es mal wieder ein buntes Spektrum an Themen. Gemeinsam ist ihnen vielleicht, dass es um den Versuch geht, unsere innere Unruhe zu “zähmen” oder in der Kreativität sinnhaft zu nutzen. Dafür braucht man u.a. auch den Schlaf bzw. die Traumschlafverarbeitung.
Genie und Wahnsinn - Kreativität im Chaos ?
Es gibt Tage, an denen ich mir vorstelle, dass das Gehirn eines Menschen mit ADHS einem übervollen Dachboden gleicht, auf dem ein ewiger Flohmarkt stattfindet. Hier finden sich Reliquien vergangener Interessen, halbfertige Projekte, die mit der Begeisterung eines Kindes in einem Süßwarenladen begonnen wurden, und Ideen, so flüchtig wie Schmetterlinge im Wind. Die Luft ist erfüllt von dem Echo unvollendeter Gedanken, die wie Jazzimprovisationen durch den Raum wirbeln, mal hierhin, mal dorthin springend, ohne erkennbare Ordnung, aber mit einer eigenen, unverkennbaren Melodie.
Das ist natürlich eine Welt, die ich irgendwie mag. Und dann treffe ich wenige Stunden vor meinem Urlaub eine Designerin, die dies als Chaos von Ideen in ihrem Kopf als Qual empfindet. Die ihre Webseite gar nicht so schnell ändern kann, wie sich ihr Angebot für Klienten wandelt. Und die gar nicht alle Ideen in umsetzbare Projekte verwirklichen kann. Halbfertige Projekte, Entwürfe und immer wieder eine verbesserte Version, die eigentlich vom Anfang ganz neu gedacht werden. Sich immer und immer wieder neu erfindet.
Man könnte fast schreiben : Sie ist die klassische Vertreterin meines Beitrags zu ADHS bei “Hochleistern”. Wenn ich nicht den Beitrag vor unserem Treffen geschrieben hätte, er hätte locker über sie geschrieben sein können :-)
Und ich stelle mir die Frage : Würde eine ADHS-Behandlung / Medikation dann diese Kreativität bremsen oder gar verunmöglichen?
Wenn sich als Kreativität und Chaos quasi die Hand geben, ist der Gedankenfluss so unvorhersehbar wie das Wetter in London. Man wacht auf, und der Geist gleicht einem strahlenden Sommertag, voller Klarheit und mit einer Brise, die sanft die Segel der Inspiration bläht. Doch binnen Sekunden kann dieser zu einem stürmischen Herbsttag werden, an dem Gedanken wie Blätter im Wind wirbeln, ungreifbar und immer in Bewegung. Das ist die eine Seite. Doch dann entstehen über die inneren Bilder neue Räume, neue Projekte und auch Lösungswege, die für viele andere Anbieter schlicht als unmöglich gelten. Und dann eben doch möglich werden.
Es ist ein Land, in dem die Gesetze der Logik und Linearität eher als lose Richtlinien denn als feste Regeln betrachtet werden. Geht nicht, gibt´s also nicht.
Hier, in diesem unendlichen Meer von Möglichkeiten, ist Kreativität nicht nur eine Fähigkeit, sondern eine Lebensweise. Sie ist die Kunst, Verbindungen zu sehen, wo andere nur Leere erblicken, die Gabe, aus dem Nichts etwas zu erschaffen, und die Fähigkeit, die Welt in Farben zu sehen, die für das bloße Auge unsichtbar sind. Für den ADHS-Geist ist Kreativität kein stilles Gewässer, sondern ein wilder Ozean, stets in Bewegung, immer bereit, über die Ufer zu treten und neue Landschaften zu formen.
Vor 25 Jahren hatte meine neue Klientin über eine gute Freundin (immerhin Leiterin einer Selbsthilfegruppe) von ADHS gehört als es um ihren Sohn mit ADHS ging. Sie hat dann “rasch mal alles optimiert und jede Menge Verbesserungen und neue Ideen auch in der Erziehung und im Alltag gefunden. Und sich dabei selber ganz vergessen. Ganz zu schweigen von der eigentlich überdeutlichen Aufforderung ihrer Freundin, nicht nur das ADHS ihres Kindes zu behandeln sondern eben auch bei sich selber an ADHS zu denken.
Doch dieses kreative Chaos ist nicht ohne seine Tücken. Die ständige Flut an Ideen kann überwältigend sein, ein Labyrinth ohne Ausgang, in dem man sich leicht verirren kann. Und sich eben immer und immer wieder selber zuletzt wichtig nimmt.
Es erfordert Disziplin, eine Disziplin, die so flüchtig sein kann wie der Morgennebel, um diese Kräfte zu bändigen und sie in greifbare Ergebnisse zu verwandeln. Es ist die ewige Herausforderung, das Gleichgewicht zwischen Freiheit und Fokussierung zu finden, zwischen dem Fliegen und dem gelegentlichen Bedürfnis, zu landen und Wurzeln zu schlagen.
In diesem Sinne ist das Leben mit ADHS und Kreativität ein ständiger Tanz auf dem Seil, ein Balanceakt zwischen Genie und Wahnsinn, zwischen der Unendlichkeit des Möglichen und den Grenzen der Realität. Es ist eine Reise, geprägt von Höhen und Tiefen, von Momenten der Erleuchtung und Perioden des Zweifels. Doch trotz aller Herausforderungen ist es eine Reise, die reich an Farben, voller Leben und unendlicher Schönheit ist.
ADHS und Stoizismus
Was würden wohl Philosophen aus der Antike über uns denken?
Ich bin nun wirklich kein Philosoph. Aber ich finde es einen interessanten Ansatz, sich mit den Gedanken des Stoizismus zu beschäftigen. Ist das vielleicht für uns eine Art Anleitung für mehr Gelassenheit und weniger Overthinking = Überdenken?
Diese antike Weisheit lehrt uns, das Gleichgewicht zwischen Akzeptanz und Handlung zu finden, ein Gleichgewicht, das für diejenigen auf dem Spektrum der Neurodiversität nun häufig gerade eher eine ständig kippelnde Wippe oder eine Schaukel im Dauerbetrieb ist.
Durch das Prisma des Stoizismus betrachtet, erscheinen die Herausforderungen von ADHS nicht als Hindernisse, sondern als Wege zur Selbstverbesserung und inneren Ruhe.
Das kann auch provozierend wirken, denn das Leben ist bei uns eben voller Hindernisse und auch ständigen Tests für unsere Frustrationstoleranz.
Dann nun auf einen inneren Abstand und Gelassenheit als Weg zur Selbstverbesserung zu setzen? Das kann auch falsch als eine Schuldzuweisung oder vielleicht noch schlimmer als Aufforderung zu einer ständigen Selbstoptimierung verstanden werden. So meine ich es selbstverständlich nicht.
Die Idee ist eher, dass unsere Gedanken und die emotionale Vorbewertung eben zwei unterschiedliche Sachen sind. Und bei ADHS eben gerade unter „hot executive functions“ wie Ärger, Scham, Wut etc die emotionale Sicht uns einen viel stärken Strich durch das Handeln macht als es bei neurotypischen Menschen der Fall wäre.
Wenn wir also auf die Metaebene (Metacognition) gehen können, so haben wir eine viel bessere Chance, Abstand von diesen emotionalen Störungen zu erhalten.
Die Kraft der Perspektive: "Nicht die Dinge selbst beunruhigen uns, sondern unsere Sichtweise auf diese Dinge." Diese stoische Einsicht, inspiriert von Epiktet, ist für Menschen mit ADHS interessant. Sie erinnert uns daran, dass unsere Reaktionen auf die Welt um uns herum formbar sind. Wenn wir lernen, unsere Gedanken zu beobachten und bewusst zu wählen, wie wir auf unsere Umstände reagieren, gewinnen wir die Freiheit, über unsere unmittelbaren Impulse hinauszugehen und ein tieferes Wohlbefinden zu erreichen.
Die Trennlinie zwischen Kontrolle und Akzeptanz: "Konzentriere dich auf das, was in deiner Macht steht, und akzeptiere das, was du nicht ändern kannst." Dieses Prinzip, angelehnt an Epiktet, ist eine zentrale Säule für das Verständnis von ADHS. Es lehrt uns, unsere Energie auf unsere Handlungen, Gedanken und Reaktionen zu richten – die Aspekte unseres Lebens, die wir tatsächlich beeinflussen können. Durch diese Akzeptanz können wir die ständige Unruhe, die oft mit ADHS einhergeht, beruhigen und unseren Weg mit größerer Klarheit und Zielstrebigkeit beschreiten.
Innere Stärke durch Authentizität: "Die beste Rache ist, nicht wie dein Gegner zu sein." Angepasst von Marcus Aurelius, spricht dieser Gedanke Menschen mit ADHS direkt an. Es geht darum, sich nicht von den Herausforderungen, die ADHS mit sich bringt, unterkriegen zu lassen. Vielmehr sollten wir unsere Einzigartigkeit als Stärke begreifen und nutzen, um ein Leben zu führen, das wahrhaftig und im Einklang mit unseren tiefsten Werten steht.
Hindernisse als Weg: "Das Hindernis auf dem Weg wird zum Weg." Diese Perspektive, inspiriert von Marcus Aurelius, eröffnet eine transformative Sichtweise auf die Herausforderungen von ADHS. Statt Hindernisse als unüberwindbare Barrieren zu betrachten, können wir sie als Chancen zur Entwicklung von Resilienz, Kreativität und Anpassungsfähigkeit sehen. Jede Schwierigkeit birgt die Möglichkeit, über uns selbst hinauszuwachsen und neue Wege des Seins und Handelns zu entdecken.
Selbstfürsorge und Mitgefühl: "Sei streng zu dir selbst, aber nicht hart. Erkenne deine Herausforderungen an, ohne dich selbst zu verurteilen." Diese moderne Interpretation stoischer Weisheit ruft zur Selbstfürsorge auf. Gerade für Menschen mit ADHS ist es entscheidend, eine Balance zwischen Selbstdisziplin und Selbstmitgefühl zu finden. Indem wir uns selbst mit Güte begegnen, schaffen wir einen inneren Raum, in dem Wachstum und Heilung möglich sind.
Die stoische Philosophie, mit ihren Lehren über die Macht der Perspektive, die Kunst der Akzeptanz, die Bedeutung von Authentizität, die Transformation durch Hindernisse und die Wichtigkeit von Selbstfürsorge, bietet also vielleicht einen Wegweiser für Menschen mit ADHS.
Diese Prinzipien laden uns ein, über die unmittelbaren Herausforderungen des Alltags hinauszublicken und ein Leben zu führen, das von innerem Frieden, persönlicher Integrität und tiefer Zufriedenheit geprägt ist. In der stoischen Tradition finden wir nicht nur Strategien, um mit den spezifischen Herausforderungen von ADHS umzugehen, sondern auch eine Philosophie, die uns lehrt, wie wir unser wahres Potenzial entfalten und ein sinnvolles Leben gestalten können.
Praktische Alltagstipps: Auswahlkriterien für Therapiedecken bei Autismus und ADHS
Schlafprobleme sind eine häufige Begleiterscheinung bei Personen mit Autismus und ADHS. Schwierigkeiten beim Einschlafen, unruhiger Schlaf oder das häufige Aufwachen in der Nacht können den Alltag erheblich beeinträchtigen. Eine Methode, die sich als besonders hilfreich erwiesen hat, um die Schlafqualität zu verbessern, ist die Verwendung von Therapiedecken. Diese speziellen Decken sind so konzipiert, dass sie einen sanften, gleichmäßigen Druck auf den Körper ausüben. Dieses Gefühl der Umarmung kann beruhigend wirken, Angstzustände reduzieren und zu einem tieferen, erholsameren Schlaf beitragen.
10 Auswahlkritieren für Therapiedecken bei Autismus und ADHS
Doch wie findet man die richtige Therapiedecke für sich selbst oder für Angehörige? Hier sind 10 Auswahlkriterien, die euch bei der Entscheidung helfen können:
Gewicht: Die Decke sollte etwa 10 % des Körpergewichts der Person, die sie benutzt, ausmachen. Eine zu schwere Decke kann unbequem sein, während eine zu leichte möglicherweise nicht den gewünschten Effekt erzielt.
Material: Achte auf das Material der Decke. Baumwolle ist atmungsaktiv und eignet sich gut für Personen, die nachts schwitzen. Minky oder Fleece sind weicher und wärmer, was sie ideal für kältere Nächte macht.
Größe: Die Decke sollte groß genug sein, um den Körper bequem zu bedecken, aber nicht so groß, dass sie vom Bett hängt. Dies könnte das Gewicht ungleich verteilen und den Druckeffekt mindern.
Füllmaterial: Das Füllmaterial kann variieren (z.B. Glasperlen, Kunststoffpellets). Glasperlen sind in der Regel schwerer und dichter, was zu einem angenehmen Druck führt, ohne dass die Decke zu voluminös wird.
Pflegeleichtigkeit: Überprüfe, ob die Decke maschinenwaschbar ist oder spezielle Pflegeanforderungen hat. Eine leicht zu reinigende Decke erleichtert den Alltag erheblich.
Design und Farbe: Wähle eine Decke aus, die visuell ansprechend ist und sich gut in die Schlafumgebung einfügt. Die Farbe und das Design können ebenfalls zur Beruhigung beitragen.
Temperaturregulierung: Einige Therapiedecken bieten spezielle Funktionen zur Temperaturregulierung, die helfen können, Überhitzung oder Kältegefühle zu vermeiden.
Anpassbarkeit: Es gibt Decken, deren Gewicht angepasst werden kann, indem Füllmaterial hinzugefügt oder entfernt wird. Diese Option ist besonders nützlich, wenn die Decke für ein wachsendes Kind gedacht ist.
Hypoallergen: Für Personen mit Allergien oder empfindlicher Haut sind hypoallergene Materialien zu empfehlen, um Hautreizungen zu vermeiden.
Kosten: Therapiedecken variieren im Preis. Es ist wichtig, ein Budget festzulegen und eine Decke zu finden, die ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis bietet, ohne dabei Kompromisse bei der Qualität oder den benötigten Funktionen einzugehen.
Die Wahl der richtigen Therapiedecke kann eine persönliche Reise sein. Es lohnt sich, verschiedene Optionen auszuprobieren, um herauszufinden, was am besten zu den individuellen Bedürfnissen passt. Nicht zuletzt kann die richtige Therapiedecke einen großen Unterschied in der Schlafqualität und somit im Wohlbefinden von Personen mit Autismus und ADHS machen.
Ich finde es toll, wenn die Decken selber hergestellt werden, habe dir aber auch mal einige Angebote (Amazon) verlinkt (Abre numa nova janela).
Hast du eine besondere Empfehlung für uns, dann maile sie mal an webpschiater@gmail.com (Abre numa nova janela)
Wenn du mit ADHS ausnahmsweise mal pünktlich bist, kannst du ziemlich sicher sein, ein Schuh oder das Handy fehlt…
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Liebe Grüße und bis zum nächsten Newsletter
Martin